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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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muthnngen zu sichern. Zudem sind die bestehenden Grenzen der Schweiz durch
Verträge sanctionirt, welche alle Mächte des Wiener Kongresses unterzeichnet
haben. Durch ein freiwilliges Aufgeben eines einzigen Punktes dieser Grenze
verhandelt mit nur ein er der Congreßnurchte, würde die Schweiz der Stellung,
welche ihr diese Vertrage gewähren, nicht unwesentlich vergeben. Bietet sie
zu Gunsten des einen Nachbars Hand zu einer einseitigen Abänderung der
europäischen Tractate, so hat sie keinen festen Standpunkt mehr gegen analoge
Zumuthungen von andern Seiten. In den gepflogenen Verhandlungen gab
denn auch der Bundesrath bereits zu erkennen, daß ein etwaiger Vergleich
mit Frankreich jedenfalls der Sanction aller Mächte unterstellt werden müßte.




Die Reformen in Oestreich.

Oestreich ist in einer eigenthümlichen Lage.
Die Zeit fordert von den Lenkern seiner Geschicke eine Reform von Grund
aus, Annahme eines völlig neuen Systems. Von oben herab aber kann
man sich nur zu Gesetzverbesseruugen im Einzelnen entschließen, die, wie liberal
sie aussehen, wie willkommen sie im Einzelnen sein mögen, im Großen und
Ganzen nichts ändern, und für die man darum der Hand, die sie spendet,
wenig Dank weiß. Es scheint, daß man eben nicht anders kaun. Mag die
allgemeine Zeitung in Augsburg, so oft und eindringlich als sie kann, den
Herren in Wien zurufen, daß nur die großen Reformen, welche die Zeit mit
brennender Ungeduld verlangt, die vollständige Freiheit der Lehre, des Glau¬
bens und Unterrichts wie der Presse, die entschiedene Parität aller christlichen
Kirchen, die Beseitigung aller Sonderconcessioncn für einzelne Provinzen
Oestreich vom innern Verfall retten; die Antwort, die ihr von der Metropole
an der Donau zurückkommt, wird, so lange dort die ultramontane Partei
herrscht, genau der letzten Preßvcrordnung gleichen.

Alles, was uns seit dem italienischen Kriege an Reformen zu theil ward,
besteht in halben Maßregeln, wie das Protestantcngesetz für Ungarn und
seiner Nebenländer, und nur in solchen, die ganz andere Absichten diktirten als die
Freiheit. Man hebt die Rekrutenstellung für 1860 auf, ordnet eine Controlle
für die Staatsschulden, gibt die Gewerbe frei, aber ja nicht das Wort. Der


Grenzboten I- 1860. 22

muthnngen zu sichern. Zudem sind die bestehenden Grenzen der Schweiz durch
Verträge sanctionirt, welche alle Mächte des Wiener Kongresses unterzeichnet
haben. Durch ein freiwilliges Aufgeben eines einzigen Punktes dieser Grenze
verhandelt mit nur ein er der Congreßnurchte, würde die Schweiz der Stellung,
welche ihr diese Vertrage gewähren, nicht unwesentlich vergeben. Bietet sie
zu Gunsten des einen Nachbars Hand zu einer einseitigen Abänderung der
europäischen Tractate, so hat sie keinen festen Standpunkt mehr gegen analoge
Zumuthungen von andern Seiten. In den gepflogenen Verhandlungen gab
denn auch der Bundesrath bereits zu erkennen, daß ein etwaiger Vergleich
mit Frankreich jedenfalls der Sanction aller Mächte unterstellt werden müßte.




Die Reformen in Oestreich.

