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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Aussprache verstehn kaun, mitten unter verschiednen Tadel der Aussprache
andrer Landschaften,

Das meißnische Deutsch löste seit dem 15, Jahrh. das schwäbische des
Mittelalters als Schwerpunkt für die Spracheinigung ab, an deren Herstellung
die ganze künftige Entwicklung der deutschen Nation hing; und es war, wenn
man das Ganze überblickt, eine fast wunderbar glückliche Fügung, daß es so
kam, denn der schwabischen oder der herrischen oder einer andern süddeutschen
Sprache wäre es sicher viel später oder vielleicht nie gelungen, das große nieder¬
deutsche Gebiet für sich zu gewinnen: dazu war eine Mundart nöthig, die in
ihrem Wesen wie im Raum die Mitte einnahm zwischen beiden so verschiednen
Sprachkörpern, um beide anziehn und versöhnen zu können, eine mitteldeutsche.
Daß aber gerade das Meißnische dazu berufen war, dem Vaterlande diesen
unschätzbaren Dienst zu leisten, dazu mag irgendwie gleich im ersten Austreten
der Cultur in dem den Slaven neu abgewonnenen Meißner Lande der Keim
gelegt worden sein; daß der Keim aber so gedieh und zum Ziele erwuchs,
das ist außer günstigen äußern Verhältnissen hauptsächlich der gewaltigen Per¬
sönlichkeit Luthers zu verdanken, die auch hierin mit weitgrcifender und nach¬
haltiger Wirkung der Bewegung den durchschlagenden Anstoß gab.




Von der preußischen Grenze.

Schon während des italienischen Kriegs war das Verhalten Oestreichs gegen
Preußen keineswegs von der Art, wie es unter engen Bundesgenossen, die gemein¬
schaftliche Gefahren bestehen und daher auch über die zu fassenden Entschlüsse
gemeinschaftlich Nath hallen, zu sein Pflegt. In hochfahrender Weise faßte
Oestreich seine entscheidenden Entschlüsse, nicht nur ohne den Rath des Bundes¬
genossen zu hören, sondern ohne ihm sein Lorhaben auch nur mitzutheilen. Obgleich
es sich um keine Bundessachc handelte, obgleich Oestreich Zwecke verfolgte, die weit
über die Sachlage hinausgingen, betrachtete es die von Preußen erwartete Hilfe als
eine einfache Pflicht, zu welcher Preußen durch die Majorität des Bundestages ge¬
zwungen werden und für die es nicht den mindesten Dank beanspruchen sollte. Die
damalige preußische Politik zu vertreten ist nicht unsre Sache; sie hätte beinahe da¬
hin geführt, daß Preußen für eine ihm fremde Sache in einen höchst unpopulären
Krieg verwickelt und der Gefahr ausgesetzt worden wäre, diesen Krieg am Ende allein


Äeeuzboien I. 1360. 1ü

Aussprache verstehn kaun, mitten unter verschiednen Tadel der Aussprache
andrer Landschaften,

Das meißnische Deutsch löste seit dem 15, Jahrh. das schwäbische des
Mittelalters als Schwerpunkt für die Spracheinigung ab, an deren Herstellung
die ganze künftige Entwicklung der deutschen Nation hing; und es war, wenn
man das Ganze überblickt, eine fast wunderbar glückliche Fügung, daß es so
kam, denn der schwabischen oder der herrischen oder einer andern süddeutschen
Sprache wäre es sicher viel später oder vielleicht nie gelungen, das große nieder¬
deutsche Gebiet für sich zu gewinnen: dazu war eine Mundart nöthig, die in
ihrem Wesen wie im Raum die Mitte einnahm zwischen beiden so verschiednen
Sprachkörpern, um beide anziehn und versöhnen zu können, eine mitteldeutsche.
Daß aber gerade das Meißnische dazu berufen war, dem Vaterlande diesen
unschätzbaren Dienst zu leisten, dazu mag irgendwie gleich im ersten Austreten
der Cultur in dem den Slaven neu abgewonnenen Meißner Lande der Keim
gelegt worden sein; daß der Keim aber so gedieh und zum Ziele erwuchs,
das ist außer günstigen äußern Verhältnissen hauptsächlich der gewaltigen Per¬
sönlichkeit Luthers zu verdanken, die auch hierin mit weitgrcifender und nach¬
haltiger Wirkung der Bewegung den durchschlagenden Anstoß gab.




