Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

neu Augenblick ein, daß man sie beim Wort nehmen könnte. Sie betrugen
sich in ihren Schriften wie die jungen Musketiere, wenn sie in den Straßen
von Paris die Fenster zerschlugen: das war freilich nicht recht.

Und so plaudert der alte Herr noch eine Weile fort; dann setzt er hinzu:
Aber ich merke, daß die Liebe zum Guten, diese unglückselige Passion, mich
verführt hat, über Dinge zu reden, die mich nichts angehen. -- Darauf folgen
Bemerkungen über die französische Armee zur Zeit der Revolution, zum Theil
sehr fein: er macht darauf aufmerksam, daß die Franzosen einen militärischen
König brauchen; daß sie sehr geeignet sind, sich sür den Angriffskrieg zu orga-
nisiren, wenn man ihren Ehrgeiz anruft, daß sie aber für den Vertheidigungs¬
krieg nicht zu brauchen sind. In solchen Fällen sagt der Bürger: ich bezahle
die Soldaten, sie mögen sich für mich schlagen, und dem Bauer sällt es nicht
ein, die Flinte zu nehmen und für Weib und Kind eines Andern zu fechten:
er wartet bis die Reihe an ihn kommt.

Außerdem enthält der dritte Band Charakterbilder in der Weise Labru-
yeres. voll Witz und Anmuth, z. B. Je ä6d^net6 et 1c> libertin, Iss ssvs
ü'esxi-it et les aeaMmie, und eine Reihe von Frauenportraits, die zum Theil
wol wirkliche Portraits sein mögen. -- Der vierte Band erzählt unter Anderm
einige Unterredungen mit Voltaire und Rousseau, auch ein kleines Lustspiel ist
darin: die Entführungen oder das Leben auf einem Schloß 1785. Die Er¬
findung der Handlung ist ziemlich schwach, aber die Sittenbilder sind eben
so treffend als reizend; es gehört in die Gattung der später so beliebten
Sprichwörter. Der übrige Theil des Bandes besteht aus Aphorismen unter
verschiedenen Titeln, in denen zuweilen freilich mehr geplaudert wird, als gerade
nöthig wäre; doch blättert man gern darin, da man häusig auf sehr feine
I. S. Bemerkungen stößt.




Württembergische Zustände.
''

Wer gegenwärtig durch Württemberg reist, könnte
sich versucht fühlen, aus dem ruhigen Zustand des Landes, dem seit einigen
Jahren in Folge günstiger Ernten zunehmenden Wohlstand, der überall sich
kundgebenden industriellen Thätigkeit und der geringen Theilnahme an den


24*

neu Augenblick ein, daß man sie beim Wort nehmen könnte. Sie betrugen
sich in ihren Schriften wie die jungen Musketiere, wenn sie in den Straßen
von Paris die Fenster zerschlugen: das war freilich nicht recht.

Und so plaudert der alte Herr noch eine Weile fort; dann setzt er hinzu:
Aber ich merke, daß die Liebe zum Guten, diese unglückselige Passion, mich
verführt hat, über Dinge zu reden, die mich nichts angehen. — Darauf folgen
Bemerkungen über die französische Armee zur Zeit der Revolution, zum Theil
sehr fein: er macht darauf aufmerksam, daß die Franzosen einen militärischen
König brauchen; daß sie sehr geeignet sind, sich sür den Angriffskrieg zu orga-
nisiren, wenn man ihren Ehrgeiz anruft, daß sie aber für den Vertheidigungs¬
krieg nicht zu brauchen sind. In solchen Fällen sagt der Bürger: ich bezahle
die Soldaten, sie mögen sich für mich schlagen, und dem Bauer sällt es nicht
ein, die Flinte zu nehmen und für Weib und Kind eines Andern zu fechten:
er wartet bis die Reihe an ihn kommt.

Außerdem enthält der dritte Band Charakterbilder in der Weise Labru-
yeres. voll Witz und Anmuth, z. B. Je ä6d^net6 et 1c> libertin, Iss ssvs
ü'esxi-it et les aeaMmie, und eine Reihe von Frauenportraits, die zum Theil
wol wirkliche Portraits sein mögen. — Der vierte Band erzählt unter Anderm
einige Unterredungen mit Voltaire und Rousseau, auch ein kleines Lustspiel ist
darin: die Entführungen oder das Leben auf einem Schloß 1785. Die Er¬
findung der Handlung ist ziemlich schwach, aber die Sittenbilder sind eben
so treffend als reizend; es gehört in die Gattung der später so beliebten
Sprichwörter. Der übrige Theil des Bandes besteht aus Aphorismen unter
verschiedenen Titeln, in denen zuweilen freilich mehr geplaudert wird, als gerade
nöthig wäre; doch blättert man gern darin, da man häusig auf sehr feine
I. S. Bemerkungen stößt.