Oestreich ist in einer eigenthümlichen Lage.
Die Zeit fordert von den Lenkern seiner Geschicke eine Reform von Grund
aus, Annahme eines völlig neuen Systems. Von oben herab aber kann
man sich nur zu Gesetzverbesseruugen im Einzelnen entschließen, die, wie liberal
sie aussehen, wie willkommen sie im Einzelnen sein mögen, im Großen und
Ganzen nichts ändern, und für die man darum der Hand, die sie spendet,
wenig Dank weiß. Es scheint, daß man eben nicht anders kaun. Mag die
allgemeine Zeitung in Augsburg, so oft und eindringlich als sie kann, den
Herren in Wien zurufen, daß nur die großen Reformen, welche die Zeit mit
brennender Ungeduld verlangt, die vollständige Freiheit der Lehre, des Glau¬
bens und Unterrichts wie der Presse, die entschiedene Parität aller christlichen
Kirchen, die Beseitigung aller Sonderconcessioncn für einzelne Provinzen
Oestreich vom innern Verfall retten; die Antwort, die ihr von der Metropole
an der Donau zurückkommt, wird, so lange dort die ultramontane Partei
herrscht, genau der letzten Preßvcrordnung gleichen.

Alles, was uns seit dem italienischen Kriege an Reformen zu theil ward,
besteht in halben Maßregeln, wie das Protestantcngesetz für Ungarn und
seiner Nebenländer, und nur in solchen, die ganz andere Absichten diktirten als die
Freiheit. Man hebt die Rekrutenstellung für 1860 auf, ordnet eine Controlle
für die Staatsschulden, gibt die Gewerbe frei, aber ja nicht das Wort. Der


Grenzboten I- 1860. 22
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[0181] muthnngen zu sichern. Zudem sind die bestehenden Grenzen der Schweiz durch Verträge sanctionirt, welche alle Mächte des Wiener Kongresses unterzeichnet haben. Durch ein freiwilliges Aufgeben eines einzigen Punktes dieser Grenze verhandelt mit nur ein er der Congreßnurchte, würde die Schweiz der Stellung, welche ihr diese Vertrage gewähren, nicht unwesentlich vergeben. Bietet sie zu Gunsten des einen Nachbars Hand zu einer einseitigen Abänderung der europäischen Tractate, so hat sie keinen festen Standpunkt mehr gegen analoge Zumuthungen von andern Seiten. In den gepflogenen Verhandlungen gab denn auch der Bundesrath bereits zu erkennen, daß ein etwaiger Vergleich mit Frankreich jedenfalls der Sanction aller Mächte unterstellt werden müßte. Die Reformen in Oestreich. Oestreich ist in einer eigenthümlichen Lage. Die Zeit fordert von den Lenkern seiner Geschicke eine Reform von Grund aus, Annahme eines völlig neuen Systems. Von oben herab aber kann man sich nur zu Gesetzverbesseruugen im Einzelnen entschließen, die, wie liberal sie aussehen, wie willkommen sie im Einzelnen sein mögen, im Großen und Ganzen nichts ändern, und für die man darum der Hand, die sie spendet, wenig Dank weiß. Es scheint, daß man eben nicht anders kaun. Mag die allgemeine Zeitung in Augsburg, so oft und eindringlich als sie kann, den Herren in Wien zurufen, daß nur die großen Reformen, welche die Zeit mit brennender Ungeduld verlangt, die vollständige Freiheit der Lehre, des Glau¬ bens und Unterrichts wie der Presse, die entschiedene Parität aller christlichen Kirchen, die Beseitigung aller Sonderconcessioncn für einzelne Provinzen Oestreich vom innern Verfall retten; die Antwort, die ihr von der Metropole an der Donau zurückkommt, wird, so lange dort die ultramontane Partei herrscht, genau der letzten Preßvcrordnung gleichen. Alles, was uns seit dem italienischen Kriege an Reformen zu theil ward, besteht in halben Maßregeln, wie das Protestantcngesetz für Ungarn und seiner Nebenländer, und nur in solchen, die ganz andere Absichten diktirten als die Freiheit. Man hebt die Rekrutenstellung für 1860 auf, ordnet eine Controlle für die Staatsschulden, gibt die Gewerbe frei, aber ja nicht das Wort. Der Grenzboten I- 1860. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/181>, abgerufen am 29.04.2024.