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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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In der Sitzung des pariser Congresses vom 8. April 1856 äußerte Graf
Walcwski seine Mißbilligung über die Weise, wie in Neapel regiert werde,
schrieb bald darauf Depeschen, um den Commandeur Cnrafa zurechtzuweisen
und berief den französischen Gesandten ab, damals fühlte man sich stark und
stand an der Spitze der Civilisation. Heute zieht die außerordentliche Ge¬
sandtschaft des Fürsten Ottojano in Paris ein, um den Kaiser zu beglückwün¬
schen. Neapel kann unbesorgt wieder mit dem Tuilerienhofe anknüpfen. Frank¬
reich ist kein gefährliches, liberalisirendes Land mehr, das Kaiserthum steht mit
dem Königreich beider Sicilien auf einem Boden. Die vernichtendste Kritik ist
stets die der Ereignisse. Die Ereignisse werden auch den auswärtigen Bewun¬
derern des Imperialismus die Augen geöffnet haben, namentlich in England.
Während des Krimkrieges war der Ruf nach einem Dictator allgemein, der
Unwille über den Mangel -an Leitung fiel auf das entgegengesetzte Extrem,
das sich ja, wie man sah, in Frankreich vortrefflich bewährte. Und dies
war nicht blos etwa die Ansicht einiger Journalisten, man hörte sie von
Parlamentsmitgliedern und bedeutenden Leuten. Indeß es geht hiemit wie
mit dem Tadel der Engländer über ihre Institutionen überhaupt, wenn je¬
mand irgend etwas nicht ganz in Ordnung bei einer Sache findet, so spricht
er in solchen Ausdrücken von derselben, als ob an ihr kein gutes Haar
wäre; wenn der Engländer wunderlich wird, so wird er es auch gleich in
ganz absonderlicher Weise. Ein schlagendes Beispiel dafür ist Thomas Car-
lyle, der den Despotismus unter dem Namen lroro-vorslrix predigt; weil der
moderne Parlamentarismus seiner Phantasie widersteht, so schwärmt er sür
intelligente Autokraten, und behauptet, seit England den letzten dieses Schla¬
ges gehabt, Cromwell, gehe es fortwährend bergab, es geht jedenfalls damit
langsam. Man liest seine Schriften, bewundert oder belächelt sie, handelt aber
jedenfalls nach entgegengesetzten Principien; wenn irgend etwas nicht vor¬
wärts will, so ruft man: warum ist nicht ein großer Mann da, der die Sache
durchführe? Kommt nun aber ein solcher und will sich über die Rechte und
Gerechtsame der betreffenden britischen Unterthanen hinwegsetzen, so kann er
sicher sein, den hartnäckigsten Widerstand bei ihnen zu finden, sie wissen in-
stinctmäßig sehr wohl,, daß den Despotismus um eines vorübergehenden Be¬
dürfnisses willen einsetzen, heißt, den Baum umhauen, um eine Frucht er¬
reichen zu können, sie wissen, daß wenn andre Länder ihre Freiheit verspielt
haben, England es noch nicht gethan, daß, wenn Frankreich eine starke Re¬
gierung will, England eine hat, welche stark und frei zugleich ist. Die grel¬
len Contraste aus beiden Seiten des Kanals werden, wie wir hoffen, vielen
die Augen öffnen, welche noch vom Glanz des Imperialismus geblendet
waren; hier Attentat, Sicherhcitsmaßregeln, Prätorianeradrcssen, Soldpresse,


In der Sitzung des pariser Congresses vom 8. April 1856 äußerte Graf
Walcwski seine Mißbilligung über die Weise, wie in Neapel regiert werde,
schrieb bald darauf Depeschen, um den Commandeur Cnrafa zurechtzuweisen
und berief den französischen Gesandten ab, damals fühlte man sich stark und
stand an der Spitze der Civilisation. Heute zieht die außerordentliche Ge¬
sandtschaft des Fürsten Ottojano in Paris ein, um den Kaiser zu beglückwün¬
schen. Neapel kann unbesorgt wieder mit dem Tuilerienhofe anknüpfen. Frank¬
reich ist kein gefährliches, liberalisirendes Land mehr, das Kaiserthum steht mit
dem Königreich beider Sicilien auf einem Boden. Die vernichtendste Kritik ist
stets die der Ereignisse. Die Ereignisse werden auch den auswärtigen Bewun¬
derern des Imperialismus die Augen geöffnet haben, namentlich in England.
