Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
England und der Bonapartismus.

i"<z l'avenir potiti^uoclsl'^ngloliii'ro P"I' III von>.e (>e Uonl-iilvmbei ^
I'un <los ^un^alUe cle I'^c^ittlvmiv srsn^iiise. I'uris, Diäior. ---

Wenn der Friede der liberalen Partei manche Enttäuschung und manchen
unmittelbaren Nachtheil bringt, so kann sie doch auch einen nicht zu gering an¬
zuschlagenden Gewinn daraus ziehen. Sie wird nämlich einen zweifelhaften
Verbündeten los und ihre Principien können mit ihren Sympathien wieder
Hand in Hand gehen.

In dem Kampfe des Westens gegen den Osten mußte sie natürlich für
den erstern Partei nehmen, nicht aus Vorliebe für das türkische Reich, nicht
aus Begeisterung für den Kaiser Napoleon, auch nichr, weil sie jenen Kampf,
wie damals der technische Ausdruck hieß, als einen Kampf der Civilisation
gegen die Barbarei auffaßte, sondern weil Rußland ihr gefährlichster Feind ist,
und weil man deshalb jede Schwächung der russischen Macht und jede Locke¬
rung des Bündnisses unserer Fürsten mit dem russischen Kaiser als einen Ge¬
winn für die Sache der deutschen Freiheit betrachten muß. Der russische Ein¬
fluß war es hauptsächlich, der Deutschland in den Zeiten der Restauration
von der Bahn des Fortschrittes abhielt, wahrend gleichzeitig in materieller Be¬
ziehung Nußland durch sein Absperrungssystem unsre Ostseeprovinzen ruinirte.
Rußlands Drohung war es, die unsern Fortschritten in Schleswig-Holstein
Stillstand gebot; Rußlands Einfluß war es endlich, der daS restaurirte Oestreich
befähigte, nach Unterwerfung Ungarns die letzte Hoffnung einer, wenn auch
verkümmerten deutschen Wiedergeburt zu zerstören. Da kam die orientalische
Krisis und alles nahm eine andre Wendung. Es entstand ein ernster Conflict
zwischen den Mächten, die das londoner Protokoll unterzeichnet und damit die
Hoffnungen Deutschlands zu Boden getreten hatten. Der Conflict führte zum
Kriege, der Krieg führte zum Bruch zwischen Oestreich und Nußland, zu einem
kälteren Verhältniß zwischen Preußen und Rußland. .Das war ein unmittel¬
barer Gewinn, aber noch viel größere, unberechenbare Vortheile standen in
Aussicht.

Es durfte angenommen werden, daß Kaiser Nikolaus nie nachgeben würde.
Es durste ferner angenommen werden, daß England und Frankreich allein nie
im Stande sein würden, den stolzen "Selbstherrscher durch äußere Noth dazu
zu zwingen. Wollten sie also den Krieg dennoch glücklich zu Ende führen, so
mußten sie früher oder später die Hilfe Deutschlands erkaufen und der Kauf¬
preis konnte kein andrer sein, als die Aufhebung des londoner Protokolls-
Indem sich ferner unsre deutschen Fürsten an die Volkskraft wandten, mußte"
sie dem Volk nothwendig wieder näher treten, und innere Reformen, vielleicht


England und der Bonapartismus.

i»<z l'avenir potiti^uoclsl'^ngloliii'ro P»I' III von>.e (>e Uonl-iilvmbei ^
I'un <los ^un^alUe cle I'^c^ittlvmiv srsn^iiise. I'uris, Diäior. -—

Wenn der Friede der liberalen Partei manche Enttäuschung und manchen
unmittelbaren Nachtheil bringt, so kann sie doch auch einen nicht zu gering an¬
zuschlagenden Gewinn daraus ziehen. Sie wird nämlich einen zweifelhaften
Verbündeten los und ihre Principien können mit ihren Sympathien wieder
Hand in Hand gehen.

