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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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von künstlerischem Beiwerk an sich gerissen, was ihrem Wesen irgend assimilir-
bar war. In dem Bestreben, jeden Pulsschlag des Volks zu regeln, hat sie
sich zur Dienerin seines Kunstbedürfnisses erniedrigt und hat dies letztere in
bloße Schaulust und in den Hunger nach stark sinnlichen Eindrücken ausarten
lassen, da sie als Dilettantin nicht eigne Eingebung, sondern den scheinbar
raschesten Erfolg als ihr Gesetz anerkennen muß. Somit ist es ihr wie dem
Strome ergangen, welcher seinen Spiegel weit über die fruchtbaren Lande hin
ausdehnen möchte und dabei an Tiefe und Kraft einbüßte, was er an Breite
erobert zu haben glaubte: sie hat sich verflacht und verflacht sich täglich mehr.


R. W.


Ausblicke aus den Kriegsschauplatz.
7.^

Von den Verbündeten auf ihrem Rückzug nicht besonders gedrängt,
waren die Oestreichs den 17. Juni am Mincio vereinigt; sie gaben auch das
rechte Ufer dieses Flusses vorläufig auf und behielten nur die Uebergänge an
ihm besetzt. Hinter dem Mincio übernahm der Kaiser Franz Joseph, seit dem
30. Mai schon zu Verona, selbst den Oberbefehl über das Heer, mit Heß als
Generalstabschef an seiner Seite. Giulay legte das Commando der zweiten
Armee nieder und ging nach Hause. Es trat indessen dafür nichts Besseres
ein, eher etwas Schlimmeres. Das Heer ward jetzt nämlich in zwei Armeen
zerlegt, die doch auf dem gleichen engbegrenzten Kriegsschauplatz operiren, auf
dem gleichen Schlachtfeld möglicherweise operiren sollten. An die Spitze
der sogenannten ersten Armee oder des linken Flügels trat Graf Wimpffen.
an die Spitze der zweiten Armee nun an die Stelle Giulays Graf Schick, der
bisher das Commando im Küstenlande geführt hatte.

Ein solches in zwei große Körper getheiltes Heer ist ein wahres Unge¬
heuer. Es gleicht einem Menschen, der -- nicht etwa zwei Beine hätte, son¬
dern aus zwei Beinen bestände. Ein solches Wesen, dessen Bewegungen sich
der Leser einmal vergegenwärtigen mag, nennt man wol nicht mehr einen
Menschen, sondern ein Mondkalb. Ein zweigetheiltes Heer sollte man auch
nicht mehr ein Heer nennen.

Die Unfähigkeit eines solchen Ungethüms, durch die Wirkung der Kunst,
auf zweckmäßige Weise etwas zu leisten, liegt vorzugsweise darin, daß jede
kriegerische Hauptaufgabe von einiger Bedeutung in mehr als zwei Unter¬
aufgaben .zerfällt und daß für die Lösung jeder dieser Unteraufgaben zudem
nicht gleiche, sondern ungleiche Kräfte nothwendig sind.


von künstlerischem Beiwerk an sich gerissen, was ihrem Wesen irgend assimilir-
bar war. In dem Bestreben, jeden Pulsschlag des Volks zu regeln, hat sie
sich zur Dienerin seines Kunstbedürfnisses erniedrigt und hat dies letztere in
bloße Schaulust und in den Hunger nach stark sinnlichen Eindrücken ausarten
lassen, da sie als Dilettantin nicht eigne Eingebung, sondern den scheinbar
raschesten Erfolg als ihr Gesetz anerkennen muß. Somit ist es ihr wie dem
Strome ergangen, welcher seinen Spiegel weit über die fruchtbaren Lande hin
ausdehnen möchte und dabei an Tiefe und Kraft einbüßte, was er an Breite
erobert zu haben glaubte: sie hat sich verflacht und verflacht sich täglich mehr.


R. W.


Ausblicke aus den Kriegsschauplatz.
7.^

Von den Verbündeten auf ihrem Rückzug nicht besonders gedrängt,
waren die Oestreichs den 17. Juni am Mincio vereinigt; sie gaben auch das
rechte Ufer dieses Flusses vorläufig auf und behielten nur die Uebergänge an
ihm besetzt. Hinter dem Mincio übernahm der Kaiser Franz Joseph, seit dem
30. Mai schon zu Verona, selbst den Oberbefehl über das Heer, mit Heß als
Generalstabschef an seiner Seite. Giulay legte das Commando der zweiten
Armee nieder und ging nach Hause. Es trat indessen dafür nichts Besseres
ein, eher etwas Schlimmeres. Das Heer ward jetzt nämlich in zwei Armeen
zerlegt, die doch auf dem gleichen engbegrenzten Kriegsschauplatz operiren, auf
dem gleichen Schlachtfeld möglicherweise operiren sollten. An die Spitze
der sogenannten ersten Armee oder des linken Flügels trat Graf Wimpffen.
an die Spitze der zweiten Armee nun an die Stelle Giulays Graf Schick, der
bisher das Commando im Küstenlande geführt hatte.

Ein solches in zwei große Körper getheiltes Heer ist ein wahres Unge¬
heuer. Es gleicht einem Menschen, der — nicht etwa zwei Beine hätte, son¬
dern aus zwei Beinen bestände. Ein solches Wesen, dessen Bewegungen sich
der Leser einmal vergegenwärtigen mag, nennt man wol nicht mehr einen
Menschen, sondern ein Mondkalb. Ein zweigetheiltes Heer sollte man auch
nicht mehr ein Heer nennen.

Die Unfähigkeit eines solchen Ungethüms, durch die Wirkung der Kunst,
auf zweckmäßige Weise etwas zu leisten, liegt vorzugsweise darin, daß jede
kriegerische Hauptaufgabe von einiger Bedeutung in mehr als zwei Unter¬
aufgaben .zerfällt und daß für die Lösung jeder dieser Unteraufgaben zudem
nicht gleiche, sondern ungleiche Kräfte nothwendig sind.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/91>, abgerufen am 28.04.2024.