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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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auf Umwegen ausgedrücktes, zu der HauptthStigkeit Marias in gar keinem
Bezug stehendes Dogma. Darf man sich aber im Ganzen freuen, daß trotz
diesem wahrscheinlich sehr verbreitet gewesenen Mißverständnisse die Erörterungen
endlich geschlossen sind, so kann man nach nunmehr allgemeinerer Belehrung daS
nachträgliche stillschweigende Hinnehmen deS Dogmas wol nur als ein Zeichen
auslegen, daß die Lehre von der Erbsünde überhaupt nicht zu den beliebtesten
gehört. Die katholische Kirche würde sie, ließe sich nur ohne sie fertig werden,
ohne Zweifel fallen lassen können und den ganzen Teufelspuk dazu, ohne im
Volksbewußtsein aus Widerstand zu stoßen.




Miterleben am Nordpol.

Eine der interessantesten Stellen in Kaltes Beschreibung seiner Reisen am
Nordpol, (in deutscher Bearbeitung von I. Seybt soeben zu Leipzig bei Carl
B. Lorck erschienen) ist die, wo er sein und seiner Gefährten Leben während
eines im höchsten Norden Amerikas zugebrachten Winters beschreibt. Es heißt
dort: Die Kalte kam allmälig über uns. DaS Erste, was mir wirklich auffiel,
war das Einfrieren unserer Wasserfässer, die Eiszapfeneinfassungen der Spund¬
löcher und die Unmöglichkeit, den Trinkbecher nur fünf Minuten hinzusetzen,
ohne daß sein Inhalt sich in festes Eis verwandelt hatte. Dann kam die
vollständige Unmöglichkeit etwas zu trinken zu bekommen, ohne eS erst zuzu¬
bereiten. Lange Zeit hatten wir unser Wasser aus den schönen frischen Lachen
der Eisberge und Schollen geholt; jetzt mußten wir die Blöcke in steinharten,
glasartigen Stücken herausmeißeln und in blechernen Gefäßen zerschmelzen,
um so unser tägliches Getränk zu erlangen. Das war im Wellingtonkanal.

Allmülig ward der Eisbrei, durch welchen wir hindurchführen, zu Eis¬
stücken und Schneebällen. Wir saßen fast wie im Leim. Aber noch am
September fand ich am Ufer von BarlowS Einfahrt ein blühendes Finger¬
kraut. Doch alles, was feucht oder naß war, fing jetzt an als etwas Merk¬
würdiges aufzufallen, als etwas, was wol verdient als eine Seltenheit an¬
gestaunt zu werden. Die Verdecke wurden trocken und da, wo die Füße hin¬
zutreten pflegten, mit traubenförmigen Klumpen von schmuzigen Eis besetzt.
An der Takelage sammelte sich allmälig Reif und wir lernten sehr vorsichtig
mit aufgeschossenen Tauwerk und Eisen umgehen. Am t. Oktober war die
mittlere Temperatur unter Null.

Um diese Zeit war die kleine Luke, die uns zum gewöhnlichen Eingang
diente, so ganz und gar zu einer Masse von Eiszapfen geworden, daß wir


auf Umwegen ausgedrücktes, zu der HauptthStigkeit Marias in gar keinem
Bezug stehendes Dogma. Darf man sich aber im Ganzen freuen, daß trotz
diesem wahrscheinlich sehr verbreitet gewesenen Mißverständnisse die Erörterungen
endlich geschlossen sind, so kann man nach nunmehr allgemeinerer Belehrung daS
nachträgliche stillschweigende Hinnehmen deS Dogmas wol nur als ein Zeichen
auslegen, daß die Lehre von der Erbsünde überhaupt nicht zu den beliebtesten
gehört. Die katholische Kirche würde sie, ließe sich nur ohne sie fertig werden,
ohne Zweifel fallen lassen können und den ganzen Teufelspuk dazu, ohne im
Volksbewußtsein aus Widerstand zu stoßen.




Miterleben am Nordpol.

Eine der interessantesten Stellen in Kaltes Beschreibung seiner Reisen am
Nordpol, (in deutscher Bearbeitung von I. Seybt soeben zu Leipzig bei Carl
B. Lorck erschienen) ist die, wo er sein und seiner Gefährten Leben während
eines im höchsten Norden Amerikas zugebrachten Winters beschreibt. Es heißt
dort: Die Kalte kam allmälig über uns. DaS Erste, was mir wirklich auffiel,
war das Einfrieren unserer Wasserfässer, die Eiszapfeneinfassungen der Spund¬
löcher und die Unmöglichkeit, den Trinkbecher nur fünf Minuten hinzusetzen,
ohne daß sein Inhalt sich in festes Eis verwandelt hatte. Dann kam die
vollständige Unmöglichkeit etwas zu trinken zu bekommen, ohne eS erst zuzu¬
bereiten. Lange Zeit hatten wir unser Wasser aus den schönen frischen Lachen
der Eisberge und Schollen geholt; jetzt mußten wir die Blöcke in steinharten,
glasartigen Stücken herausmeißeln und in blechernen Gefäßen zerschmelzen,
um so unser tägliches Getränk zu erlangen. Das war im Wellingtonkanal.

Allmülig ward der Eisbrei, durch welchen wir hindurchführen, zu Eis¬
stücken und Schneebällen. Wir saßen fast wie im Leim. Aber noch am
September fand ich am Ufer von BarlowS Einfahrt ein blühendes Finger¬
kraut. Doch alles, was feucht oder naß war, fing jetzt an als etwas Merk¬
würdiges aufzufallen, als etwas, was wol verdient als eine Seltenheit an¬
gestaunt zu werden. Die Verdecke wurden trocken und da, wo die Füße hin¬
zutreten pflegten, mit traubenförmigen Klumpen von schmuzigen Eis besetzt.
An der Takelage sammelte sich allmälig Reif und wir lernten sehr vorsichtig
mit aufgeschossenen Tauwerk und Eisen umgehen. Am t. Oktober war die
mittlere Temperatur unter Null.

Um diese Zeit war die kleine Luke, die uns zum gewöhnlichen Eingang
diente, so ganz und gar zu einer Masse von Eiszapfen geworden, daß wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/77>, abgerufen am 30.04.2024.