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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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den Blick die Ruinen der Burg Albin, des alten Oastsllum ?ereN'inoruM,
auf dem noch lange nach dem Fall von Ptolemais. der letzten größern Zufluchts¬
stätte des Christenthums in Palästina, das Panier der Kreuzfahrer flatterte.
Im Norden schimmerte über der schöngeschweiften Bucht von Chaifa die Stadt
Se. Jean d'Acre mit ihren weißen Minarets und Kuppeln vom rothen Schein
des Abends angestrahlt. Dahinter dämmerte über einem zweiten Meerbusen
das weißgraue Vorgebirge der lyrischen Leiter, jetzt prosaischer Capo Bianco
genannt. Im Nordosten endlich thürmten sich mit ihren schneeigen Gipfeln
die gewaltigen Massen des Libanon, und Antilibanon empor. Mit diesem
Blick nahmen wir Abschied von dem heiligen Lande. Am,nächsten Tage
schliefen wir bereits in Phönizien, und vier Tage später trug mich und den
Lieutenant der russische Postdampfer -- vermuthlich für immer -- von den
M. B. syrischen Küsten hinweg.




Zur Geschichte des Glases.

Als wir vor drei Monaten über die Stätte zwischen Libanon und Meer
ritten, wo Plinius uns jenes kieselsaure Salz erfinden läßt, welches die Prosa
des gewöhnlichen Lebens Glas nennt, kamen uns mancherlei Gedanken in den
Sinn, bei deren Zusammenstellung es uns schien, als ob sich auch diesem All¬
tagsartikel eine poetische Seite abgewinnen ließe. Wir dachten an die Sage,
und sie löste sich in nichts auf, da an einem bloßen Kochfeucr kein Kiesel
zerschmelzen kann. Wir sahen dagegen die ungeheure Stufenleiter, welche die
Geschichte der Erfindung darstellt, und erblickten darin in gewissem Sinn die
Geschichte der Menschheit. Wir stellten uns den ersten Menschen vor, dem aus
seinem Töpfer- oder Kalkofen ein Glasfluß herabrann, erinnerten uns des gläsernen
Bergs im Märchen des Mittelalters und gedachten des Glaspalastcs andrer
Märchen, der jetzt eine riesenhafte Wirklichkeit ist. Andere Gedanken tauchten
auf, und wir sahen die Geister der Culturgeschichte an jenem einfachen ersten
Glasfluß hämmern und schleifen, glühen und gießen, bis aus ihm jene
wunderbaren Augen geworden waren, vor denen kein Wunder mehr besteht-
das tiesdringende Auge des Mikroskops, mit dem wir nahe dabei sind, zu
erkennen, "was die Welt im Innersten zusammenhält," das weitreichende
Auge des Teleskops, welches die Nebel der Milchstraße in zählbare und me߬
bare Sterne auflöst. Was sind dagegen die hundert Augen des alten Argus,
was ist dagegen das scharfe Gesicht des Mannes im Märchen, der durch sieben


den Blick die Ruinen der Burg Albin, des alten Oastsllum ?ereN'inoruM,
auf dem noch lange nach dem Fall von Ptolemais. der letzten größern Zufluchts¬
stätte des Christenthums in Palästina, das Panier der Kreuzfahrer flatterte.
Im Norden schimmerte über der schöngeschweiften Bucht von Chaifa die Stadt
Se. Jean d'Acre mit ihren weißen Minarets und Kuppeln vom rothen Schein
des Abends angestrahlt. Dahinter dämmerte über einem zweiten Meerbusen
das weißgraue Vorgebirge der lyrischen Leiter, jetzt prosaischer Capo Bianco
genannt. Im Nordosten endlich thürmten sich mit ihren schneeigen Gipfeln
die gewaltigen Massen des Libanon, und Antilibanon empor. Mit diesem
Blick nahmen wir Abschied von dem heiligen Lande. Am,nächsten Tage
schliefen wir bereits in Phönizien, und vier Tage später trug mich und den
Lieutenant der russische Postdampfer — vermuthlich für immer — von den
M. B. syrischen Küsten hinweg.




Zur Geschichte des Glases.

