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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Berge sah! Und was in der ganzen Welt der Mythen und Fabeln läßt sich
mit dem Glase vergleichen, welches den ungreifbaren Sonnenstrahl zwingt,
uns unsre Freunde, unsre Lieblinge unter den Schöpfungen der Kunst zu malen.

Ein arabisches Sprichwort sagt: "Verachte nicht den Armen. Auch der
gemeine Kiesel enthält den Funken, der dir die Nacht erleuchtet." Dieser
Spruch hat sich im eigentlichsten Sinn und mehr als im eigentlichsten bewahr¬
heitet. Aus dem unscheinbaren, erdgebornen, in Feuersgluten geläuterten und
verklärten Kiesel ist ein Lichtmeer hcrvorgcströmt, Heller, durchdringender,
segensreicher und wunderbarer als irgend ein hochadeliger Kohinur, und wäre
er so groß wie der Himalaya.

Welches Volk der Prometheus gewesen ist, der uns diese Leuchte brachte,
ist unbekannt. Vielleicht waren es die Inder. Vielleicht entlockten es zuerst
die Chinesen der Erde, die ja in ihrer Abgeschlossenheit von dem Culturleben
des Westens Jahrhunderte lang schon Erfindungen besaßen, welche dieses erst
lange nach dem Beginn seiner Mannesjahre entdeckte. Vielleicht auch war
das Geburtsland des Glases das wunderreiche Nilland, dessen Gräber uns
melden, daß es hier bereits dreizehnhundert Jahre vor den phönizischen Kauf¬
enden am Belus, aus deren Sodablöcken Plinius das erste Glas hervorblinken
läßt, Glasbläser, Glasbechcr und Götterbilder von Glas gab. Möglich selbst
ist es, daß schon dem uralten Culturvolk, welches den Babelthurm als riesige
Sternwarte baute, der Ruhm der Erfindung gebührt, da man in den Ruinen
am Euphrat Gegenstünde von Glas, ja Glaslinsen gefunden hat.

Gewiß ist allein, daß Theben und Memphis schon im hohen Alterthum
Glasfabriken halten, daß die Griechen erst sehr spät mit dem Glase bekannt
wurden, daß die alte Welt das Fensterglas nicht kannte, und daß farbloses
Glas selbst noch viele Jahrhunderte nach Christus, wenn auch nicht grade un¬
bekannt, so doch selten war. Die ganze Fabrikation des Alterthums ging auf
diesem Gebiet auf die Herstellung von Schmucksachen, aus Verfertigung von
Vasen und Bechern, Statuen und Säulen, auf Nachahmung von Perlen und
Edelsteinen, und dazu bediente man sich, wenigstens in der Regel, des gefärb¬
ten Glases. Die Kunstfertigkeit, welche die Zeit der römischen Weltherrschaft
in diesem Bereich entwickelte, ist bis jetzt noch unübertroffen. Dagegen ist
keine Kunde aufbehalten, daß damals schon etwas unsern Fernrohren oder
Vergrößerungsgläsern Aehnliches in Gebrauch gewesen. Die Römer kannten
die vergrößernde Kraft einer mit Wasser gefüllten Glaskugel. Die Brille aber
wurde erst im Mittelalter erfunden. Unsre Fensterscheiben waren auch diesem
bis zum fünfzehnten Jahrhundert noch unbekannt; denn was der Aphele des
heutigen Glasers in den Schlössern und Kirchen dieser Periode einigermaßen
entspricht, ist Gegenstand der schmückenden Kunst, wie im Alterthum, nicht Er¬
zeugnis) des Bedürfnisses, welches das Handwerk befriedigt.


Berge sah! Und was in der ganzen Welt der Mythen und Fabeln läßt sich
mit dem Glase vergleichen, welches den ungreifbaren Sonnenstrahl zwingt,
uns unsre Freunde, unsre Lieblinge unter den Schöpfungen der Kunst zu malen.

Ein arabisches Sprichwort sagt: „Verachte nicht den Armen. Auch der
gemeine Kiesel enthält den Funken, der dir die Nacht erleuchtet." Dieser
Spruch hat sich im eigentlichsten Sinn und mehr als im eigentlichsten bewahr¬
heitet. Aus dem unscheinbaren, erdgebornen, in Feuersgluten geläuterten und
verklärten Kiesel ist ein Lichtmeer hcrvorgcströmt, Heller, durchdringender,
segensreicher und wunderbarer als irgend ein hochadeliger Kohinur, und wäre
er so groß wie der Himalaya.

Welches Volk der Prometheus gewesen ist, der uns diese Leuchte brachte,
ist unbekannt. Vielleicht waren es die Inder. Vielleicht entlockten es zuerst
die Chinesen der Erde, die ja in ihrer Abgeschlossenheit von dem Culturleben
des Westens Jahrhunderte lang schon Erfindungen besaßen, welche dieses erst
lange nach dem Beginn seiner Mannesjahre entdeckte. Vielleicht auch war
das Geburtsland des Glases das wunderreiche Nilland, dessen Gräber uns
melden, daß es hier bereits dreizehnhundert Jahre vor den phönizischen Kauf¬
enden am Belus, aus deren Sodablöcken Plinius das erste Glas hervorblinken
läßt, Glasbläser, Glasbechcr und Götterbilder von Glas gab. Möglich selbst
ist es, daß schon dem uralten Culturvolk, welches den Babelthurm als riesige
Sternwarte baute, der Ruhm der Erfindung gebührt, da man in den Ruinen
am Euphrat Gegenstünde von Glas, ja Glaslinsen gefunden hat.

