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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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vielen Punkten dein russischen entgegengesetzt, doch ins Auge gefaßt werden
I. S. muß, um die Physiologie dieses Begriffs zu vervollständigen.




Neue Arbeiten aus dem Gebiet der Naturlmssenschaft.

Wir beginnen mit einem Werk, das in den ersten Rang der wissenschaft¬
lichen Literatur gehört: Geschichte der Botanik, Studien von Ernst
Meyer. Vierter Band. (Königsberg, Bornträger). Eine zusammenhängende
Darstellung desselben behalten wir uns vor, hier machen wir nur darauf auf¬
merksam, eine wie reiche Ausbeute auch die allgemeine Culturgeschichte daraus
gewinnt. -- Der vierte Band geht von dem Zeitalter Albert des Großen aus,
in welchem die Werke des Aristoteles einen immer durchgreifenderen Einfluß
ausübten. Trotz der kirchlichen Verbote legten sich Albert der Große und sein
Schüler Thomas Aquinas mit Eifer auf die Auslegung des großen Philoso¬
phen: ich sehe keinen Ausweg, sagt der Verfasser, diese und andre Theologen
jener Zeit vor dem Vorwurf des Ungehorsams gegen das Kirchenregiment zu
schützen, und finde ihre einzige Entschuldigung in der unwiderstehlichen Macht
des aristotelischen Geistes, der ich es zugleich zuschreibe, daß die, Kirche auf
ihr eignes Gebot nicht nachdrücklicher hielt. -- Nun leuchtet ein, welchen Ein¬
fluß die aristotelischen Werke auf die damals allgemein verbreitete verächtliche
Vorstellung von der Natur ausüben .mußten. Nur die frühern, dem classischen
Alterthum noch näher stehenden Kirchenväter hatten die Natur als einen Spie¬
gel göttlicher Weisheit angesehn und in ihren homiletischen Schriften darge¬
stellt; den spätern erschien sie mehr und mehr im trüben Wiederschein ihrer
Teufelslehre als ein Zerrbild ihres phantastisch aufgeschmückten Paradieses,
nur geeignet, die lediglich für eine höhere Welt erschaffenen Menschen durch
Sinnenlust zu umstricken und in Verdammnis; zu stürzen. Bei ihnen stand
daher jeder Arzt, Philosoph oder einfache Freund der Natur im Verdacht der
Zauberei. Wie dagegen Aristoteles die Welt darstellte, so war sie ein wunder¬
voll harmonisches Geflecht vernünftiger Mittel und Zwecke, und die Erforschung
derselben erschien als des denkenden Menschen würdigste Aufgabe. Gar selt¬
sam mußte der plötzliche Uebergang von jener zu dieser Ansicht edlere Gemüther
aufregen; er Hütte sie vielleicht in das entgegengesetzte Extrem getrieben, wäre
ihnen nicht die lange Gewohnheit geistiger Zucht zu Hilfe gekommen, sie vor.
Ueberstürzung zu bewahren. Weit entfernt, sich an der Hand'des Aristoteles
von der Fessel des strengen Kirchcnglaubens loszumachen, setzte man sich selbst
in ihm einen zweiten Zuchtmeister, dein man sich freiwillig unterwarf. Zeig¬
ten sich auch unverkennbare Verschiedenheiten zwischen seiner Lehre und der der


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vielen Punkten dein russischen entgegengesetzt, doch ins Auge gefaßt werden
I. S. muß, um die Physiologie dieses Begriffs zu vervollständigen.




Neue Arbeiten aus dem Gebiet der Naturlmssenschaft.

Wir beginnen mit einem Werk, das in den ersten Rang der wissenschaft¬
lichen Literatur gehört: Geschichte der Botanik, Studien von Ernst
Meyer. Vierter Band. (Königsberg, Bornträger). Eine zusammenhängende
Darstellung desselben behalten wir uns vor, hier machen wir nur darauf auf¬
merksam, eine wie reiche Ausbeute auch die allgemeine Culturgeschichte daraus
gewinnt. — Der vierte Band geht von dem Zeitalter Albert des Großen aus,
in welchem die Werke des Aristoteles einen immer durchgreifenderen Einfluß
ausübten. Trotz der kirchlichen Verbote legten sich Albert der Große und sein
Schüler Thomas Aquinas mit Eifer auf die Auslegung des großen Philoso¬
phen: ich sehe keinen Ausweg, sagt der Verfasser, diese und andre Theologen
jener Zeit vor dem Vorwurf des Ungehorsams gegen das Kirchenregiment zu
schützen, und finde ihre einzige Entschuldigung in der unwiderstehlichen Macht
des aristotelischen Geistes, der ich es zugleich zuschreibe, daß die, Kirche auf
ihr eignes Gebot nicht nachdrücklicher hielt. — Nun leuchtet ein, welchen Ein¬
fluß die aristotelischen Werke auf die damals allgemein verbreitete verächtliche
Vorstellung von der Natur ausüben .mußten. Nur die frühern, dem classischen
Alterthum noch näher stehenden Kirchenväter hatten die Natur als einen Spie¬
gel göttlicher Weisheit angesehn und in ihren homiletischen Schriften darge¬
stellt; den spätern erschien sie mehr und mehr im trüben Wiederschein ihrer
Teufelslehre als ein Zerrbild ihres phantastisch aufgeschmückten Paradieses,
nur geeignet, die lediglich für eine höhere Welt erschaffenen Menschen durch
Sinnenlust zu umstricken und in Verdammnis; zu stürzen. Bei ihnen stand
daher jeder Arzt, Philosoph oder einfache Freund der Natur im Verdacht der
Zauberei. Wie dagegen Aristoteles die Welt darstellte, so war sie ein wunder¬
voll harmonisches Geflecht vernünftiger Mittel und Zwecke, und die Erforschung
derselben erschien als des denkenden Menschen würdigste Aufgabe. Gar selt¬
sam mußte der plötzliche Uebergang von jener zu dieser Ansicht edlere Gemüther
aufregen; er Hütte sie vielleicht in das entgegengesetzte Extrem getrieben, wäre
ihnen nicht die lange Gewohnheit geistiger Zucht zu Hilfe gekommen, sie vor.
Ueberstürzung zu bewahren. Weit entfernt, sich an der Hand'des Aristoteles
von der Fessel des strengen Kirchcnglaubens loszumachen, setzte man sich selbst
in ihm einen zweiten Zuchtmeister, dein man sich freiwillig unterwarf. Zeig¬
ten sich auch unverkennbare Verschiedenheiten zwischen seiner Lehre und der der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/315>, abgerufen am 29.04.2024.