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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Naturalien wurden ausgeschrieben und auch durch solchen harten Druck die
Dorfbewohner zur Arbeit gezwungen. Allmälig besetzten sich die Dörfer wieder
mit Menschen. Viele Familien, die sich zur Kriegszeit in die Städte geflüchtet
hatten, besserten ihre verwüsteten Hofe aus, andere zogen aus dem Gebirge
oder der Fremde wieder zurück, auch verabschiedete Soldaten und Troßknechte
tauften von dem Nest ihrer Beute zuweilen Acker und ein leeres Haus oder
liefen zu dem heimischen Dorfe. -- Es wurde viel geheiratchet und eifrig getauft.




W. A. Mozart von Otto Jahr.

Dritter Theil. Mit Mozart's Bildniß nach Tischbein, und drei Notenbeilagen.
Leipzig, Breitkopf und Härtel. --

Es sei uns erlaubt, bei der Anzeige eines Werks, welches zu den wohl-
thuendsten Erscheinungen der neusten Zeit gehört, und welches in seiner Gat¬
tung als historische und kritische Analyse einer schöpferischen Naturkraft in
der ganzen Literatur ohne Gleichen ist, mit einem Tadel zu beginnen, einem
Tadel, in welchem zugleich ein mehr oder minder laut ausgesprochenes Mi߬
vergnügen des Publicums seinen bestimmteren Ausdruck finden soll. Ueber
die Tiefe der Forschung, die Feinheit des Urtheils und die warme Begeiste¬
rung, die sich in diesem Buch ausspricht, ist alle Welt einig; zugleich hört
man aber an verschiedenen Orten die Klage, daß es zu lang sei. Im ersten
Augenblick scheint diese Klage völlig unbegreiflich; denn lange Bücher sind
dem deutschen Publicum im Allgemeinen nicht fremd. und selbst in dieser be¬
stimmten Sphäre sind in den letzten Jahrzehnten eine Menge halb belle¬
tristischer, halb wissenschaftlicher Werke erschienen, die das Leben eines großen
Künstlers behandeln und an Umfang dem vorliegenden Buch nicht viel nach¬
geben. Diese Bücher haben ihr Publicum gefunden, obgleich sie meist ein
triviales artistisches Geschwätz in hochtrabenden Formen sind. Für den wahr¬
haft Gebildeten mußten diese leeren Fictionen eines sentimentalen Künstler-
thums ebenso langweilig sein, als die streng historische Darstellung Zahns
interessant ist, Ja, wenn wir davon absehn, was auf Rechnung der histori¬
schen Aufgabe des Buchs kommt, die erschöpfende Verarbeitung des Materials,
so behaupten wir. daß es zu den unterhaltendsten Büchern gehört, die man
sich überhaupt vorstellen kann. Freilich finden sich darin längere Besprechungen
von Musikstücken, die man wenig mehr aufführt, und die daher nur den¬
jenigen interessiren. der aus der Kunst ein eigentliches Studium macht, es
finden sich in den Anmerkungen und Zusätzen gelehrte Notizen, die nur auf


Naturalien wurden ausgeschrieben und auch durch solchen harten Druck die
Dorfbewohner zur Arbeit gezwungen. Allmälig besetzten sich die Dörfer wieder
mit Menschen. Viele Familien, die sich zur Kriegszeit in die Städte geflüchtet
hatten, besserten ihre verwüsteten Hofe aus, andere zogen aus dem Gebirge
oder der Fremde wieder zurück, auch verabschiedete Soldaten und Troßknechte
tauften von dem Nest ihrer Beute zuweilen Acker und ein leeres Haus oder
liefen zu dem heimischen Dorfe. — Es wurde viel geheiratchet und eifrig getauft.




W. A. Mozart von Otto Jahr.

Dritter Theil. Mit Mozart's Bildniß nach Tischbein, und drei Notenbeilagen.
Leipzig, Breitkopf und Härtel. —

