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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Die preußischen Justizreformen seit 1848.

Wir haben die Geschwornengerichte in dem Bisherigen schon öfters er¬
wähnen müssen.*) Auch sie sind für Preußen als allgemeines Institut erst
eine Folge der Bewegung von 1848, während sie früher nur in der Rhein¬
provinz und einigen kleinen südwestlichen Staaten als Ueberbleibsel der fran¬
zösischen Herrschaft bestanden und dort mit Stolz als ein Vorzug vor dem
ganzen übrigen Deutschland bewahrt wurden. Wenn das französische Vorbild
-- und nicht einmal in der verbesserten Form, die es seit 1327 in Frankreich'
erhalten hatte, --- bei ihrer Uebertragung in unsre Gerichtsverfassung maßgebend
war, so findet das leicht seine Erklärung in den damaligen Verhältnissen.
Man wünschte die Geschwornengerichte allgemein, weil man sie aus einem
gewissen Jnstinct für eine höchst liberale politische Institution hielt; aber von
ihrem Wesen verstanden im Grunde nur sehr wenige etwas, und sie praktisch
handhaben zu können dursten sich vorerst nur die rheinischen Juristen zutraun,
welche seit einem Menschenalter wirklich besessen, was die Uebrigen seit eben
so lange nur ersehnt hatten. So gewannen sie bei den neuen Reformen die
gewichtigste Stimme und beeilten sich, die altbekannten lieben Einrichtungen
so getreu als möglich nachzubilden. Der charakteristisch rheinisch-französische
Zug in unserem Justizwesen seit jener Zeit ist ein Denkmal ihres Erfolges.

Wenn einmal im Handumdrehen die Verheißung des öffentlichen Ver¬
fahrens vor Geschwornen gewährt werden sollte und mußte, können wir
mit der Herübernahme der rheinischen Geschwornengerichte noch immer.sehr
zufrieden sein; manches, was in den Händen französischer Pnifecten und
Bourgeois unerträglich gewesen wäre, hatte sich bei dem gewissenhafteren
Wesen deutscher Beamten und Geschwornen unverfänglich gezeigt. Die
Schwurgerichte waren den Rheinländern ans Herz gewachsen, und ein Schrei
des Unwillens hatte die Provinz durchhallt, als das Ministerium Neigung
gezeigt hatte, sie zu beseitigen. Vor allem hatten sie sich in dieser Form
seit einer Reihe von Jahren, wenn auch nur als isolirtes Provinzialinstitut,
bewährt und konnten wenigstens als lebensfähiger Anfang gelten. Das Pro-



S, Heft 29, d, Bl.
Grenzboten III. 1858.Ili
Die preußischen Justizreformen seit 1848.

Wir haben die Geschwornengerichte in dem Bisherigen schon öfters er¬
wähnen müssen.*) Auch sie sind für Preußen als allgemeines Institut erst
eine Folge der Bewegung von 1848, während sie früher nur in der Rhein¬
provinz und einigen kleinen südwestlichen Staaten als Ueberbleibsel der fran¬
zösischen Herrschaft bestanden und dort mit Stolz als ein Vorzug vor dem
ganzen übrigen Deutschland bewahrt wurden. Wenn das französische Vorbild
— und nicht einmal in der verbesserten Form, die es seit 1327 in Frankreich'
erhalten hatte, -— bei ihrer Uebertragung in unsre Gerichtsverfassung maßgebend
war, so findet das leicht seine Erklärung in den damaligen Verhältnissen.
Man wünschte die Geschwornengerichte allgemein, weil man sie aus einem
gewissen Jnstinct für eine höchst liberale politische Institution hielt; aber von
ihrem Wesen verstanden im Grunde nur sehr wenige etwas, und sie praktisch
handhaben zu können dursten sich vorerst nur die rheinischen Juristen zutraun,
welche seit einem Menschenalter wirklich besessen, was die Uebrigen seit eben
so lange nur ersehnt hatten. So gewannen sie bei den neuen Reformen die
gewichtigste Stimme und beeilten sich, die altbekannten lieben Einrichtungen
so getreu als möglich nachzubilden. Der charakteristisch rheinisch-französische
Zug in unserem Justizwesen seit jener Zeit ist ein Denkmal ihres Erfolges.

