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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Geschichte der Stadt und Universität Freiburg im Breisgau.

Von Heinrich Schreiber. Freiburg, Wangler. -- (Bis jetzt drei Lieferungen.)

Es gibt für das Studium der deutschen Vorzeit kein dankbareres Unter¬
nehmen, als die ausführliche Geschichte einzelner Städte, Landschaften und
Institutionen. Es ist ein Irrthum, wenn man derartigen Untersuchungen einen
blos localen Werth beilegt, sie sind im Gegentheil die fruchtbarste Vorarbeit
für die Einsicht in die allgemeinen Culturverhältnisse. Gleiche Ursachen er¬
zeugen auch gleiche Wirkungen, und wenn man den einzelnen Fall gründlich
kennen lernt, so gewinnt man daraus zugleich ein anschauliches und dem Be¬
griff zugängliches Bild für die allgemeine Regel.

Der Verfasser deS vorliegenden Werks hat für sein Unternehmen ebenso
viel Talent als Vorliebe mitgebracht. Ein bedeutender Zeitraum der deutschen
Geschichte geht wie in einem verkleinerten Spiegelbild an unserer Seele vor¬
über, und überall werden uns mit feinem Verständniß die charakteristischen
Momente vorgeführt. In den vorliegenden Lieferungen wird die Geschichte
der Stadt bis Ende des 1i. Jahrhunderts, die Geschichte der Universität bis
zur Reformation erzählt. Die letztere interessirt uns am meisten, weil Freiburg
in der Culturgeschichte des -Is. und 16. Jahrhunderts eine sehr wichtige
Rolle spielt.

Als der erste Rector derselben, Meister Matthäus Hummel, der geistlichen
Rechte und der Arzneikunde Lehrer, '1460 seine lateinische Antrittsrede hielt,
machte er darauf aufmerksam, daß das höchste Glück des Menschen in der Er¬
kenntniß der Wahrheit liege, und daß daher das Leben an den Universitäten
unter Studien und Disputationen das beglückendste sei. "Das Schwein ver¬
achtet zwar den Edelstein und wühlt im Kothe fort, für den Esel hat die sü¬
ßeste Musik keinen Reiz; aber der bessere Mensch findet sich an den Stätten
ein, wo ihm Nahrung für seinen Geist geboten wird." "An den Universitäten
werden diejenigen, die Jahrhunderte hindurch im Grabe schliefen, wieder auf¬
geweckt. Halb vermoderte Pergamente, von Mäusen beschmuzt und von Wür¬
mern durchlöchert, werden aus langer Dunkelheit aus Licht gezogen. Gereinigt
werden sie sorgfältig eingebunden und gehörig verziert, und damit niemand
einen andern bei der Benutzung störe, liegen die kostbaren Werke an Ketten,
umgeben von Tischen und Bänken. Dabei versammelt zu geeigneten Stunden
der Lehrer seine Schüler voll Lust unter diesen Werken, wie der Arzt mitten
unter den Heilmitteln, wodurch er die leiblichen Krankheiten hebt. Daher
kommt es, daß aus Liebe zu unserm heiligen Hause, welches sich die Weis¬
heit erbaut hat, viele Reiche freiwillig arm geworden sind; sie besitzen ein
Haus und eine Heimath und haben sich selbst verbannt; sie waren ihre eignen


Geschichte der Stadt und Universität Freiburg im Breisgau.

Von Heinrich Schreiber. Freiburg, Wangler. — (Bis jetzt drei Lieferungen.)

Es gibt für das Studium der deutschen Vorzeit kein dankbareres Unter¬
nehmen, als die ausführliche Geschichte einzelner Städte, Landschaften und
Institutionen. Es ist ein Irrthum, wenn man derartigen Untersuchungen einen
blos localen Werth beilegt, sie sind im Gegentheil die fruchtbarste Vorarbeit
für die Einsicht in die allgemeinen Culturverhältnisse. Gleiche Ursachen er¬
zeugen auch gleiche Wirkungen, und wenn man den einzelnen Fall gründlich
kennen lernt, so gewinnt man daraus zugleich ein anschauliches und dem Be¬
griff zugängliches Bild für die allgemeine Regel.

Der Verfasser deS vorliegenden Werks hat für sein Unternehmen ebenso
viel Talent als Vorliebe mitgebracht. Ein bedeutender Zeitraum der deutschen
Geschichte geht wie in einem verkleinerten Spiegelbild an unserer Seele vor¬
über, und überall werden uns mit feinem Verständniß die charakteristischen
Momente vorgeführt. In den vorliegenden Lieferungen wird die Geschichte
der Stadt bis Ende des 1i. Jahrhunderts, die Geschichte der Universität bis
zur Reformation erzählt. Die letztere interessirt uns am meisten, weil Freiburg
in der Culturgeschichte des -Is. und 16. Jahrhunderts eine sehr wichtige
Rolle spielt.

