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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Die Gründe, welche Frankreich verbringt, sind nicht der Natur, das siecht
der Schweiz in Frage zu stellen; sie beruhen darin, daß Frankreich ein großes
Interesse an einer freien Communication mit dein Pays de Gex habe, daß
bei den Verhandlungen des zweiten Pariser Friedens die übrigen Mächte die
Ueberlassung des Dappenthalcs an Frankreich für billig erachtet und zu diesem
Zwecke ihre gute Verwendung bei der Schweiz zugesagt hätten, und daß end¬
lich Frankreich andere Abtretungen van erheblichem Belange an die Schweiz
gemacht habe.

Das Interesse nun entscheidet nicht über das Recht und im vorliegenden
Falle um so weniger, als die Schweiz auch ihrerseits Interesse an dem un-
verkümmerten Besitze des Dappcnthals hat.

Um der guten Beziehungen und der guten Nachbarschaft willen, die mit
wenigen Unterbrechungen seit Jahrhunderten zwischen der Schweiz und Frank¬
reich herrschten, wäre es nach der Ansicht des Bundcsraths sehr zu wünschen,
daß die seit bald fünfzig Jahren hängende Frage endlich erledigt werden
könnte. .

Wenn in der Angelegenheit nur das Interesse einer freiern und beque¬
mern Handelsverbindung des Puys de Gex mit dem übrigen Frankreich in
Frage stünde, so konnte eine Verständigung darüber leicht erzielt werden. Allein
wenn Frankreich, wie es allen Anschein but, dabei auch militärische Zwecke
verfolgt, wie die Ausdehnung der Festungswerke von les Rousses und eine
möglichst directe Militärstraße zwischen seinen beiden Grenzfestungen les Nousses
und Ecluse, so ist vom Standpunkte der Schweiz aus eine Lösung der Frage
viel schwieriger.

Die Schweiz ist nämlich ihrer Lage, Größe und innern Constitution nach
kein Staat, von dem irgend ein Nachbar, und um allerwenigsten ein großer
Militärstaat, ein angriffsweises Vorgehen zu besorgen hat; ihre durch die
Geschichte und die europäischen Verträge sanctionirte Bestimmung weist ihr
vielmehr nur eine defensive Stellung an, nach der sie die Erhaltung ihrer
Unabhängigkeit und der Unverletzbarkeit ihres Gebiets als ihre höchste national¬
politische und internationale Ausgabe zu betrachten hat. Zu Vertheidigungs¬
zwecken gegen die Schweiz bedarf also Frankreich der genannten Verstärkungen
seiner Grenze nicht.

Hieran reiht sich noch die weitere Betrachtung, daß die Schweiz im Ver¬
hältniß zu ihren Nachbarn eine kleines Land ist. Grade dies zeichnet ihr eine
Politik vor, die einerseits sich frei hält von jeder Herausforderung und alle
internationale Pflichten getreu und gewissenhaft erfüllt, andererseits aber eben
so ängstlich besorgt ist, alle Rechte sorgfältig zu wahren, die dem Lande und
der Nation unzweideutig zustehen. Nur so vermag sie die Würde und die
Achtung des Auslandes zu bewahren und sich vor unbilligen fremden Zu-


Die Gründe, welche Frankreich verbringt, sind nicht der Natur, das siecht
der Schweiz in Frage zu stellen; sie beruhen darin, daß Frankreich ein großes
Interesse an einer freien Communication mit dein Pays de Gex habe, daß
bei den Verhandlungen des zweiten Pariser Friedens die übrigen Mächte die
Ueberlassung des Dappenthalcs an Frankreich für billig erachtet und zu diesem
Zwecke ihre gute Verwendung bei der Schweiz zugesagt hätten, und daß end¬
lich Frankreich andere Abtretungen van erheblichem Belange an die Schweiz
gemacht habe.

Das Interesse nun entscheidet nicht über das Recht und im vorliegenden
Falle um so weniger, als die Schweiz auch ihrerseits Interesse an dem un-
verkümmerten Besitze des Dappcnthals hat.

Um der guten Beziehungen und der guten Nachbarschaft willen, die mit
wenigen Unterbrechungen seit Jahrhunderten zwischen der Schweiz und Frank¬
reich herrschten, wäre es nach der Ansicht des Bundcsraths sehr zu wünschen,
daß die seit bald fünfzig Jahren hängende Frage endlich erledigt werden
könnte. .

Wenn in der Angelegenheit nur das Interesse einer freiern und beque¬
mern Handelsverbindung des Puys de Gex mit dem übrigen Frankreich in
Frage stünde, so konnte eine Verständigung darüber leicht erzielt werden. Allein
wenn Frankreich, wie es allen Anschein but, dabei auch militärische Zwecke
verfolgt, wie die Ausdehnung der Festungswerke von les Rousses und eine
möglichst directe Militärstraße zwischen seinen beiden Grenzfestungen les Nousses
und Ecluse, so ist vom Standpunkte der Schweiz aus eine Lösung der Frage
viel schwieriger.

