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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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haben wird. Er hat wesentlich einen privaten Charakter. In jeder Familie
ist ein Tambourin zu finden, und schon die Kinderhand lernt sich dieses einfachsten
aller Instrumente mit Geschick bedienen. Gesang dazu, auch eine Uebung,
die sich jeder ohne Ausnahme zu eigen macht, -- und das Tanzorchcstcr ist
beisammen. Somit fällt schon das Bedürfniß des Tanzsanls und der bezahl¬
ten Spielleute weg. Aber der Tänzerin ist auch der Tänzer entbehrlich. Eine
Schwester, eine Nachbarin, ja selbst irgend eine Alte, sind ihr grade so will¬
kommen, denn es kommt bei ihrem Tanze nicht auf das Gegenüber an; sie
tanzt ja von ihrem Gegenüber durchaus unabhängig, und bei der ängstlichen
Zurückhaltung, welche ihr anerzogen ist, fühlt sie sich fast freier, wenn sie ihres
Gleichen vor sich hat. Nun denke man sich dieses Volk, dem so leicht ge¬
pfiffen ist, in der fröhlichen Festlichkeit seiner Octoberfeste von ehemals, wie
es familienweise hinauszieht vor die Thore Roms und sich dort, im Schmucke
seidner Gewänder, goldner Ketten und funkelnder Zitternadeln, seiner Schön¬
heit freut; oder wie es Abends auf den platten Dächern am Golf Neapels nach
beendigtem Tagcsgeschäft in der Kühle aufathmet und zwischen dem Liede ein¬
mal zum Tambourin greift, um seiner Behendigkeit und des ihm eingebor-
nen Bewegungsadels froh zu werden; man denke sich dieses gern und un¬
schuldig tanzende Volk und mache ausfindig, aus welchem Grunde ihm der
Tanz verboten worden ist . . . aus welchem andern, als dem angedeuteten:
weil die italienische Kirche diese Kunst bisher noch nicht in ihr Bereich zu
ziehen gewußt hat, und weil sie nun einmal nicht zugeben will, daß sich das
Volk ohne ihren Beistand belustige.

Es versteht sich, daß niemand etwas dagegen zu erinnern hat, wenn die¬
jenigen Bälle geben und besuchen, welche nicht zum Volke rechnen, ja daß
man bei Verfolgung dieses Themas auf die abgeschmacktesten Widersprüche
stößt. Werden doch während der ganzen Theaterdauer unsere modernen, natur¬
widriger und darum widerlichen Ballete in Rom selbst unangefochten zugelassen,
sind doch sogar die Verdischcn Opern auf diese, die Opera seria mitten durch¬
schneidende Erholungspause recht eigentlich berechnet; tanzt doch in Neapels
Teatro San Carlo noch immer der viel bespöttelte Chor in seinen froschgrünen
Anstandshöschen. Aber der Volkstanz ist verboten.

Man fühlt sich versucht daran zu erinnern, daß König Salomo vor der
Bundeslade tanzte, und daß bei einigem guten Willen solcher Art doch auch
diese Kunst im Dienst des Feierlicher wieder aus ihrer Bescholtenheit zu er¬
lösen sein dürfte, wenn sie nun einmal als eine rein weltliche Erholung der
Kirche zu zerstreuend erscheint.

Wir kommen zum Schluß. Wo immer die italienische Kirche sich dem
Volke aufdrängen kann, da geschieht es, wenn nicht auf gütlichem Wege, so
auf dem Wege des Gebots oder des Verbots. Sie hat zu diesem Zweck

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haben wird. Er hat wesentlich einen privaten Charakter. In jeder Familie
ist ein Tambourin zu finden, und schon die Kinderhand lernt sich dieses einfachsten
aller Instrumente mit Geschick bedienen. Gesang dazu, auch eine Uebung,
die sich jeder ohne Ausnahme zu eigen macht, — und das Tanzorchcstcr ist
beisammen. Somit fällt schon das Bedürfniß des Tanzsanls und der bezahl¬
ten Spielleute weg. Aber der Tänzerin ist auch der Tänzer entbehrlich. Eine
Schwester, eine Nachbarin, ja selbst irgend eine Alte, sind ihr grade so will¬
kommen, denn es kommt bei ihrem Tanze nicht auf das Gegenüber an; sie
tanzt ja von ihrem Gegenüber durchaus unabhängig, und bei der ängstlichen
Zurückhaltung, welche ihr anerzogen ist, fühlt sie sich fast freier, wenn sie ihres
Gleichen vor sich hat. Nun denke man sich dieses Volk, dem so leicht ge¬
pfiffen ist, in der fröhlichen Festlichkeit seiner Octoberfeste von ehemals, wie
es familienweise hinauszieht vor die Thore Roms und sich dort, im Schmucke
seidner Gewänder, goldner Ketten und funkelnder Zitternadeln, seiner Schön¬
heit freut; oder wie es Abends auf den platten Dächern am Golf Neapels nach
beendigtem Tagcsgeschäft in der Kühle aufathmet und zwischen dem Liede ein¬
mal zum Tambourin greift, um seiner Behendigkeit und des ihm eingebor-
nen Bewegungsadels froh zu werden; man denke sich dieses gern und un¬
schuldig tanzende Volk und mache ausfindig, aus welchem Grunde ihm der
Tanz verboten worden ist . . . aus welchem andern, als dem angedeuteten:
weil die italienische Kirche diese Kunst bisher noch nicht in ihr Bereich zu
ziehen gewußt hat, und weil sie nun einmal nicht zugeben will, daß sich das
Volk ohne ihren Beistand belustige.

Es versteht sich, daß niemand etwas dagegen zu erinnern hat, wenn die¬
jenigen Bälle geben und besuchen, welche nicht zum Volke rechnen, ja daß
man bei Verfolgung dieses Themas auf die abgeschmacktesten Widersprüche
stößt. Werden doch während der ganzen Theaterdauer unsere modernen, natur¬
widriger und darum widerlichen Ballete in Rom selbst unangefochten zugelassen,
sind doch sogar die Verdischcn Opern auf diese, die Opera seria mitten durch¬
schneidende Erholungspause recht eigentlich berechnet; tanzt doch in Neapels
Teatro San Carlo noch immer der viel bespöttelte Chor in seinen froschgrünen
Anstandshöschen. Aber der Volkstanz ist verboten.

Man fühlt sich versucht daran zu erinnern, daß König Salomo vor der
Bundeslade tanzte, und daß bei einigem guten Willen solcher Art doch auch
diese Kunst im Dienst des Feierlicher wieder aus ihrer Bescholtenheit zu er¬
lösen sein dürfte, wenn sie nun einmal als eine rein weltliche Erholung der
Kirche zu zerstreuend erscheint.

Wir kommen zum Schluß. Wo immer die italienische Kirche sich dem
Volke aufdrängen kann, da geschieht es, wenn nicht auf gütlichem Wege, so
auf dem Wege des Gebots oder des Verbots. Sie hat zu diesem Zweck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/90>, abgerufen am 14.05.2024.