In dem Kampfe des Westens gegen den Osten mußte sie natürlich für
den erstern Partei nehmen, nicht aus Vorliebe für das türkische Reich, nicht
aus Begeisterung für den Kaiser Napoleon, auch nichr, weil sie jenen Kampf,
wie damals der technische Ausdruck hieß, als einen Kampf der Civilisation
gegen die Barbarei auffaßte, sondern weil Rußland ihr gefährlichster Feind ist,
und weil man deshalb jede Schwächung der russischen Macht und jede Locke¬
rung des Bündnisses unserer Fürsten mit dem russischen Kaiser als einen Ge¬
winn für die Sache der deutschen Freiheit betrachten muß. Der russische Ein¬
fluß war es hauptsächlich, der Deutschland in den Zeiten der Restauration
von der Bahn des Fortschrittes abhielt, wahrend gleichzeitig in materieller Be¬
ziehung Nußland durch sein Absperrungssystem unsre Ostseeprovinzen ruinirte.
Rußlands Drohung war es, die unsern Fortschritten in Schleswig-Holstein
Stillstand gebot; Rußlands Einfluß war es endlich, der daS restaurirte Oestreich
befähigte, nach Unterwerfung Ungarns die letzte Hoffnung einer, wenn auch
verkümmerten deutschen Wiedergeburt zu zerstören. Da kam die orientalische
Krisis und alles nahm eine andre Wendung. Es entstand ein ernster Conflict
zwischen den Mächten, die das londoner Protokoll unterzeichnet und damit die
Hoffnungen Deutschlands zu Boden getreten hatten. Der Conflict führte zum
Kriege, der Krieg führte zum Bruch zwischen Oestreich und Nußland, zu einem
kälteren Verhältniß zwischen Preußen und Rußland. .Das war ein unmittel¬
barer Gewinn, aber noch viel größere, unberechenbare Vortheile standen in
Aussicht.

