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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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bleiben muß, wo die Staatseinmischung ebenso undurchführbar wie verderblich
erscheint, und die Grundlagen der Gesellschaft erschüttert. Die Zunft dagegen
ist revolutionär. Denn zur Zeit ihrer Blüte war sie die Selbsthilfe auf poli¬
tischem Gebiet, welche wider den Begriff des Staates streitet, in die Aufgabe
der Staatsgewalt störend eingreift. Und nun ihr im Laufe der -Zeit dieser
ihr ursprünglicher Inhalt verloren gegangen ist, wird sie. schwankend zwi¬
schen den Traditionen ihrer Vergangenheit und dem Bedürfniß der Gegen¬
wart, einem wirthschaftlichen Zweck mit politischen Mitteln nachjagend, zur
Reaction gegen den industriellen Fortschritt im Allgemeinen, wie zum Attentat
gegen das gleiche Recht aller auf freie Erwerbsthätigkeit: somit aber wieder
zur allergefährlichsten Revolution, welche tieser, als die Umgestaltung einer
politischen Staatsform, die Gesellschaft in einem ihrer Fundamente bedroht-
Zum Glück liegt indessen der Erfolg der zünftlerischen Bestrebungen auf die
Dauer im Reiche der Unmöglichkeit, und wir sehn sie vor dem gebieterischen
Interesse des Tages immermehr in ihre Nichtigkeit zurückfallen und sich selber
durch das kindische Spiel mit den ihnen gemachten Concessionen vor den
Zeitgenossen das Urtheil sprechen. Wenn z. B. der berliner Gewerberath noch
Anfang Juni dieses Jahres in feierlicher Sitzung das Publicum mit der gro¬
ßen Entdeckung bereicherte:


daß die Anfertigung von Bonbons als freie Arbeit den Fabriken a>"
stattet; dagegen die Bereitung von Zuckererbsen ein Zweig der Condi-
torei sei, wozu jemand handwerksmäßig gebildet und geprüft sein muß/)

(u. tgi. ließe sich massenhaft beibringen!) so kann dies doch nur dazu dienen,
die äußerste Lächerlichkeit über ein solches Treiben heraufzubeschwören, worin
wir den letzten Grad der Berkommenht.it erblicken, mit dem lebhaften Wunsche
daß sich zum Besten aller Betheiligten unter unsern Gesetzgebern recht bald
der Mann fände, der die Todten zur ewigen Ruhe bestatte.


S. D.


Die Erzgcbirger.
3.
Das deutsche Manchester und die Kohlenschätze von Zwickau.

Wenn jemand eine Karte des Erzgebirgs zeichnen wollte, welche die rauw'
liebe Verbreitung der Industriezweige desselben aufzeigte, so würde dieselbe



*) Vrgl. No. 261 der Nationalzeitung v. diesem Jahre.

bleiben muß, wo die Staatseinmischung ebenso undurchführbar wie verderblich
erscheint, und die Grundlagen der Gesellschaft erschüttert. Die Zunft dagegen
ist revolutionär. Denn zur Zeit ihrer Blüte war sie die Selbsthilfe auf poli¬
tischem Gebiet, welche wider den Begriff des Staates streitet, in die Aufgabe
der Staatsgewalt störend eingreift. Und nun ihr im Laufe der -Zeit dieser
ihr ursprünglicher Inhalt verloren gegangen ist, wird sie. schwankend zwi¬
schen den Traditionen ihrer Vergangenheit und dem Bedürfniß der Gegen¬
wart, einem wirthschaftlichen Zweck mit politischen Mitteln nachjagend, zur
Reaction gegen den industriellen Fortschritt im Allgemeinen, wie zum Attentat
gegen das gleiche Recht aller auf freie Erwerbsthätigkeit: somit aber wieder
zur allergefährlichsten Revolution, welche tieser, als die Umgestaltung einer
politischen Staatsform, die Gesellschaft in einem ihrer Fundamente bedroht-
Zum Glück liegt indessen der Erfolg der zünftlerischen Bestrebungen auf die
Dauer im Reiche der Unmöglichkeit, und wir sehn sie vor dem gebieterischen
Interesse des Tages immermehr in ihre Nichtigkeit zurückfallen und sich selber
durch das kindische Spiel mit den ihnen gemachten Concessionen vor den
Zeitgenossen das Urtheil sprechen. Wenn z. B. der berliner Gewerberath noch
Anfang Juni dieses Jahres in feierlicher Sitzung das Publicum mit der gro¬
ßen Entdeckung bereicherte:


daß die Anfertigung von Bonbons als freie Arbeit den Fabriken a>"
stattet; dagegen die Bereitung von Zuckererbsen ein Zweig der Condi-
torei sei, wozu jemand handwerksmäßig gebildet und geprüft sein muß/)