Wenn einmal im Handumdrehen die Verheißung des öffentlichen Ver¬
fahrens vor Geschwornen gewährt werden sollte und mußte, können wir
mit der Herübernahme der rheinischen Geschwornengerichte noch immer.sehr
zufrieden sein; manches, was in den Händen französischer Pnifecten und
Bourgeois unerträglich gewesen wäre, hatte sich bei dem gewissenhafteren
Wesen deutscher Beamten und Geschwornen unverfänglich gezeigt. Die
Schwurgerichte waren den Rheinländern ans Herz gewachsen, und ein Schrei
des Unwillens hatte die Provinz durchhallt, als das Ministerium Neigung
gezeigt hatte, sie zu beseitigen. Vor allem hatten sie sich in dieser Form
seit einer Reihe von Jahren, wenn auch nur als isolirtes Provinzialinstitut,
bewährt und konnten wenigstens als lebensfähiger Anfang gelten. Das Pro-



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[0129] Die preußischen Justizreformen seit 1848. Wir haben die Geschwornengerichte in dem Bisherigen schon öfters er¬ wähnen müssen.*) Auch sie sind für Preußen als allgemeines Institut erst eine Folge der Bewegung von 1848, während sie früher nur in der Rhein¬ provinz und einigen kleinen südwestlichen Staaten als Ueberbleibsel der fran¬ zösischen Herrschaft bestanden und dort mit Stolz als ein Vorzug vor dem ganzen übrigen Deutschland bewahrt wurden. Wenn das französische Vorbild — und nicht einmal in der verbesserten Form, die es seit 1327 in Frankreich' erhalten hatte, -— bei ihrer Uebertragung in unsre Gerichtsverfassung maßgebend war, so findet das leicht seine Erklärung in den damaligen Verhältnissen. Man wünschte die Geschwornengerichte allgemein, weil man sie aus einem gewissen Jnstinct für eine höchst liberale politische Institution hielt; aber von ihrem Wesen verstanden im Grunde nur sehr wenige etwas, und sie praktisch handhaben zu können dursten sich vorerst nur die rheinischen Juristen zutraun, welche seit einem Menschenalter wirklich besessen, was die Uebrigen seit eben so lange nur ersehnt hatten. So gewannen sie bei den neuen Reformen die gewichtigste Stimme und beeilten sich, die altbekannten lieben Einrichtungen so getreu als möglich nachzubilden. Der charakteristisch rheinisch-französische Zug in unserem Justizwesen seit jener Zeit ist ein Denkmal ihres Erfolges. Wenn einmal im Handumdrehen die Verheißung des öffentlichen Ver¬ fahrens vor Geschwornen gewährt werden sollte und mußte, können wir mit der Herübernahme der rheinischen Geschwornengerichte noch immer.sehr zufrieden sein; manches, was in den Händen französischer Pnifecten und Bourgeois unerträglich gewesen wäre, hatte sich bei dem gewissenhafteren Wesen deutscher Beamten und Geschwornen unverfänglich gezeigt. Die Schwurgerichte waren den Rheinländern ans Herz gewachsen, und ein Schrei des Unwillens hatte die Provinz durchhallt, als das Ministerium Neigung gezeigt hatte, sie zu beseitigen. Vor allem hatten sie sich in dieser Form seit einer Reihe von Jahren, wenn auch nur als isolirtes Provinzialinstitut, bewährt und konnten wenigstens als lebensfähiger Anfang gelten. Das Pro- S, Heft 29, d, Bl. Grenzboten III. 1858.Ili

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/129>, abgerufen am 05.05.2024.