Es durfte angenommen werden, daß Kaiser Nikolaus nie nachgeben würde.
Es durste ferner angenommen werden, daß England und Frankreich allein nie
im Stande sein würden, den stolzen «Selbstherrscher durch äußere Noth dazu
zu zwingen. Wollten sie also den Krieg dennoch glücklich zu Ende führen, so
mußten sie früher oder später die Hilfe Deutschlands erkaufen und der Kauf¬
preis konnte kein andrer sein, als die Aufhebung des londoner Protokolls-
Indem sich ferner unsre deutschen Fürsten an die Volkskraft wandten, mußte»
sie dem Volk nothwendig wieder näher treten, und innere Reformen, vielleicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101679"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> England und der Bonapartismus.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_362">&lt;z l'avenir potiti^uoclsl'^ngloliii'ro P»I' III von&gt;.e (&gt;e Uonl-iilvmbei ^<lb/>
I'un &lt;los ^un^alUe cle I'^c^ittlvmiv srsn^iiise.  I'uris, Diäior. -&#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_363"> Wenn der Friede der liberalen Partei manche Enttäuschung und manchen<lb/>
unmittelbaren Nachtheil bringt, so kann sie doch auch einen nicht zu gering an¬<lb/>
zuschlagenden Gewinn daraus ziehen. Sie wird nämlich einen zweifelhaften<lb/>
Verbündeten los und ihre Principien können mit ihren Sympathien wieder<lb/>
Hand in Hand gehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_364"> In dem Kampfe des Westens gegen den Osten mußte sie natürlich für<lb/>
den erstern Partei nehmen, nicht aus Vorliebe für das türkische Reich, nicht<lb/>
aus Begeisterung für den Kaiser Napoleon, auch nichr, weil sie jenen Kampf,<lb/>
wie damals der technische Ausdruck hieß, als einen Kampf der Civilisation<lb/>
gegen die Barbarei auffaßte, sondern weil Rußland ihr gefährlichster Feind ist,<lb/>
und weil man deshalb jede Schwächung der russischen Macht und jede Locke¬<lb/>
rung des Bündnisses unserer Fürsten mit dem russischen Kaiser als einen Ge¬<lb/>
winn für die Sache der deutschen Freiheit betrachten muß. Der russische Ein¬<lb/>
fluß war es hauptsächlich, der Deutschland in den Zeiten der Restauration<lb/>
von der Bahn des Fortschrittes abhielt, wahrend gleichzeitig in materieller Be¬<lb/>
ziehung Nußland durch sein Absperrungssystem unsre Ostseeprovinzen ruinirte.<lb/>
Rußlands Drohung war es, die unsern Fortschritten in Schleswig-Holstein<lb/>
Stillstand gebot; Rußlands Einfluß war es endlich, der daS restaurirte Oestreich<lb/>
befähigte, nach Unterwerfung Ungarns die letzte Hoffnung einer, wenn auch<lb/>
verkümmerten deutschen Wiedergeburt zu zerstören. Da kam die orientalische<lb/>
Krisis und alles nahm eine andre Wendung. Es entstand ein ernster Conflict<lb/>
zwischen den Mächten, die das londoner Protokoll unterzeichnet und damit die<lb/>
Hoffnungen Deutschlands zu Boden getreten hatten. Der Conflict führte zum<lb/>
Kriege, der Krieg führte zum Bruch zwischen Oestreich und Nußland, zu einem<lb/>
kälteren Verhältniß zwischen Preußen und Rußland. .Das war ein unmittel¬<lb/>
barer Gewinn, aber noch viel größere, unberechenbare Vortheile standen in<lb/>
Aussicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_365" next="#ID_366"> Es durfte angenommen werden, daß Kaiser Nikolaus nie nachgeben würde.<lb/>
Es durste ferner angenommen werden, daß England und Frankreich allein nie<lb/>
im Stande sein würden, den stolzen «Selbstherrscher durch äußere Noth dazu<lb/>
zu zwingen. Wollten sie also den Krieg dennoch glücklich zu Ende führen, so<lb/>
mußten sie früher oder später die Hilfe Deutschlands erkaufen und der Kauf¬<lb/>
preis konnte kein andrer sein, als die Aufhebung des londoner Protokolls-<lb/>
Indem sich ferner unsre deutschen Fürsten an die Volkskraft wandten, mußte»<lb/>
sie dem Volk nothwendig wieder näher treten, und innere Reformen, vielleicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0152] England und der Bonapartismus. i»<z l'avenir potiti^uoclsl'^ngloliii'ro P»I' III von>.e (>e Uonl-iilvmbei ^ I'un <los ^un^alUe cle I'^c^ittlvmiv srsn^iiise. I'uris, Diäior. -— Wenn der Friede der liberalen Partei manche Enttäuschung und manchen unmittelbaren Nachtheil bringt, so kann sie doch auch einen nicht zu gering an¬ zuschlagenden Gewinn daraus ziehen. Sie wird nämlich einen zweifelhaften Verbündeten los und ihre Principien können mit ihren Sympathien wieder Hand in Hand gehen. In dem Kampfe des Westens gegen den Osten mußte sie natürlich für den erstern Partei nehmen, nicht aus Vorliebe für das türkische Reich, nicht aus Begeisterung für den Kaiser Napoleon, auch nichr, weil sie jenen Kampf, wie damals der technische Ausdruck hieß, als einen Kampf der Civilisation gegen die Barbarei auffaßte, sondern weil Rußland ihr gefährlichster Feind ist, und weil man deshalb jede Schwächung der russischen Macht und jede Locke¬ rung des Bündnisses unserer Fürsten mit dem russischen Kaiser als einen Ge¬ winn für die Sache der deutschen Freiheit betrachten muß. Der russische Ein¬ fluß war es hauptsächlich, der Deutschland in den Zeiten der Restauration von der Bahn des Fortschrittes abhielt, wahrend gleichzeitig in materieller Be¬ ziehung Nußland durch sein Absperrungssystem unsre Ostseeprovinzen ruinirte. Rußlands Drohung war es, die unsern Fortschritten in Schleswig-Holstein Stillstand gebot; Rußlands Einfluß war es endlich, der daS restaurirte Oestreich befähigte, nach Unterwerfung Ungarns die letzte Hoffnung einer, wenn auch verkümmerten deutschen Wiedergeburt zu zerstören. Da kam die orientalische Krisis und alles nahm eine andre Wendung. Es entstand ein ernster Conflict zwischen den Mächten, die das londoner Protokoll unterzeichnet und damit die Hoffnungen Deutschlands zu Boden getreten hatten. Der Conflict führte zum Kriege, der Krieg führte zum Bruch zwischen Oestreich und Nußland, zu einem kälteren Verhältniß zwischen Preußen und Rußland. .Das war ein unmittel¬ barer Gewinn, aber noch viel größere, unberechenbare Vortheile standen in Aussicht. Es durfte angenommen werden, daß Kaiser Nikolaus nie nachgeben würde. Es durste ferner angenommen werden, daß England und Frankreich allein nie im Stande sein würden, den stolzen «Selbstherrscher durch äußere Noth dazu zu zwingen. Wollten sie also den Krieg dennoch glücklich zu Ende führen, so mußten sie früher oder später die Hilfe Deutschlands erkaufen und der Kauf¬ preis konnte kein andrer sein, als die Aufhebung des londoner Protokolls- Indem sich ferner unsre deutschen Fürsten an die Volkskraft wandten, mußte» sie dem Volk nothwendig wieder näher treten, und innere Reformen, vielleicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/152
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/152>, abgerufen am 03.05.2024.