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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Kirche, so zweifelte man doch nicht, daß sie nur auf Mißverständnissen beruh¬
ten, welche aufzuklären nun die Aufgabe der Wissenschaft sei. -- Auf diese
Periode folgt vom Ende des 13. bis zur zweiten Hälfte des 15. Jahrhun¬
derts ein noch völlig rüthselhaftcr Zeitraum, in welchem es an Anregungen
nicht fehlte -- so gaben namentlich die zahlreichen Reisen Gelegenheit, sich auch
in der Botanik umzusehn -- in welchem aber für diese Wissenschaft nichts
geschah. -- Ganz anders wurde es in der Renaissance, als sich in dem wieder-
aufgefundenen Griechenthum den Abendländern, wie nach langen schweren
Träumen, eine Verlorne Welt ausschloß. Von den Dichtern, Philosophen,
Historikern und Rednern wandte man sich in rastloser Thätigkeit bald auch zu
den stets hochgeehrten, doch kaum weiter als den Namen nach bekannten alten
Meistern der Naturwissenschaft, zu Aristoteles, Theophrast, Diostoridcs. Pli-
nius. Aber weit entfernt, sich jedem ihrer falsch oder richtig verstandenen
Aussprüche wie früher sklavisch zu unterwerfen, suchte man vielmehr ihre ver¬
dorbenen Texte durch Vergleichung der Handschriften zu berichtigen, verglich
einen Schriftsteller mit dem andern, stieß auf Widersprüche, unterzog sich im¬
mer kühner und sicherer.der Such- wie der Wortkritik, und thatvendlich den
entscheidenden Schritt: man kehrte von der überlieferten Naturwissenschaft zur
Natur selbst zurück. -- So war denn die Zeit vorbereitet, wo die Naturkunde
sich in den Rang der freien Wissenschaft erheben konnte: sie beginnt um 1530
mit Otto Braunfels, und mit der Darstellung dieser Übergangsperiode schließt
der 4. Bd. -- Auch in diesem Wendepunkt der Cultur fehlt es nicht an den¬
selben Erscheinungen, die uns zu Anfang dieses Jahrhunderts begegnen. "An
Obscuranten," sagt der Verfasser, "hat es nie gefehlt, so wie ihnen nie an gläu-
bigen Verehrern; die Wissenschaft schreitet achtlos an ihnen vorüber. Aber
auch wahrhaft geniale Männer verirren sich bisweilen in die dunkeln Regio¬
nen der Mystik und selbst des Aberglaubens, und wühlten im Gefühl ihrer
Überlegenheit über das gewöhnliche Maß unsrer Einsicht und Thatkraft die
ewigen Grenzen der Menschheit überschreiten zu können. Von ihnen gehn in
der Wissenschaft wie im Leben oft große Wirkungen aus. Schwache Köpfe
verwirren sie wol gar bis zur Verrücktheit, begabtere Naturen rütteln sie aus
aus dem Schlendrian ausgetretener Bahnen, durchbrechen verjährte Vorurtheile,
und erreichen oft glücklich, was den Vorgängern für unerreichbar galt." --

Man darf keineswegs annehmen, die Naturphilosophie sei bereits aus¬
gestorben; fortwährend machen uns neue Erscheinungen aufmerksam, wie noth¬
wendig es noch immer ist, die willkürliche Combination auf dem Gebiet der
Wissenschaft zu bekämpfen. Von einem der geistvollsten unter den Veteranen
dieser Schule, Geheimerath v. Schubert zu München, ist das Lehrbuch
der Sternkunde für Schulen und zum Selbstunterricht in dritter, großen-
theils ganz umgearbeiteter Auflage erschienen (Frankfurt a. M., Heyder und


Kirche, so zweifelte man doch nicht, daß sie nur auf Mißverständnissen beruh¬
ten, welche aufzuklären nun die Aufgabe der Wissenschaft sei. — Auf diese
Periode folgt vom Ende des 13. bis zur zweiten Hälfte des 15. Jahrhun¬
derts ein noch völlig rüthselhaftcr Zeitraum, in welchem es an Anregungen
nicht fehlte — so gaben namentlich die zahlreichen Reisen Gelegenheit, sich auch
in der Botanik umzusehn — in welchem aber für diese Wissenschaft nichts
geschah. — Ganz anders wurde es in der Renaissance, als sich in dem wieder-
aufgefundenen Griechenthum den Abendländern, wie nach langen schweren
Träumen, eine Verlorne Welt ausschloß. Von den Dichtern, Philosophen,
Historikern und Rednern wandte man sich in rastloser Thätigkeit bald auch zu
den stets hochgeehrten, doch kaum weiter als den Namen nach bekannten alten
Meistern der Naturwissenschaft, zu Aristoteles, Theophrast, Diostoridcs. Pli-
nius. Aber weit entfernt, sich jedem ihrer falsch oder richtig verstandenen
Aussprüche wie früher sklavisch zu unterwerfen, suchte man vielmehr ihre ver¬
dorbenen Texte durch Vergleichung der Handschriften zu berichtigen, verglich
einen Schriftsteller mit dem andern, stieß auf Widersprüche, unterzog sich im¬
mer kühner und sicherer.der Such- wie der Wortkritik, und thatvendlich den
entscheidenden Schritt: man kehrte von der überlieferten Naturwissenschaft zur
Natur selbst zurück. — So war denn die Zeit vorbereitet, wo die Naturkunde
sich in den Rang der freien Wissenschaft erheben konnte: sie beginnt um 1530
mit Otto Braunfels, und mit der Darstellung dieser Übergangsperiode schließt
der 4. Bd. — Auch in diesem Wendepunkt der Cultur fehlt es nicht an den¬
selben Erscheinungen, die uns zu Anfang dieses Jahrhunderts begegnen. „An
Obscuranten," sagt der Verfasser, „hat es nie gefehlt, so wie ihnen nie an gläu-
bigen Verehrern; die Wissenschaft schreitet achtlos an ihnen vorüber. Aber
auch wahrhaft geniale Männer verirren sich bisweilen in die dunkeln Regio¬
nen der Mystik und selbst des Aberglaubens, und wühlten im Gefühl ihrer
Überlegenheit über das gewöhnliche Maß unsrer Einsicht und Thatkraft die
ewigen Grenzen der Menschheit überschreiten zu können. Von ihnen gehn in
der Wissenschaft wie im Leben oft große Wirkungen aus. Schwache Köpfe
verwirren sie wol gar bis zur Verrücktheit, begabtere Naturen rütteln sie aus
aus dem Schlendrian ausgetretener Bahnen, durchbrechen verjährte Vorurtheile,
und erreichen oft glücklich, was den Vorgängern für unerreichbar galt." —