Von der preußischen Grenze.

Schon während des italienischen Kriegs war das Verhalten Oestreichs gegen
Preußen keineswegs von der Art, wie es unter engen Bundesgenossen, die gemein¬
schaftliche Gefahren bestehen und daher auch über die zu fassenden Entschlüsse
gemeinschaftlich Nath hallen, zu sein Pflegt. In hochfahrender Weise faßte
Oestreich seine entscheidenden Entschlüsse, nicht nur ohne den Rath des Bundes¬
genossen zu hören, sondern ohne ihm sein Lorhaben auch nur mitzutheilen. Obgleich
es sich um keine Bundessachc handelte, obgleich Oestreich Zwecke verfolgte, die weit
über die Sachlage hinausgingen, betrachtete es die von Preußen erwartete Hilfe als
eine einfache Pflicht, zu welcher Preußen durch die Majorität des Bundestages ge¬
zwungen werden und für die es nicht den mindesten Dank beanspruchen sollte. Die
damalige preußische Politik zu vertreten ist nicht unsre Sache; sie hätte beinahe da¬
hin geführt, daß Preußen für eine ihm fremde Sache in einen höchst unpopulären
Krieg verwickelt und der Gefahr ausgesetzt worden wäre, diesen Krieg am Ende allein


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[0125] Aussprache verstehn kaun, mitten unter verschiednen Tadel der Aussprache andrer Landschaften, Das meißnische Deutsch löste seit dem 15, Jahrh. das schwäbische des Mittelalters als Schwerpunkt für die Spracheinigung ab, an deren Herstellung die ganze künftige Entwicklung der deutschen Nation hing; und es war, wenn man das Ganze überblickt, eine fast wunderbar glückliche Fügung, daß es so kam, denn der schwabischen oder der herrischen oder einer andern süddeutschen Sprache wäre es sicher viel später oder vielleicht nie gelungen, das große nieder¬ deutsche Gebiet für sich zu gewinnen: dazu war eine Mundart nöthig, die in ihrem Wesen wie im Raum die Mitte einnahm zwischen beiden so verschiednen Sprachkörpern, um beide anziehn und versöhnen zu können, eine mitteldeutsche. Daß aber gerade das Meißnische dazu berufen war, dem Vaterlande diesen unschätzbaren Dienst zu leisten, dazu mag irgendwie gleich im ersten Austreten der Cultur in dem den Slaven neu abgewonnenen Meißner Lande der Keim gelegt worden sein; daß der Keim aber so gedieh und zum Ziele erwuchs, das ist außer günstigen äußern Verhältnissen hauptsächlich der gewaltigen Per¬ sönlichkeit Luthers zu verdanken, die auch hierin mit weitgrcifender und nach¬ haltiger Wirkung der Bewegung den durchschlagenden Anstoß gab. Von der preußischen Grenze. Schon während des italienischen Kriegs war das Verhalten Oestreichs gegen Preußen keineswegs von der Art, wie es unter engen Bundesgenossen, die gemein¬ schaftliche Gefahren bestehen und daher auch über die zu fassenden Entschlüsse gemeinschaftlich Nath hallen, zu sein Pflegt. In hochfahrender Weise faßte Oestreich seine entscheidenden Entschlüsse, nicht nur ohne den Rath des Bundes¬ genossen zu hören, sondern ohne ihm sein Lorhaben auch nur mitzutheilen. Obgleich es sich um keine Bundessachc handelte, obgleich Oestreich Zwecke verfolgte, die weit über die Sachlage hinausgingen, betrachtete es die von Preußen erwartete Hilfe als eine einfache Pflicht, zu welcher Preußen durch die Majorität des Bundestages ge¬ zwungen werden und für die es nicht den mindesten Dank beanspruchen sollte. Die damalige preußische Politik zu vertreten ist nicht unsre Sache; sie hätte beinahe da¬ hin geführt, daß Preußen für eine ihm fremde Sache in einen höchst unpopulären Krieg verwickelt und der Gefahr ausgesetzt worden wäre, diesen Krieg am Ende allein Äeeuzboien I. 1360. 1ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/125>, abgerufen am 29.04.2024.