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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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allgemeines Unbehagen, -- dort eine verehrte und geliebte Königsfamilie, ein
loyales Volk, das sich selbst regiert, sreie Presse, Mhe und Befriedigung, --
wo weilt man lieber? --




Correspondenz.
Ans Hamburg

-- Die Schrcckcnstagc sind vorüber, die Tage,
wo der unheimliche Geist des Bankcrotts an unsrer Börse herumging, um seine
Opfer zu suchen. Es ist zwar noch nicht ganz vorbei mit den Zahlungseinstellungen
und den Bankerotten, aber es ist nicht mehr der Rede werth, denkt man zurück an
die ersten Tage des December, als an einem einzigen Tage dreißig oder vierzig der
ersten Hamburger Firmen sich unter "Administration" stellten, wie man die neue
scheuerte Form des Cvucurses jetzt hier nennt, als Tag für Tag weitere Firmen
folgten, bis deren Zahl über hundert gestiegen war; jetzt sinds deren grade 140.
Und dabei eine ganz erkleckliche Zahl von Zahlungseinstellungen ohne gerichtlichen
Beistand und nicht wenige ganz ungeschminkte Fallissements! Dahin wars mit Ham¬
burg gekommen, diesem in Reichthum und Glanz schimmernden Hamburg, dessen
Flagge aus allen Meeren wehte, so daß -- es ist das keine Uebertreibung -- in
fernen Zonen Deutschland häufig nur als ein Appendix Hamburgs gedacht wurde.
Wie ich Ihnen damals schrieb, es waren Tage und Wochen, an denen in der gan¬
zen zahlreichen Börscnvcrsnmmlung kaum ein einziger sagen konnte, er werde noch
in nächster Zeit vollkommen zahlungsfähig bleiben. Kein Wunder, daß es in jenen
Tagen an "Vertrauen" fehlte, und daß dieser Mangel neue Verluste herbeizog; kein
Wunder aber auch, daß die Ermahnung, doch wieder Vertrauen zu fassen, gar nichts
half, denn wer baut ein Haus da, wo die Erde zittert und diese klaffende Wunden
zeigt, welche schon so manches Hab und Gut verschlungen haben!'Vielleicht ist nichts
bezeichnender für deu damaligen Zustand unsrer Börse, als die folgende Anekdote,
welche die hiesigen Tagesblätter brachten! Ein reicher Börsenmann war kurz vor
Ausbruch der Krisis schwer erkrankt, so daß er Wochen hindurch vou allem, was
draußen geschah, nichts erfahren durste. Ju der zweiten Hälfte des December wie¬
der genesen, war nun seine Frau bemüht, ihm einige Begriffe von den veränderten
Börscnzuständcn zu geben und fing dann auch an, ihm von den stattgehabten Zah¬
lungseinstellungen zu berichten. Als sie dabei nun bereits mehre Namen vom rein¬
sten Bankoklangc, wie er sie bisher gekannt hatte, aufzählte und fortfuhr, denselben
neue hinzuzusetzen, sprang er plötzlich mit einem entsetzlichen Schrei vom Sopha aus
dem Zimmer hinaus, so daß die Kinder und die ganze Hausgenossenschaft eiligst her¬
beilief. "Kinder, die Mutter ist verrückt geworden," das war alles, was der Un¬
glückliche sagen konnte. Die Mutter mußte verrückt geworden sein, weil ihm,
dkr die ungeheure Umwandlung nicht mit erlebt hatte, dieselbe gradezu für un¬
möglich galt.


35 *

allgemeines Unbehagen, — dort eine verehrte und geliebte Königsfamilie, ein
loyales Volk, das sich selbst regiert, sreie Presse, Mhe und Befriedigung, —
wo weilt man lieber? —




Correspondenz.
Ans Hamburg

— Die Schrcckcnstagc sind vorüber, die Tage,
wo der unheimliche Geist des Bankcrotts an unsrer Börse herumging, um seine
Opfer zu suchen. Es ist zwar noch nicht ganz vorbei mit den Zahlungseinstellungen
und den Bankerotten, aber es ist nicht mehr der Rede werth, denkt man zurück an
die ersten Tage des December, als an einem einzigen Tage dreißig oder vierzig der
ersten Hamburger Firmen sich unter „Administration" stellten, wie man die neue
scheuerte Form des Cvucurses jetzt hier nennt, als Tag für Tag weitere Firmen
folgten, bis deren Zahl über hundert gestiegen war; jetzt sinds deren grade 140.
Und dabei eine ganz erkleckliche Zahl von Zahlungseinstellungen ohne gerichtlichen
Beistand und nicht wenige ganz ungeschminkte Fallissements! Dahin wars mit Ham¬
burg gekommen, diesem in Reichthum und Glanz schimmernden Hamburg, dessen
Flagge aus allen Meeren wehte, so daß — es ist das keine Uebertreibung — in
fernen Zonen Deutschland häufig nur als ein Appendix Hamburgs gedacht wurde.
Wie ich Ihnen damals schrieb, es waren Tage und Wochen, an denen in der gan¬
zen zahlreichen Börscnvcrsnmmlung kaum ein einziger sagen konnte, er werde noch
in nächster Zeit vollkommen zahlungsfähig bleiben. Kein Wunder, daß es in jenen
Tagen an „Vertrauen" fehlte, und daß dieser Mangel neue Verluste herbeizog; kein
Wunder aber auch, daß die Ermahnung, doch wieder Vertrauen zu fassen, gar nichts
half, denn wer baut ein Haus da, wo die Erde zittert und diese klaffende Wunden
zeigt, welche schon so manches Hab und Gut verschlungen haben!'Vielleicht ist nichts
bezeichnender für deu damaligen Zustand unsrer Börse, als die folgende Anekdote,
welche die hiesigen Tagesblätter brachten! Ein reicher Börsenmann war kurz vor
Ausbruch der Krisis schwer erkrankt, so daß er Wochen hindurch vou allem, was
draußen geschah, nichts erfahren durste. Ju der zweiten Hälfte des December wie¬
der genesen, war nun seine Frau bemüht, ihm einige Begriffe von den veränderten
Börscnzuständcn zu geben und fing dann auch an, ihm von den stattgehabten Zah¬
lungseinstellungen zu berichten. Als sie dabei nun bereits mehre Namen vom rein¬
sten Bankoklangc, wie er sie bisher gekannt hatte, aufzählte und fortfuhr, denselben
neue hinzuzusetzen, sprang er plötzlich mit einem entsetzlichen Schrei vom Sopha aus
dem Zimmer hinaus, so daß die Kinder und die ganze Hausgenossenschaft eiligst her¬
beilief. „Kinder, die Mutter ist verrückt geworden," das war alles, was der Un¬
glückliche sagen konnte. Die Mutter mußte verrückt geworden sein, weil ihm,
dkr die ungeheure Umwandlung nicht mit erlebt hatte, dieselbe gradezu für un¬
möglich galt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/283>, abgerufen am 29.04.2024.