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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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einige Spuren von der Sentimentalität seines Bruders, die uns auch in
seinem späteren Leben wieder begegnen. Aber wenn nicht als Held, so hat
er doch als redlicher Mann und als Fürst gehandelt, dem seine Berufspflichten
heilig sind, und wer sich nicht von einem blinden Haß Rußlands bestimmen
läßt, muß sich darüber freuen, daß grade ihm die Krone zu Theil wurde, von
der ganzen Familie unzweifelhaft dem,tüchtigsten.

Was freilich die innern Mysterien seiner Negierung betrifft, so wird es
wol noch längere Zeit anstehen, ehe wir genauere Aufschlüsse darüber erhal¬
ten; in der auswärtigen Politik hat er bis auf das letzte Ereigniß, wo der
beständige Erfolg seines Lebens ihn in eine trügliche Sicherheit eingewiegt
hatte, fast immer das Nichtige, das für seine Macht Zweckmäßige erkannt. Es
wurde ihm aber leichter, die auswärtigen Monarchen nach seinem Willen zu
leiten, als gegen das Widerstreben seiner eignen .Unterthanen die Ordnung
herzustellen, die er in seiner bessern Einsicht als nothwendig erkannte. Wenn
Kaiser Alexander jetzt die merkwürdigen Geständnisse seines Großoheims
über die Unordnungen im Innern Rußlands publiciren läßt, so wird sein
Enkel von ihm vielleicht Aehnliches zu berichten haben. Im Interesse der
allgemeinen Civilisation wünschen wir, daß ihm die größte Aufgabe seines
Reichs besser gelingen möge als seinem Vorgänger.

Wie tief der Krebsschaden der Corruption in das innere Mark des Staats
eingedrungen ist, erkennen wir aM besten, wenn wir auf die zunächst vorher¬
gehende Geschichte, auf die Negierung der großen Catharina unser Augenmerk
richten. In dieser Beziehung geben uns die Denkwürdigkeiten des Staats-
ratl) Siepers die merkwürdigsten Aufschlüsse. Tief in die Geheimnisse der
Verwaltung eingeweiht, grade so gewandt und einsichtsvoll, wie es sich für
einen russischen Beamten ziemt, der doch vor allem sein Glück machen will,
und dabei von einem leidenschaftlichen Haß gegen den eigentlichen Herrscher
des Reichs, gegen Potemkin erfüllt, benutzt er in seinen Briefen die Ge¬
legenheit, daS Sündenregister seiner Gegner zu entwickeln, mit einer für uns
sehr dankenswerthen Virtuosität. Der Herausgeber hätte nicht nöthig gehabt,
den Apologeten zu spielen, einen Helden oder einen Weisen wird er aus seinem
Gegenstande doch nicht machen, und daß seine Papiere von dem größten
Interesse sind, das erkennt jeder Leser von selbst. Wir behalten uns über die¬
selben ausführliche Mittheilungen vor, sobald die beiden folgenden Bände, die
das Werk beschließen sollen, erschienen sein werden.




einige Spuren von der Sentimentalität seines Bruders, die uns auch in
seinem späteren Leben wieder begegnen. Aber wenn nicht als Held, so hat
er doch als redlicher Mann und als Fürst gehandelt, dem seine Berufspflichten
heilig sind, und wer sich nicht von einem blinden Haß Rußlands bestimmen
läßt, muß sich darüber freuen, daß grade ihm die Krone zu Theil wurde, von
der ganzen Familie unzweifelhaft dem,tüchtigsten.

Was freilich die innern Mysterien seiner Negierung betrifft, so wird es
wol noch längere Zeit anstehen, ehe wir genauere Aufschlüsse darüber erhal¬
ten; in der auswärtigen Politik hat er bis auf das letzte Ereigniß, wo der
beständige Erfolg seines Lebens ihn in eine trügliche Sicherheit eingewiegt
hatte, fast immer das Nichtige, das für seine Macht Zweckmäßige erkannt. Es
wurde ihm aber leichter, die auswärtigen Monarchen nach seinem Willen zu
leiten, als gegen das Widerstreben seiner eignen .Unterthanen die Ordnung
herzustellen, die er in seiner bessern Einsicht als nothwendig erkannte. Wenn
Kaiser Alexander jetzt die merkwürdigen Geständnisse seines Großoheims
über die Unordnungen im Innern Rußlands publiciren läßt, so wird sein
Enkel von ihm vielleicht Aehnliches zu berichten haben. Im Interesse der
allgemeinen Civilisation wünschen wir, daß ihm die größte Aufgabe seines
Reichs besser gelingen möge als seinem Vorgänger.

Wie tief der Krebsschaden der Corruption in das innere Mark des Staats
eingedrungen ist, erkennen wir aM besten, wenn wir auf die zunächst vorher¬
gehende Geschichte, auf die Negierung der großen Catharina unser Augenmerk
richten. In dieser Beziehung geben uns die Denkwürdigkeiten des Staats-
ratl) Siepers die merkwürdigsten Aufschlüsse. Tief in die Geheimnisse der
Verwaltung eingeweiht, grade so gewandt und einsichtsvoll, wie es sich für
einen russischen Beamten ziemt, der doch vor allem sein Glück machen will,
und dabei von einem leidenschaftlichen Haß gegen den eigentlichen Herrscher
des Reichs, gegen Potemkin erfüllt, benutzt er in seinen Briefen die Ge¬
legenheit, daS Sündenregister seiner Gegner zu entwickeln, mit einer für uns
sehr dankenswerthen Virtuosität. Der Herausgeber hätte nicht nöthig gehabt,
den Apologeten zu spielen, einen Helden oder einen Weisen wird er aus seinem
Gegenstande doch nicht machen, und daß seine Papiere von dem größten
Interesse sind, das erkennt jeder Leser von selbst. Wir behalten uns über die¬
selben ausführliche Mittheilungen vor, sobald die beiden folgenden Bände, die
das Werk beschließen sollen, erschienen sein werden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/149>, abgerufen am 22.05.2024.