Man darf keineswegs annehmen, die Naturphilosophie sei bereits aus¬
gestorben; fortwährend machen uns neue Erscheinungen aufmerksam, wie noth¬
wendig es noch immer ist, die willkürliche Combination auf dem Gebiet der
Wissenschaft zu bekämpfen. Von einem der geistvollsten unter den Veteranen
dieser Schule, Geheimerath v. Schubert zu München, ist das Lehrbuch
der Sternkunde für Schulen und zum Selbstunterricht in dritter, großen-
theils ganz umgearbeiteter Auflage erschienen (Frankfurt a. M., Heyder und


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[0316] Kirche, so zweifelte man doch nicht, daß sie nur auf Mißverständnissen beruh¬ ten, welche aufzuklären nun die Aufgabe der Wissenschaft sei. — Auf diese Periode folgt vom Ende des 13. bis zur zweiten Hälfte des 15. Jahrhun¬ derts ein noch völlig rüthselhaftcr Zeitraum, in welchem es an Anregungen nicht fehlte — so gaben namentlich die zahlreichen Reisen Gelegenheit, sich auch in der Botanik umzusehn — in welchem aber für diese Wissenschaft nichts geschah. — Ganz anders wurde es in der Renaissance, als sich in dem wieder- aufgefundenen Griechenthum den Abendländern, wie nach langen schweren Träumen, eine Verlorne Welt ausschloß. Von den Dichtern, Philosophen, Historikern und Rednern wandte man sich in rastloser Thätigkeit bald auch zu den stets hochgeehrten, doch kaum weiter als den Namen nach bekannten alten Meistern der Naturwissenschaft, zu Aristoteles, Theophrast, Diostoridcs. Pli- nius. Aber weit entfernt, sich jedem ihrer falsch oder richtig verstandenen Aussprüche wie früher sklavisch zu unterwerfen, suchte man vielmehr ihre ver¬ dorbenen Texte durch Vergleichung der Handschriften zu berichtigen, verglich einen Schriftsteller mit dem andern, stieß auf Widersprüche, unterzog sich im¬ mer kühner und sicherer.der Such- wie der Wortkritik, und thatvendlich den entscheidenden Schritt: man kehrte von der überlieferten Naturwissenschaft zur Natur selbst zurück. — So war denn die Zeit vorbereitet, wo die Naturkunde sich in den Rang der freien Wissenschaft erheben konnte: sie beginnt um 1530 mit Otto Braunfels, und mit der Darstellung dieser Übergangsperiode schließt der 4. Bd. — Auch in diesem Wendepunkt der Cultur fehlt es nicht an den¬ selben Erscheinungen, die uns zu Anfang dieses Jahrhunderts begegnen. „An Obscuranten," sagt der Verfasser, „hat es nie gefehlt, so wie ihnen nie an gläu- bigen Verehrern; die Wissenschaft schreitet achtlos an ihnen vorüber. Aber auch wahrhaft geniale Männer verirren sich bisweilen in die dunkeln Regio¬ nen der Mystik und selbst des Aberglaubens, und wühlten im Gefühl ihrer Überlegenheit über das gewöhnliche Maß unsrer Einsicht und Thatkraft die ewigen Grenzen der Menschheit überschreiten zu können. Von ihnen gehn in der Wissenschaft wie im Leben oft große Wirkungen aus. Schwache Köpfe verwirren sie wol gar bis zur Verrücktheit, begabtere Naturen rütteln sie aus aus dem Schlendrian ausgetretener Bahnen, durchbrechen verjährte Vorurtheile, und erreichen oft glücklich, was den Vorgängern für unerreichbar galt." — Man darf keineswegs annehmen, die Naturphilosophie sei bereits aus¬ gestorben; fortwährend machen uns neue Erscheinungen aufmerksam, wie noth¬ wendig es noch immer ist, die willkürliche Combination auf dem Gebiet der Wissenschaft zu bekämpfen. Von einem der geistvollsten unter den Veteranen dieser Schule, Geheimerath v. Schubert zu München, ist das Lehrbuch der Sternkunde für Schulen und zum Selbstunterricht in dritter, großen- theils ganz umgearbeiteter Auflage erschienen (Frankfurt a. M., Heyder und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/316>, abgerufen am 15.05.2024.