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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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' Hoffentlich wird diese Auseinandersetzung den werthen Pastor überzeugen,
daß er in seinen Konsequenzen noch lange nicht weit genug gegangen ist; er
möge sich die unsrigen aneignen und ste dann der Behörde vorlegen.




M Marlowe.

Grade zwei Monate vor der Geburt deS größten Dichter- der neueren
Zeit, W.Shakespeare, gegen Ende deS Februars 156z, wurde sein größter Vor.
gänger und älterer Nebenbuhler, Christoph Mar'owe, zu Canterbury geboren.
Sein Vater war ein Schuhmacher, vielleicht später auch Küster an der Ma¬
rienkirche dieser Stadt. Der Sohn empfing seine Bildung auf dem dort von
Heinrich VIll. unter dem Namen "Königsschule" gestifteten Gymnasium, wel¬
ches noch besteht. Dann bezog er die Universität Cambridge, indem er daselbst
in seinem 18. Jahre (1581, in das Benet-oder Corpus-Christi-Collegium imma-
triculirt wurde, und erlangte nach zwei Jahren (1583) die Würde eines Bac-
calaureus, vier Jahre später (1587) die damals höchst ansehnliche eines Magister
Allium. Vermuthlich machte er seine Studien nicht auf Kosten seines Vaters,
sondern auf die eines Verwandten oder Gönners; und in letzterer Beziehung
hat man auf einen sehr wohlthätigen, nachher in den Ritterstand erhobenen
Kronbeamten, den "ersten Baron der Schatzkammer" Sir Royer Manword
hingewiesen, der seinen Landsitz in der Nähe von Canterbury hatte, und der
uns auch sonst in der Geschichte dieser Zeit, z. B. unter den Richtern der
Maria Stuart genannt wird. Ihm schrieb Unser Dichter im Jahr 1592 e.ne
Grabschrift in lateinischen Versen. Marlowe mag für den geistlichen Stand
bestimmt gewesen sein, scheint aber durch seine früh auftauchenden religiösen
Zweifel davon abgehalten worden zu sein, und muß sich, da wir seines ersten Stückes
schon im Jahr 1587 erwähnt finden, schon vor seiner Promotion zum Magi¬
ster, die in eben dies Jahr fällt, der damals noch sehr verachteten Laufbahn
eines Komödianten und Komödienschreibers in der Hauptstadt zugewandt haben.
, Dies sein erstes Stück, Tamerlan der Große, machte das allergrößte Auf-
sehn, zog ihm erst den Neid, dann die Freund- und Brüderschaft der andern
Komödicnschreiber zu -- unter ihnen sind Robert Greene, Georg Peele und
Thomas Nass die wichtigsten -- bis sie alle wieder, auch Marlowe, vor der
aufgehenden Sonne Shakespeares wie Nebel'verschwanden. Und zwar geistig
und leiblich. Denn freilich um die Zeit, als der junge Shakespeare eben von
Stratford sich nach London begab, um da, nachdem er in der Heimath in eine
gedrückte Lage gerathen war, sein Glück als Schauspieler und Dichter zu machen,
stand Marlowe als der eben erschienene Wunderstern der dramatischen Kunst


' Hoffentlich wird diese Auseinandersetzung den werthen Pastor überzeugen,
daß er in seinen Konsequenzen noch lange nicht weit genug gegangen ist; er
möge sich die unsrigen aneignen und ste dann der Behörde vorlegen.




M Marlowe.

Grade zwei Monate vor der Geburt deS größten Dichter- der neueren
Zeit, W.Shakespeare, gegen Ende deS Februars 156z, wurde sein größter Vor.
gänger und älterer Nebenbuhler, Christoph Mar'owe, zu Canterbury geboren.
Sein Vater war ein Schuhmacher, vielleicht später auch Küster an der Ma¬
rienkirche dieser Stadt. Der Sohn empfing seine Bildung auf dem dort von
Heinrich VIll. unter dem Namen „Königsschule" gestifteten Gymnasium, wel¬
ches noch besteht. Dann bezog er die Universität Cambridge, indem er daselbst
in seinem 18. Jahre (1581, in das Benet-oder Corpus-Christi-Collegium imma-
triculirt wurde, und erlangte nach zwei Jahren (1583) die Würde eines Bac-
calaureus, vier Jahre später (1587) die damals höchst ansehnliche eines Magister
Allium. Vermuthlich machte er seine Studien nicht auf Kosten seines Vaters,
sondern auf die eines Verwandten oder Gönners; und in letzterer Beziehung
hat man auf einen sehr wohlthätigen, nachher in den Ritterstand erhobenen
Kronbeamten, den „ersten Baron der Schatzkammer" Sir Royer Manword
hingewiesen, der seinen Landsitz in der Nähe von Canterbury hatte, und der
uns auch sonst in der Geschichte dieser Zeit, z. B. unter den Richtern der
Maria Stuart genannt wird. Ihm schrieb Unser Dichter im Jahr 1592 e.ne
Grabschrift in lateinischen Versen. Marlowe mag für den geistlichen Stand
bestimmt gewesen sein, scheint aber durch seine früh auftauchenden religiösen
Zweifel davon abgehalten worden zu sein, und muß sich, da wir seines ersten Stückes
schon im Jahr 1587 erwähnt finden, schon vor seiner Promotion zum Magi¬
ster, die in eben dies Jahr fällt, der damals noch sehr verachteten Laufbahn
eines Komödianten und Komödienschreibers in der Hauptstadt zugewandt haben.
, Dies sein erstes Stück, Tamerlan der Große, machte das allergrößte Auf-
sehn, zog ihm erst den Neid, dann die Freund- und Brüderschaft der andern
Komödicnschreiber zu — unter ihnen sind Robert Greene, Georg Peele und
Thomas Nass die wichtigsten — bis sie alle wieder, auch Marlowe, vor der
aufgehenden Sonne Shakespeares wie Nebel'verschwanden. Und zwar geistig
und leiblich. Denn freilich um die Zeit, als der junge Shakespeare eben von
Stratford sich nach London begab, um da, nachdem er in der Heimath in eine
gedrückte Lage gerathen war, sein Glück als Schauspieler und Dichter zu machen,
stand Marlowe als der eben erschienene Wunderstern der dramatischen Kunst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/77>, abgerufen am 03.05.2024.