Württembergische Zustände.
''

Wer gegenwärtig durch Württemberg reist, könnte
sich versucht fühlen, aus dem ruhigen Zustand des Landes, dem seit einigen
Jahren in Folge günstiger Ernten zunehmenden Wohlstand, der überall sich
kundgebenden industriellen Thätigkeit und der geringen Theilnahme an den


24*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0199" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108921"/>
          <p xml:id="ID_569" prev="#ID_568"> neu Augenblick ein, daß man sie beim Wort nehmen könnte. Sie betrugen<lb/>
sich in ihren Schriften wie die jungen Musketiere, wenn sie in den Straßen<lb/>
von Paris die Fenster zerschlugen: das war freilich nicht recht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_570"> Und so plaudert der alte Herr noch eine Weile fort; dann setzt er hinzu:<lb/>
Aber ich merke, daß die Liebe zum Guten, diese unglückselige Passion, mich<lb/>
verführt hat, über Dinge zu reden, die mich nichts angehen. &#x2014; Darauf folgen<lb/>
Bemerkungen über die französische Armee zur Zeit der Revolution, zum Theil<lb/>
sehr fein: er macht darauf aufmerksam, daß die Franzosen einen militärischen<lb/>
König brauchen; daß sie sehr geeignet sind, sich sür den Angriffskrieg zu orga-<lb/>
nisiren, wenn man ihren Ehrgeiz anruft, daß sie aber für den Vertheidigungs¬<lb/>
krieg nicht zu brauchen sind. In solchen Fällen sagt der Bürger: ich bezahle<lb/>
die Soldaten, sie mögen sich für mich schlagen, und dem Bauer sällt es nicht<lb/>
ein, die Flinte zu nehmen und für Weib und Kind eines Andern zu fechten:<lb/>
er wartet bis die Reihe an ihn kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_571"> Außerdem enthält der dritte Band Charakterbilder in der Weise Labru-<lb/>
yeres. voll Witz und Anmuth, z. B. Je ä6d^net6 et 1c&gt; libertin, Iss ssvs<lb/>
ü'esxi-it et les aeaMmie, und eine Reihe von Frauenportraits, die zum Theil<lb/>
wol wirkliche Portraits sein mögen. &#x2014; Der vierte Band erzählt unter Anderm<lb/>
einige Unterredungen mit Voltaire und Rousseau, auch ein kleines Lustspiel ist<lb/>
darin: die Entführungen oder das Leben auf einem Schloß 1785. Die Er¬<lb/>
findung der Handlung ist ziemlich schwach, aber die Sittenbilder sind eben<lb/>
so treffend als reizend; es gehört in die Gattung der später so beliebten<lb/>
Sprichwörter. Der übrige Theil des Bandes besteht aus Aphorismen unter<lb/>
verschiedenen Titeln, in denen zuweilen freilich mehr geplaudert wird, als gerade<lb/>
nöthig wäre; doch blättert man gern darin, da man häusig auf sehr feine<lb/><note type="byline"> I. S.</note> Bemerkungen stößt. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Württembergische Zustände.<lb/>
''</head><lb/>
          <p xml:id="ID_572" next="#ID_573"> Wer gegenwärtig durch Württemberg reist, könnte<lb/>
sich versucht fühlen, aus dem ruhigen Zustand des Landes, dem seit einigen<lb/>
Jahren in Folge günstiger Ernten zunehmenden Wohlstand, der überall sich<lb/>
kundgebenden industriellen Thätigkeit und der geringen Theilnahme an den</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 24*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0199] neu Augenblick ein, daß man sie beim Wort nehmen könnte. Sie betrugen sich in ihren Schriften wie die jungen Musketiere, wenn sie in den Straßen von Paris die Fenster zerschlugen: das war freilich nicht recht. Und so plaudert der alte Herr noch eine Weile fort; dann setzt er hinzu: Aber ich merke, daß die Liebe zum Guten, diese unglückselige Passion, mich verführt hat, über Dinge zu reden, die mich nichts angehen. — Darauf folgen Bemerkungen über die französische Armee zur Zeit der Revolution, zum Theil sehr fein: er macht darauf aufmerksam, daß die Franzosen einen militärischen König brauchen; daß sie sehr geeignet sind, sich sür den Angriffskrieg zu orga- nisiren, wenn man ihren Ehrgeiz anruft, daß sie aber für den Vertheidigungs¬ krieg nicht zu brauchen sind. In solchen Fällen sagt der Bürger: ich bezahle die Soldaten, sie mögen sich für mich schlagen, und dem Bauer sällt es nicht ein, die Flinte zu nehmen und für Weib und Kind eines Andern zu fechten: er wartet bis die Reihe an ihn kommt. Außerdem enthält der dritte Band Charakterbilder in der Weise Labru- yeres. voll Witz und Anmuth, z. B. Je ä6d^net6 et 1c> libertin, Iss ssvs ü'esxi-it et les aeaMmie, und eine Reihe von Frauenportraits, die zum Theil wol wirkliche Portraits sein mögen. — Der vierte Band erzählt unter Anderm einige Unterredungen mit Voltaire und Rousseau, auch ein kleines Lustspiel ist darin: die Entführungen oder das Leben auf einem Schloß 1785. Die Er¬ findung der Handlung ist ziemlich schwach, aber die Sittenbilder sind eben so treffend als reizend; es gehört in die Gattung der später so beliebten Sprichwörter. Der übrige Theil des Bandes besteht aus Aphorismen unter verschiedenen Titeln, in denen zuweilen freilich mehr geplaudert wird, als gerade nöthig wäre; doch blättert man gern darin, da man häusig auf sehr feine I. S. Bemerkungen stößt. Württembergische Zustände. '' Wer gegenwärtig durch Württemberg reist, könnte sich versucht fühlen, aus dem ruhigen Zustand des Landes, dem seit einigen Jahren in Folge günstiger Ernten zunehmenden Wohlstand, der überall sich kundgebenden industriellen Thätigkeit und der geringen Theilnahme an den 24*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/199
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/199>, abgerufen am 28.04.2024.