Es sei uns erlaubt, bei der Anzeige eines Werks, welches zu den wohl-
thuendsten Erscheinungen der neusten Zeit gehört, und welches in seiner Gat¬
tung als historische und kritische Analyse einer schöpferischen Naturkraft in
der ganzen Literatur ohne Gleichen ist, mit einem Tadel zu beginnen, einem
Tadel, in welchem zugleich ein mehr oder minder laut ausgesprochenes Mi߬
vergnügen des Publicums seinen bestimmteren Ausdruck finden soll. Ueber
die Tiefe der Forschung, die Feinheit des Urtheils und die warme Begeiste¬
rung, die sich in diesem Buch ausspricht, ist alle Welt einig; zugleich hört
man aber an verschiedenen Orten die Klage, daß es zu lang sei. Im ersten
Augenblick scheint diese Klage völlig unbegreiflich; denn lange Bücher sind
dem deutschen Publicum im Allgemeinen nicht fremd. und selbst in dieser be¬
stimmten Sphäre sind in den letzten Jahrzehnten eine Menge halb belle¬
tristischer, halb wissenschaftlicher Werke erschienen, die das Leben eines großen
Künstlers behandeln und an Umfang dem vorliegenden Buch nicht viel nach¬
geben. Diese Bücher haben ihr Publicum gefunden, obgleich sie meist ein
triviales artistisches Geschwätz in hochtrabenden Formen sind. Für den wahr¬
haft Gebildeten mußten diese leeren Fictionen eines sentimentalen Künstler-
thums ebenso langweilig sein, als die streng historische Darstellung Zahns
interessant ist, Ja, wenn wir davon absehn, was auf Rechnung der histori¬
schen Aufgabe des Buchs kommt, die erschöpfende Verarbeitung des Materials,
so behaupten wir. daß es zu den unterhaltendsten Büchern gehört, die man
sich überhaupt vorstellen kann. Freilich finden sich darin längere Besprechungen
von Musikstücken, die man wenig mehr aufführt, und die daher nur den¬
jenigen interessiren. der aus der Kunst ein eigentliches Studium macht, es
finden sich in den Anmerkungen und Zusätzen gelehrte Notizen, die nur auf


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[0029] Naturalien wurden ausgeschrieben und auch durch solchen harten Druck die Dorfbewohner zur Arbeit gezwungen. Allmälig besetzten sich die Dörfer wieder mit Menschen. Viele Familien, die sich zur Kriegszeit in die Städte geflüchtet hatten, besserten ihre verwüsteten Hofe aus, andere zogen aus dem Gebirge oder der Fremde wieder zurück, auch verabschiedete Soldaten und Troßknechte tauften von dem Nest ihrer Beute zuweilen Acker und ein leeres Haus oder liefen zu dem heimischen Dorfe. — Es wurde viel geheiratchet und eifrig getauft. W. A. Mozart von Otto Jahr. Dritter Theil. Mit Mozart's Bildniß nach Tischbein, und drei Notenbeilagen. Leipzig, Breitkopf und Härtel. — Es sei uns erlaubt, bei der Anzeige eines Werks, welches zu den wohl- thuendsten Erscheinungen der neusten Zeit gehört, und welches in seiner Gat¬ tung als historische und kritische Analyse einer schöpferischen Naturkraft in der ganzen Literatur ohne Gleichen ist, mit einem Tadel zu beginnen, einem Tadel, in welchem zugleich ein mehr oder minder laut ausgesprochenes Mi߬ vergnügen des Publicums seinen bestimmteren Ausdruck finden soll. Ueber die Tiefe der Forschung, die Feinheit des Urtheils und die warme Begeiste¬ rung, die sich in diesem Buch ausspricht, ist alle Welt einig; zugleich hört man aber an verschiedenen Orten die Klage, daß es zu lang sei. Im ersten Augenblick scheint diese Klage völlig unbegreiflich; denn lange Bücher sind dem deutschen Publicum im Allgemeinen nicht fremd. und selbst in dieser be¬ stimmten Sphäre sind in den letzten Jahrzehnten eine Menge halb belle¬ tristischer, halb wissenschaftlicher Werke erschienen, die das Leben eines großen Künstlers behandeln und an Umfang dem vorliegenden Buch nicht viel nach¬ geben. Diese Bücher haben ihr Publicum gefunden, obgleich sie meist ein triviales artistisches Geschwätz in hochtrabenden Formen sind. Für den wahr¬ haft Gebildeten mußten diese leeren Fictionen eines sentimentalen Künstler- thums ebenso langweilig sein, als die streng historische Darstellung Zahns interessant ist, Ja, wenn wir davon absehn, was auf Rechnung der histori¬ schen Aufgabe des Buchs kommt, die erschöpfende Verarbeitung des Materials, so behaupten wir. daß es zu den unterhaltendsten Büchern gehört, die man sich überhaupt vorstellen kann. Freilich finden sich darin längere Besprechungen von Musikstücken, die man wenig mehr aufführt, und die daher nur den¬ jenigen interessiren. der aus der Kunst ein eigentliches Studium macht, es finden sich in den Anmerkungen und Zusätzen gelehrte Notizen, die nur auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/29>, abgerufen am 29.04.2024.