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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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ja nicht jeder Lüge der Vagabunden zu trauen, sondern zuvor die Wahrheit
zu erforschen. Auch Justinian behielt die Bestimmungen Gratians mit wenigen
Ausnahmen bei. Bis zu seiner Zeit hatte nun freilich das Christenthum un¬
endlich viel gethan, um den wahren Bedürfnissen der Armen zu Hilfe zu kom¬
men, und die wirklich Bedürftigen ohne Nebenzwecke zu berücksichtigen; ja man
kann beinahe nachweisen, daß alle unsere Institute der Wohlthätigkeit schon
in jenen Zeiten vorhanden waren. Schon der abtrünnige Julian wies die
heidnischen Priester auf die Armenpflege der Christen als nachahmungswürdig
hin, und im Gesetzbuche Justinians finden sich bereits erwähnt: Herbergen
für Fremde (sie lagen in unmittelbarer Nähe der Kirchen), Krankenhäuser (von
den Diakonissinnen, besorgt), Waisenhäuser (deren Beamte, weil sie Eltern-
stclle vertraten, nicht verbunden waren, ihren Zöglingen später Rechenschaft
abzulegen), Findelhäuser und Hospitäler für alte Personen. Alle diese In¬
stitute wurden von den Kaisern durch namhafte Privilegien begünstigt und
geben für die alte Kirche das Zeugniß, daß sie diese Angelegenheit nicht vom
bloßen polizeilichen Standpunkte aus ansah. In Alerandria allein gab es
600 Krankenpfleger, wegen der Pestgefahr, der sie ausgesetzt waren, Parabo-
lani, Wagehälse, benannt, und für Rom selbst hat man aus dem 3. Jahr¬
hundert die unverdächtige Nachricht, daß bereits zur Zeit der dioclctianischen
Verfolgung mehr als Witwen und Hilfsbedürftige von der Unterstützung
der christlichen Gemeinde lebten. Bald freilich wurde dies anders und fiel die
ganze Sorge den Klöstern anheim, wodurch dem christlichen Sinn und L^ben
H. G. nur Nachtheil erwuchs.




Der Mormonentrieg in Mal).

Was schon seit Jahren erwartet wurde, ist endlich eingetreten. Die Cen-
tralregierung der Vereinigten Staaten fand sich bewogen, gegen die "Heiligen
vom jüngsten Tage" in Ural) Truppen marschiren zu lassen, und die "Heiligen"
wehren diesen Truppen den Eintritt in daS Territorium, verbieten dem Führer
derselben jedes weitere Vorrücken, besetzen die Pässe, durch die der Weg nach
dem Becken des Salzsees führt, verbrennen die Gepäckwagen, welche das Re¬
gierungsheer begleiten u. s. w. Ein neuer Mormonenkrieg ist ausgebrochen,
dessen Ende die Unterwerfung der Fanatiker und vermuthlich zugleich die Ver¬
eitelung des bisher mit großer Klugheit und Ausdauer verfolgten Planes
ihrer Häupter sein wird, das Territorium, wenn es gesetzlich zum Staate ge¬
reift ist, in der jetzigen seltsamen Zwittergestalt einer Theodemokralie in die
Union eintreten zu lassen. Man konnte, alö bei der Präsidentenwahl die


ja nicht jeder Lüge der Vagabunden zu trauen, sondern zuvor die Wahrheit
zu erforschen. Auch Justinian behielt die Bestimmungen Gratians mit wenigen
Ausnahmen bei. Bis zu seiner Zeit hatte nun freilich das Christenthum un¬
endlich viel gethan, um den wahren Bedürfnissen der Armen zu Hilfe zu kom¬
men, und die wirklich Bedürftigen ohne Nebenzwecke zu berücksichtigen; ja man
kann beinahe nachweisen, daß alle unsere Institute der Wohlthätigkeit schon
in jenen Zeiten vorhanden waren. Schon der abtrünnige Julian wies die
heidnischen Priester auf die Armenpflege der Christen als nachahmungswürdig
hin, und im Gesetzbuche Justinians finden sich bereits erwähnt: Herbergen
für Fremde (sie lagen in unmittelbarer Nähe der Kirchen), Krankenhäuser (von
den Diakonissinnen, besorgt), Waisenhäuser (deren Beamte, weil sie Eltern-
stclle vertraten, nicht verbunden waren, ihren Zöglingen später Rechenschaft
abzulegen), Findelhäuser und Hospitäler für alte Personen. Alle diese In¬
stitute wurden von den Kaisern durch namhafte Privilegien begünstigt und
geben für die alte Kirche das Zeugniß, daß sie diese Angelegenheit nicht vom
bloßen polizeilichen Standpunkte aus ansah. In Alerandria allein gab es
600 Krankenpfleger, wegen der Pestgefahr, der sie ausgesetzt waren, Parabo-
lani, Wagehälse, benannt, und für Rom selbst hat man aus dem 3. Jahr¬
hundert die unverdächtige Nachricht, daß bereits zur Zeit der dioclctianischen
Verfolgung mehr als Witwen und Hilfsbedürftige von der Unterstützung
der christlichen Gemeinde lebten. Bald freilich wurde dies anders und fiel die
ganze Sorge den Klöstern anheim, wodurch dem christlichen Sinn und L^ben
H. G. nur Nachtheil erwuchs.




Der Mormonentrieg in Mal).

Was schon seit Jahren erwartet wurde, ist endlich eingetreten. Die Cen-
tralregierung der Vereinigten Staaten fand sich bewogen, gegen die „Heiligen
vom jüngsten Tage" in Ural) Truppen marschiren zu lassen, und die „Heiligen"
wehren diesen Truppen den Eintritt in daS Territorium, verbieten dem Führer
derselben jedes weitere Vorrücken, besetzen die Pässe, durch die der Weg nach
dem Becken des Salzsees führt, verbrennen die Gepäckwagen, welche das Re¬
gierungsheer begleiten u. s. w. Ein neuer Mormonenkrieg ist ausgebrochen,
dessen Ende die Unterwerfung der Fanatiker und vermuthlich zugleich die Ver¬
eitelung des bisher mit großer Klugheit und Ausdauer verfolgten Planes
ihrer Häupter sein wird, das Territorium, wenn es gesetzlich zum Staate ge¬
reift ist, in der jetzigen seltsamen Zwittergestalt einer Theodemokralie in die
Union eintreten zu lassen. Man konnte, alö bei der Präsidentenwahl die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/442>, abgerufen am 30.04.2024.