Die Schweiz ist nämlich ihrer Lage, Größe und innern Constitution nach
kein Staat, von dem irgend ein Nachbar, und um allerwenigsten ein großer
Militärstaat, ein angriffsweises Vorgehen zu besorgen hat; ihre durch die
Geschichte und die europäischen Verträge sanctionirte Bestimmung weist ihr
vielmehr nur eine defensive Stellung an, nach der sie die Erhaltung ihrer
Unabhängigkeit und der Unverletzbarkeit ihres Gebiets als ihre höchste national¬
politische und internationale Ausgabe zu betrachten hat. Zu Vertheidigungs¬
zwecken gegen die Schweiz bedarf also Frankreich der genannten Verstärkungen
seiner Grenze nicht.

Hieran reiht sich noch die weitere Betrachtung, daß die Schweiz im Ver¬
hältniß zu ihren Nachbarn eine kleines Land ist. Grade dies zeichnet ihr eine
Politik vor, die einerseits sich frei hält von jeder Herausforderung und alle
internationale Pflichten getreu und gewissenhaft erfüllt, andererseits aber eben
so ängstlich besorgt ist, alle Rechte sorgfältig zu wahren, die dem Lande und
der Nation unzweideutig zustehen. Nur so vermag sie die Würde und die
Achtung des Auslandes zu bewahren und sich vor unbilligen fremden Zu-


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[0180] Die Gründe, welche Frankreich verbringt, sind nicht der Natur, das siecht der Schweiz in Frage zu stellen; sie beruhen darin, daß Frankreich ein großes Interesse an einer freien Communication mit dein Pays de Gex habe, daß bei den Verhandlungen des zweiten Pariser Friedens die übrigen Mächte die Ueberlassung des Dappenthalcs an Frankreich für billig erachtet und zu diesem Zwecke ihre gute Verwendung bei der Schweiz zugesagt hätten, und daß end¬ lich Frankreich andere Abtretungen van erheblichem Belange an die Schweiz gemacht habe. Das Interesse nun entscheidet nicht über das Recht und im vorliegenden Falle um so weniger, als die Schweiz auch ihrerseits Interesse an dem un- verkümmerten Besitze des Dappcnthals hat. Um der guten Beziehungen und der guten Nachbarschaft willen, die mit wenigen Unterbrechungen seit Jahrhunderten zwischen der Schweiz und Frank¬ reich herrschten, wäre es nach der Ansicht des Bundcsraths sehr zu wünschen, daß die seit bald fünfzig Jahren hängende Frage endlich erledigt werden könnte. . Wenn in der Angelegenheit nur das Interesse einer freiern und beque¬ mern Handelsverbindung des Puys de Gex mit dem übrigen Frankreich in Frage stünde, so konnte eine Verständigung darüber leicht erzielt werden. Allein wenn Frankreich, wie es allen Anschein but, dabei auch militärische Zwecke verfolgt, wie die Ausdehnung der Festungswerke von les Rousses und eine möglichst directe Militärstraße zwischen seinen beiden Grenzfestungen les Nousses und Ecluse, so ist vom Standpunkte der Schweiz aus eine Lösung der Frage viel schwieriger. Die Schweiz ist nämlich ihrer Lage, Größe und innern Constitution nach kein Staat, von dem irgend ein Nachbar, und um allerwenigsten ein großer Militärstaat, ein angriffsweises Vorgehen zu besorgen hat; ihre durch die Geschichte und die europäischen Verträge sanctionirte Bestimmung weist ihr vielmehr nur eine defensive Stellung an, nach der sie die Erhaltung ihrer Unabhängigkeit und der Unverletzbarkeit ihres Gebiets als ihre höchste national¬ politische und internationale Ausgabe zu betrachten hat. Zu Vertheidigungs¬ zwecken gegen die Schweiz bedarf also Frankreich der genannten Verstärkungen seiner Grenze nicht. Hieran reiht sich noch die weitere Betrachtung, daß die Schweiz im Ver¬ hältniß zu ihren Nachbarn eine kleines Land ist. Grade dies zeichnet ihr eine Politik vor, die einerseits sich frei hält von jeder Herausforderung und alle internationale Pflichten getreu und gewissenhaft erfüllt, andererseits aber eben so ängstlich besorgt ist, alle Rechte sorgfältig zu wahren, die dem Lande und der Nation unzweideutig zustehen. Nur so vermag sie die Würde und die Achtung des Auslandes zu bewahren und sich vor unbilligen fremden Zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/180>, abgerufen am 15.05.2024.