Während des Krimkrieges war der Ruf nach einem Dictator allgemein, der
Unwille über den Mangel -an Leitung fiel auf das entgegengesetzte Extrem,
das sich ja, wie man sah, in Frankreich vortrefflich bewährte. Und dies
war nicht blos etwa die Ansicht einiger Journalisten, man hörte sie von
Parlamentsmitgliedern und bedeutenden Leuten. Indeß es geht hiemit wie
mit dem Tadel der Engländer über ihre Institutionen überhaupt, wenn je¬
mand irgend etwas nicht ganz in Ordnung bei einer Sache findet, so spricht
er in solchen Ausdrücken von derselben, als ob an ihr kein gutes Haar
wäre; wenn der Engländer wunderlich wird, so wird er es auch gleich in
ganz absonderlicher Weise. Ein schlagendes Beispiel dafür ist Thomas Car-
lyle, der den Despotismus unter dem Namen lroro-vorslrix predigt; weil der
moderne Parlamentarismus seiner Phantasie widersteht, so schwärmt er sür
intelligente Autokraten, und behauptet, seit England den letzten dieses Schla¬
ges gehabt, Cromwell, gehe es fortwährend bergab, es geht jedenfalls damit
langsam. Man liest seine Schriften, bewundert oder belächelt sie, handelt aber
jedenfalls nach entgegengesetzten Principien; wenn irgend etwas nicht vor¬
wärts will, so ruft man: warum ist nicht ein großer Mann da, der die Sache
durchführe? Kommt nun aber ein solcher und will sich über die Rechte und
Gerechtsame der betreffenden britischen Unterthanen hinwegsetzen, so kann er
sicher sein, den hartnäckigsten Widerstand bei ihnen zu finden, sie wissen in-
stinctmäßig sehr wohl,, daß den Despotismus um eines vorübergehenden Be¬
dürfnisses willen einsetzen, heißt, den Baum umhauen, um eine Frucht er¬
reichen zu können, sie wissen, daß wenn andre Länder ihre Freiheit verspielt
haben, England es noch nicht gethan, daß, wenn Frankreich eine starke Re¬
gierung will, England eine hat, welche stark und frei zugleich ist. Die grel¬
len Contraste aus beiden Seiten des Kanals werden, wie wir hoffen, vielen
die Augen öffnen, welche noch vom Glanz des Imperialismus geblendet
waren; hier Attentat, Sicherhcitsmaßregeln, Prätorianeradrcssen, Soldpresse,


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[0282] In der Sitzung des pariser Congresses vom 8. April 1856 äußerte Graf Walcwski seine Mißbilligung über die Weise, wie in Neapel regiert werde, schrieb bald darauf Depeschen, um den Commandeur Cnrafa zurechtzuweisen und berief den französischen Gesandten ab, damals fühlte man sich stark und stand an der Spitze der Civilisation. Heute zieht die außerordentliche Ge¬ sandtschaft des Fürsten Ottojano in Paris ein, um den Kaiser zu beglückwün¬ schen. Neapel kann unbesorgt wieder mit dem Tuilerienhofe anknüpfen. Frank¬ reich ist kein gefährliches, liberalisirendes Land mehr, das Kaiserthum steht mit dem Königreich beider Sicilien auf einem Boden. Die vernichtendste Kritik ist stets die der Ereignisse. Die Ereignisse werden auch den auswärtigen Bewun¬ derern des Imperialismus die Augen geöffnet haben, namentlich in England. Während des Krimkrieges war der Ruf nach einem Dictator allgemein, der Unwille über den Mangel -an Leitung fiel auf das entgegengesetzte Extrem, das sich ja, wie man sah, in Frankreich vortrefflich bewährte. Und dies war nicht blos etwa die Ansicht einiger Journalisten, man hörte sie von Parlamentsmitgliedern und bedeutenden Leuten. Indeß es geht hiemit wie mit dem Tadel der Engländer über ihre Institutionen überhaupt, wenn je¬ mand irgend etwas nicht ganz in Ordnung bei einer Sache findet, so spricht er in solchen Ausdrücken von derselben, als ob an ihr kein gutes Haar wäre; wenn der Engländer wunderlich wird, so wird er es auch gleich in ganz absonderlicher Weise. Ein schlagendes Beispiel dafür ist Thomas Car- lyle, der den Despotismus unter dem Namen lroro-vorslrix predigt; weil der moderne Parlamentarismus seiner Phantasie widersteht, so schwärmt er sür intelligente Autokraten, und behauptet, seit England den letzten dieses Schla¬ ges gehabt, Cromwell, gehe es fortwährend bergab, es geht jedenfalls damit langsam. Man liest seine Schriften, bewundert oder belächelt sie, handelt aber jedenfalls nach entgegengesetzten Principien; wenn irgend etwas nicht vor¬ wärts will, so ruft man: warum ist nicht ein großer Mann da, der die Sache durchführe? Kommt nun aber ein solcher und will sich über die Rechte und Gerechtsame der betreffenden britischen Unterthanen hinwegsetzen, so kann er sicher sein, den hartnäckigsten Widerstand bei ihnen zu finden, sie wissen in- stinctmäßig sehr wohl,, daß den Despotismus um eines vorübergehenden Be¬ dürfnisses willen einsetzen, heißt, den Baum umhauen, um eine Frucht er¬ reichen zu können, sie wissen, daß wenn andre Länder ihre Freiheit verspielt haben, England es noch nicht gethan, daß, wenn Frankreich eine starke Re¬ gierung will, England eine hat, welche stark und frei zugleich ist. Die grel¬ len Contraste aus beiden Seiten des Kanals werden, wie wir hoffen, vielen die Augen öffnen, welche noch vom Glanz des Imperialismus geblendet waren; hier Attentat, Sicherhcitsmaßregeln, Prätorianeradrcssen, Soldpresse,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/282>, abgerufen am 14.05.2024.