Als der erste Rector derselben, Meister Matthäus Hummel, der geistlichen
Rechte und der Arzneikunde Lehrer, '1460 seine lateinische Antrittsrede hielt,
machte er darauf aufmerksam, daß das höchste Glück des Menschen in der Er¬
kenntniß der Wahrheit liege, und daß daher das Leben an den Universitäten
unter Studien und Disputationen das beglückendste sei. „Das Schwein ver¬
achtet zwar den Edelstein und wühlt im Kothe fort, für den Esel hat die sü¬
ßeste Musik keinen Reiz; aber der bessere Mensch findet sich an den Stätten
ein, wo ihm Nahrung für seinen Geist geboten wird." „An den Universitäten
werden diejenigen, die Jahrhunderte hindurch im Grabe schliefen, wieder auf¬
geweckt. Halb vermoderte Pergamente, von Mäusen beschmuzt und von Wür¬
mern durchlöchert, werden aus langer Dunkelheit aus Licht gezogen. Gereinigt
werden sie sorgfältig eingebunden und gehörig verziert, und damit niemand
einen andern bei der Benutzung störe, liegen die kostbaren Werke an Ketten,
umgeben von Tischen und Bänken. Dabei versammelt zu geeigneten Stunden
der Lehrer seine Schüler voll Lust unter diesen Werken, wie der Arzt mitten
unter den Heilmitteln, wodurch er die leiblichen Krankheiten hebt. Daher
kommt es, daß aus Liebe zu unserm heiligen Hause, welches sich die Weis¬
heit erbaut hat, viele Reiche freiwillig arm geworden sind; sie besitzen ein
Haus und eine Heimath und haben sich selbst verbannt; sie waren ihre eignen


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[0216] Geschichte der Stadt und Universität Freiburg im Breisgau. Von Heinrich Schreiber. Freiburg, Wangler. — (Bis jetzt drei Lieferungen.) Es gibt für das Studium der deutschen Vorzeit kein dankbareres Unter¬ nehmen, als die ausführliche Geschichte einzelner Städte, Landschaften und Institutionen. Es ist ein Irrthum, wenn man derartigen Untersuchungen einen blos localen Werth beilegt, sie sind im Gegentheil die fruchtbarste Vorarbeit für die Einsicht in die allgemeinen Culturverhältnisse. Gleiche Ursachen er¬ zeugen auch gleiche Wirkungen, und wenn man den einzelnen Fall gründlich kennen lernt, so gewinnt man daraus zugleich ein anschauliches und dem Be¬ griff zugängliches Bild für die allgemeine Regel. Der Verfasser deS vorliegenden Werks hat für sein Unternehmen ebenso viel Talent als Vorliebe mitgebracht. Ein bedeutender Zeitraum der deutschen Geschichte geht wie in einem verkleinerten Spiegelbild an unserer Seele vor¬ über, und überall werden uns mit feinem Verständniß die charakteristischen Momente vorgeführt. In den vorliegenden Lieferungen wird die Geschichte der Stadt bis Ende des 1i. Jahrhunderts, die Geschichte der Universität bis zur Reformation erzählt. Die letztere interessirt uns am meisten, weil Freiburg in der Culturgeschichte des -Is. und 16. Jahrhunderts eine sehr wichtige Rolle spielt. Als der erste Rector derselben, Meister Matthäus Hummel, der geistlichen Rechte und der Arzneikunde Lehrer, '1460 seine lateinische Antrittsrede hielt, machte er darauf aufmerksam, daß das höchste Glück des Menschen in der Er¬ kenntniß der Wahrheit liege, und daß daher das Leben an den Universitäten unter Studien und Disputationen das beglückendste sei. „Das Schwein ver¬ achtet zwar den Edelstein und wühlt im Kothe fort, für den Esel hat die sü¬ ßeste Musik keinen Reiz; aber der bessere Mensch findet sich an den Stätten ein, wo ihm Nahrung für seinen Geist geboten wird." „An den Universitäten werden diejenigen, die Jahrhunderte hindurch im Grabe schliefen, wieder auf¬ geweckt. Halb vermoderte Pergamente, von Mäusen beschmuzt und von Wür¬ mern durchlöchert, werden aus langer Dunkelheit aus Licht gezogen. Gereinigt werden sie sorgfältig eingebunden und gehörig verziert, und damit niemand einen andern bei der Benutzung störe, liegen die kostbaren Werke an Ketten, umgeben von Tischen und Bänken. Dabei versammelt zu geeigneten Stunden der Lehrer seine Schüler voll Lust unter diesen Werken, wie der Arzt mitten unter den Heilmitteln, wodurch er die leiblichen Krankheiten hebt. Daher kommt es, daß aus Liebe zu unserm heiligen Hause, welches sich die Weis¬ heit erbaut hat, viele Reiche freiwillig arm geworden sind; sie besitzen ein Haus und eine Heimath und haben sich selbst verbannt; sie waren ihre eignen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/216>, abgerufen am 30.04.2024.