(u. tgi. ließe sich massenhaft beibringen!) so kann dies doch nur dazu dienen,
die äußerste Lächerlichkeit über ein solches Treiben heraufzubeschwören, worin
wir den letzten Grad der Berkommenht.it erblicken, mit dem lebhaften Wunsche
daß sich zum Besten aller Betheiligten unter unsern Gesetzgebern recht bald
der Mann fände, der die Todten zur ewigen Ruhe bestatte.


S. D.


Die Erzgcbirger.
3.
Das deutsche Manchester und die Kohlenschätze von Zwickau.

Wenn jemand eine Karte des Erzgebirgs zeichnen wollte, welche die rauw'
liebe Verbreitung der Industriezweige desselben aufzeigte, so würde dieselbe



*) Vrgl. No. 261 der Nationalzeitung v. diesem Jahre.
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[0184] bleiben muß, wo die Staatseinmischung ebenso undurchführbar wie verderblich erscheint, und die Grundlagen der Gesellschaft erschüttert. Die Zunft dagegen ist revolutionär. Denn zur Zeit ihrer Blüte war sie die Selbsthilfe auf poli¬ tischem Gebiet, welche wider den Begriff des Staates streitet, in die Aufgabe der Staatsgewalt störend eingreift. Und nun ihr im Laufe der -Zeit dieser ihr ursprünglicher Inhalt verloren gegangen ist, wird sie. schwankend zwi¬ schen den Traditionen ihrer Vergangenheit und dem Bedürfniß der Gegen¬ wart, einem wirthschaftlichen Zweck mit politischen Mitteln nachjagend, zur Reaction gegen den industriellen Fortschritt im Allgemeinen, wie zum Attentat gegen das gleiche Recht aller auf freie Erwerbsthätigkeit: somit aber wieder zur allergefährlichsten Revolution, welche tieser, als die Umgestaltung einer politischen Staatsform, die Gesellschaft in einem ihrer Fundamente bedroht- Zum Glück liegt indessen der Erfolg der zünftlerischen Bestrebungen auf die Dauer im Reiche der Unmöglichkeit, und wir sehn sie vor dem gebieterischen Interesse des Tages immermehr in ihre Nichtigkeit zurückfallen und sich selber durch das kindische Spiel mit den ihnen gemachten Concessionen vor den Zeitgenossen das Urtheil sprechen. Wenn z. B. der berliner Gewerberath noch Anfang Juni dieses Jahres in feierlicher Sitzung das Publicum mit der gro¬ ßen Entdeckung bereicherte: daß die Anfertigung von Bonbons als freie Arbeit den Fabriken a>" stattet; dagegen die Bereitung von Zuckererbsen ein Zweig der Condi- torei sei, wozu jemand handwerksmäßig gebildet und geprüft sein muß/) (u. tgi. ließe sich massenhaft beibringen!) so kann dies doch nur dazu dienen, die äußerste Lächerlichkeit über ein solches Treiben heraufzubeschwören, worin wir den letzten Grad der Berkommenht.it erblicken, mit dem lebhaften Wunsche daß sich zum Besten aller Betheiligten unter unsern Gesetzgebern recht bald der Mann fände, der die Todten zur ewigen Ruhe bestatte. S. D. Die Erzgcbirger. 3. Das deutsche Manchester und die Kohlenschätze von Zwickau. Wenn jemand eine Karte des Erzgebirgs zeichnen wollte, welche die rauw' liebe Verbreitung der Industriezweige desselben aufzeigte, so würde dieselbe *) Vrgl. No. 261 der Nationalzeitung v. diesem Jahre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/184>, abgerufen am 28.04.2024.