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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Die deutschen Trachten der Vorzeit.

Zu den besonderen Freuden eines Forschers in alten Dingen gehört der
Anblick der sogenannten altdeutschen Costüme auf Bühnen und Bildern. Die
Theaterschneider und Regisseure haben sich davon ganz eigne Vorbilder ent¬
worfen, die aus allen möglichen Jahrhunderten und Ländern, zusammengeflickt
sind, und die Maler hängen meist ein beliebiges Gewand aus einem Trödler¬
laden über ihre Modellpuppe, mögen sie nun ein historisches Bild aus der
Zeit Karls des Großen oder der Hohenstaufen oder der Reformation malen.
Dabei mangelt,eS nicht an Hilfsmitteln: von manchen Küustlervereinen selbst
sind diplomatisch treue Abbildungen zur Trachtengeschichte herausgegeben wor¬
den; seit vierzig Jahren wurden mehrmals größer angelegte Werke geboren,
die nach einigen Heften an Schwäche verstarben, und noch gegenwärtig setzt
sich ein Costümatlas fort: "Die Trachten des christlichen Mittelalters." Nach
gleichzeitigen Kunstdenkmalen von I. H> von Hafner-Alteneck (Frkf. a. M.,
Keller) dessen Anschaffung freilich bei dem Betrage von 300 -- 400 Thlr., der
bereits jetzt erreicht ist, nur von wenigen dentschen Künstlern und Gelehrten
ermöglicht werden kann. Indessen sind doch damit Mittel gegeben, an denen
sich jene Sünder am Geschichtlichen bessern könnten, wenn sie daS Gefühl da¬
von hätten. So lange freilich das deutsche Publicum sich Kunstreitertracht
als die Tracht seiner Altvordern gefallen läßt, wird es beim Alten bleiben.

Schon in den ältesten Zeiten, in welche wir durch wissenschaftliche Mittel
sehen können, zeigen sich die Germanen in dem Besitz anständiger Bedeckungs¬
mittel, denn das Weben von Linnen und Wollenzeug haben sie schon in Asien
betrieben, als sie noch mit den Indern und Persern, Griechen und Slawen
zusammen wohnten. Als Hirten und Jäger standen ihnen die mannigfachsten
Felle zur Verfügung, die sie mit besonderer Vorliebe für ihre Bedeckung be¬
nutzten, wie die römischen Schriftsteller uns durchgehends berichten.

Das Hauptstück war eine Art kurzer Mantel oder UmHang, der durch
einen Dorn oder eine Spange fest gehalten wurde. Außer dem Mantel tru¬
gen sie einen Rock oder ein Wamms, an dem bei den Männern Aermel saßen
und ein kurzes Bein- oder Hüftenkleid. Alles dieses bestand häufig aus Fellen,
die mit verschiedenartigem Pelzwerk verziert waren, und ließ genug des Leibes
unbedeckt. Die Frauen unterschieden sich von den Männern nur wenig: ihr
Rock war ohne Aermel, er hatte einen tieferen Ausschnitt am Halse, und im
Stoff waren sie mehr dem Linnen geneigt, das mit bunten Streifen ge¬
putzt ward. Beide Geschlechter mögen häufig barfuß gegangen sein, indessen
waren schon in uralter Zeit Schuhe nicht unbekannt, die aus einem Stück un-


Die deutschen Trachten der Vorzeit.

Zu den besonderen Freuden eines Forschers in alten Dingen gehört der
Anblick der sogenannten altdeutschen Costüme auf Bühnen und Bildern. Die
Theaterschneider und Regisseure haben sich davon ganz eigne Vorbilder ent¬
worfen, die aus allen möglichen Jahrhunderten und Ländern, zusammengeflickt
sind, und die Maler hängen meist ein beliebiges Gewand aus einem Trödler¬
laden über ihre Modellpuppe, mögen sie nun ein historisches Bild aus der
Zeit Karls des Großen oder der Hohenstaufen oder der Reformation malen.
Dabei mangelt,eS nicht an Hilfsmitteln: von manchen Küustlervereinen selbst
sind diplomatisch treue Abbildungen zur Trachtengeschichte herausgegeben wor¬
den; seit vierzig Jahren wurden mehrmals größer angelegte Werke geboren,
die nach einigen Heften an Schwäche verstarben, und noch gegenwärtig setzt
sich ein Costümatlas fort: „Die Trachten des christlichen Mittelalters." Nach
gleichzeitigen Kunstdenkmalen von I. H> von Hafner-Alteneck (Frkf. a. M.,
Keller) dessen Anschaffung freilich bei dem Betrage von 300 — 400 Thlr., der
bereits jetzt erreicht ist, nur von wenigen dentschen Künstlern und Gelehrten
ermöglicht werden kann. Indessen sind doch damit Mittel gegeben, an denen
sich jene Sünder am Geschichtlichen bessern könnten, wenn sie daS Gefühl da¬
von hätten. So lange freilich das deutsche Publicum sich Kunstreitertracht
als die Tracht seiner Altvordern gefallen läßt, wird es beim Alten bleiben.

Schon in den ältesten Zeiten, in welche wir durch wissenschaftliche Mittel
sehen können, zeigen sich die Germanen in dem Besitz anständiger Bedeckungs¬
mittel, denn das Weben von Linnen und Wollenzeug haben sie schon in Asien
betrieben, als sie noch mit den Indern und Persern, Griechen und Slawen
zusammen wohnten. Als Hirten und Jäger standen ihnen die mannigfachsten
Felle zur Verfügung, die sie mit besonderer Vorliebe für ihre Bedeckung be¬
nutzten, wie die römischen Schriftsteller uns durchgehends berichten.

Das Hauptstück war eine Art kurzer Mantel oder UmHang, der durch
einen Dorn oder eine Spange fest gehalten wurde. Außer dem Mantel tru¬
gen sie einen Rock oder ein Wamms, an dem bei den Männern Aermel saßen
und ein kurzes Bein- oder Hüftenkleid. Alles dieses bestand häufig aus Fellen,
die mit verschiedenartigem Pelzwerk verziert waren, und ließ genug des Leibes
unbedeckt. Die Frauen unterschieden sich von den Männern nur wenig: ihr
Rock war ohne Aermel, er hatte einen tieferen Ausschnitt am Halse, und im
Stoff waren sie mehr dem Linnen geneigt, das mit bunten Streifen ge¬
putzt ward. Beide Geschlechter mögen häufig barfuß gegangen sein, indessen
waren schon in uralter Zeit Schuhe nicht unbekannt, die aus einem Stück un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/150>, abgerufen am 30.04.2024.