Als wir vor drei Monaten über die Stätte zwischen Libanon und Meer
ritten, wo Plinius uns jenes kieselsaure Salz erfinden läßt, welches die Prosa
des gewöhnlichen Lebens Glas nennt, kamen uns mancherlei Gedanken in den
Sinn, bei deren Zusammenstellung es uns schien, als ob sich auch diesem All¬
tagsartikel eine poetische Seite abgewinnen ließe. Wir dachten an die Sage,
und sie löste sich in nichts auf, da an einem bloßen Kochfeucr kein Kiesel
zerschmelzen kann. Wir sahen dagegen die ungeheure Stufenleiter, welche die
Geschichte der Erfindung darstellt, und erblickten darin in gewissem Sinn die
Geschichte der Menschheit. Wir stellten uns den ersten Menschen vor, dem aus
seinem Töpfer- oder Kalkofen ein Glasfluß herabrann, erinnerten uns des gläsernen
Bergs im Märchen des Mittelalters und gedachten des Glaspalastcs andrer
Märchen, der jetzt eine riesenhafte Wirklichkeit ist. Andere Gedanken tauchten
auf, und wir sahen die Geister der Culturgeschichte an jenem einfachen ersten
Glasfluß hämmern und schleifen, glühen und gießen, bis aus ihm jene
wunderbaren Augen geworden waren, vor denen kein Wunder mehr besteht-
das tiesdringende Auge des Mikroskops, mit dem wir nahe dabei sind, zu
erkennen, „was die Welt im Innersten zusammenhält," das weitreichende
Auge des Teleskops, welches die Nebel der Milchstraße in zählbare und me߬
bare Sterne auflöst. Was sind dagegen die hundert Augen des alten Argus,
was ist dagegen das scharfe Gesicht des Mannes im Märchen, der durch sieben


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[0522] den Blick die Ruinen der Burg Albin, des alten Oastsllum ?ereN'inoruM, auf dem noch lange nach dem Fall von Ptolemais. der letzten größern Zufluchts¬ stätte des Christenthums in Palästina, das Panier der Kreuzfahrer flatterte. Im Norden schimmerte über der schöngeschweiften Bucht von Chaifa die Stadt Se. Jean d'Acre mit ihren weißen Minarets und Kuppeln vom rothen Schein des Abends angestrahlt. Dahinter dämmerte über einem zweiten Meerbusen das weißgraue Vorgebirge der lyrischen Leiter, jetzt prosaischer Capo Bianco genannt. Im Nordosten endlich thürmten sich mit ihren schneeigen Gipfeln die gewaltigen Massen des Libanon, und Antilibanon empor. Mit diesem Blick nahmen wir Abschied von dem heiligen Lande. Am,nächsten Tage schliefen wir bereits in Phönizien, und vier Tage später trug mich und den Lieutenant der russische Postdampfer — vermuthlich für immer — von den M. B. syrischen Küsten hinweg. Zur Geschichte des Glases. Als wir vor drei Monaten über die Stätte zwischen Libanon und Meer ritten, wo Plinius uns jenes kieselsaure Salz erfinden läßt, welches die Prosa des gewöhnlichen Lebens Glas nennt, kamen uns mancherlei Gedanken in den Sinn, bei deren Zusammenstellung es uns schien, als ob sich auch diesem All¬ tagsartikel eine poetische Seite abgewinnen ließe. Wir dachten an die Sage, und sie löste sich in nichts auf, da an einem bloßen Kochfeucr kein Kiesel zerschmelzen kann. Wir sahen dagegen die ungeheure Stufenleiter, welche die Geschichte der Erfindung darstellt, und erblickten darin in gewissem Sinn die Geschichte der Menschheit. Wir stellten uns den ersten Menschen vor, dem aus seinem Töpfer- oder Kalkofen ein Glasfluß herabrann, erinnerten uns des gläsernen Bergs im Märchen des Mittelalters und gedachten des Glaspalastcs andrer Märchen, der jetzt eine riesenhafte Wirklichkeit ist. Andere Gedanken tauchten auf, und wir sahen die Geister der Culturgeschichte an jenem einfachen ersten Glasfluß hämmern und schleifen, glühen und gießen, bis aus ihm jene wunderbaren Augen geworden waren, vor denen kein Wunder mehr besteht- das tiesdringende Auge des Mikroskops, mit dem wir nahe dabei sind, zu erkennen, „was die Welt im Innersten zusammenhält," das weitreichende Auge des Teleskops, welches die Nebel der Milchstraße in zählbare und me߬ bare Sterne auflöst. Was sind dagegen die hundert Augen des alten Argus, was ist dagegen das scharfe Gesicht des Mannes im Märchen, der durch sieben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/522>, abgerufen am 28.04.2024.