Gewiß ist allein, daß Theben und Memphis schon im hohen Alterthum
Glasfabriken halten, daß die Griechen erst sehr spät mit dem Glase bekannt
wurden, daß die alte Welt das Fensterglas nicht kannte, und daß farbloses
Glas selbst noch viele Jahrhunderte nach Christus, wenn auch nicht grade un¬
bekannt, so doch selten war. Die ganze Fabrikation des Alterthums ging auf
diesem Gebiet auf die Herstellung von Schmucksachen, aus Verfertigung von
Vasen und Bechern, Statuen und Säulen, auf Nachahmung von Perlen und
Edelsteinen, und dazu bediente man sich, wenigstens in der Regel, des gefärb¬
ten Glases. Die Kunstfertigkeit, welche die Zeit der römischen Weltherrschaft
in diesem Bereich entwickelte, ist bis jetzt noch unübertroffen. Dagegen ist
keine Kunde aufbehalten, daß damals schon etwas unsern Fernrohren oder
Vergrößerungsgläsern Aehnliches in Gebrauch gewesen. Die Römer kannten
die vergrößernde Kraft einer mit Wasser gefüllten Glaskugel. Die Brille aber
wurde erst im Mittelalter erfunden. Unsre Fensterscheiben waren auch diesem
bis zum fünfzehnten Jahrhundert noch unbekannt; denn was der Aphele des
heutigen Glasers in den Schlössern und Kirchen dieser Periode einigermaßen
entspricht, ist Gegenstand der schmückenden Kunst, wie im Alterthum, nicht Er¬
zeugnis) des Bedürfnisses, welches das Handwerk befriedigt.


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[0523] Berge sah! Und was in der ganzen Welt der Mythen und Fabeln läßt sich mit dem Glase vergleichen, welches den ungreifbaren Sonnenstrahl zwingt, uns unsre Freunde, unsre Lieblinge unter den Schöpfungen der Kunst zu malen. Ein arabisches Sprichwort sagt: „Verachte nicht den Armen. Auch der gemeine Kiesel enthält den Funken, der dir die Nacht erleuchtet." Dieser Spruch hat sich im eigentlichsten Sinn und mehr als im eigentlichsten bewahr¬ heitet. Aus dem unscheinbaren, erdgebornen, in Feuersgluten geläuterten und verklärten Kiesel ist ein Lichtmeer hcrvorgcströmt, Heller, durchdringender, segensreicher und wunderbarer als irgend ein hochadeliger Kohinur, und wäre er so groß wie der Himalaya. Welches Volk der Prometheus gewesen ist, der uns diese Leuchte brachte, ist unbekannt. Vielleicht waren es die Inder. Vielleicht entlockten es zuerst die Chinesen der Erde, die ja in ihrer Abgeschlossenheit von dem Culturleben des Westens Jahrhunderte lang schon Erfindungen besaßen, welche dieses erst lange nach dem Beginn seiner Mannesjahre entdeckte. Vielleicht auch war das Geburtsland des Glases das wunderreiche Nilland, dessen Gräber uns melden, daß es hier bereits dreizehnhundert Jahre vor den phönizischen Kauf¬ enden am Belus, aus deren Sodablöcken Plinius das erste Glas hervorblinken läßt, Glasbläser, Glasbechcr und Götterbilder von Glas gab. Möglich selbst ist es, daß schon dem uralten Culturvolk, welches den Babelthurm als riesige Sternwarte baute, der Ruhm der Erfindung gebührt, da man in den Ruinen am Euphrat Gegenstünde von Glas, ja Glaslinsen gefunden hat. Gewiß ist allein, daß Theben und Memphis schon im hohen Alterthum Glasfabriken halten, daß die Griechen erst sehr spät mit dem Glase bekannt wurden, daß die alte Welt das Fensterglas nicht kannte, und daß farbloses Glas selbst noch viele Jahrhunderte nach Christus, wenn auch nicht grade un¬ bekannt, so doch selten war. Die ganze Fabrikation des Alterthums ging auf diesem Gebiet auf die Herstellung von Schmucksachen, aus Verfertigung von Vasen und Bechern, Statuen und Säulen, auf Nachahmung von Perlen und Edelsteinen, und dazu bediente man sich, wenigstens in der Regel, des gefärb¬ ten Glases. Die Kunstfertigkeit, welche die Zeit der römischen Weltherrschaft in diesem Bereich entwickelte, ist bis jetzt noch unübertroffen. Dagegen ist keine Kunde aufbehalten, daß damals schon etwas unsern Fernrohren oder Vergrößerungsgläsern Aehnliches in Gebrauch gewesen. Die Römer kannten die vergrößernde Kraft einer mit Wasser gefüllten Glaskugel. Die Brille aber wurde erst im Mittelalter erfunden. Unsre Fensterscheiben waren auch diesem bis zum fünfzehnten Jahrhundert noch unbekannt; denn was der Aphele des heutigen Glasers in den Schlössern und Kirchen dieser Periode einigermaßen entspricht, ist Gegenstand der schmückenden Kunst, wie im Alterthum, nicht Er¬ zeugnis) des Bedürfnisses, welches das Handwerk befriedigt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/523>, abgerufen am 13.05.2024.