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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Zur Geschichte des preußischen Heeres.
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Das preußische Heer hatte sich nach den Begebenheiten von 1806 und 1807
in Trümmer aufgelöst. Seine Stärke wurde nach dem Frieden von Tilsit auf
40.000 Mann festgestellt. Dem regierenden Hause wurde vom Feinde nur die
Hälfte seines Besitzes zurückgegeben. Unerschwingliche Kriegscontributioncn
drückten das Land. In den Festungen blieben feindliche Besatzungen.

Die älteren Formen der Gesellschaft, auf welche Friedrich Wilhelm der
Erste hundert Jahre früher sein Heer gegründet, hatten sich damals überlebt,
es war unmöglich zu einer starken Kriegsverfassung zu gelangen, wenn die
ganze Gesellschaft nicht eine andere Gestalt erhielt. Die Kriegseinrichtung
wird zum Theil durch die Staatseinrichtung bedingt, und diese wieder durch
jene. Eine durchgreifende Reform der einen führt gar häusig zu einer durch¬
greifenden Reform der anderen. Die frühere Staatseinrichtung ruhte auf der
scharfen Sonderling der drei Stände, der Edelleute, der Bürger und der Bauer",
eine Sonderung, die fast so scharf gezogen war. wie in Indien die der Kasten.
Friedrich Wilhelm der Dritte hob dieses Verhältniß durch eine Reihe von Ge¬
setzen auf und entwarf ohne Zeitverlust mit fester Hand schon im Jahr 18"?
die Grundzüge der neuen Militärverfassung. Ihre Ausführung wurde der ein¬
sichtsvollen Leitung Scharnhorsts anvertraut, der unbekümmert um gegne¬
rische Urtheile ruhig das vorgesteckte Ziel verfolgte und sich dadurch unver¬
gängliche Verdienste um den Staat erwarb. An den Ufern der Memel und
des Pregel wurden die Umrisse gezeichnet, deren kühne Ausführung der preu¬
ßischen Fahne den Sieg verlieh, sie vor die Thore von Paris führte, die
Rheinlande mit dem preußischen Staate vereinigte und dem Könige die ver¬
lorene ältere Provinz wiedergab. Einfach wie alles wahrhaft Große, bedeu¬
tend in ihren Wirkungen umfaßten sie: 1. Die allgemeine Verpflichtung zum
Kriegsdienste, 2. die jährliche Ausbildung einer bedeutenden Anzahl von
Rekruten, Z. die Zusammenziehung der Brigaden und den Garnisonwcchscl
der Truppen, 4. die Einführung einer Landwehr. An diese Grundzüge
schlössen sich an: eine angemessene, auf Ehrgefühl berechnete Behandlung des
Soldaten, eine verbesserte Fechtnrr, zweckmäßigere Bekleidung, größere Beweg¬
lichkeit durch Verminderung des Gepäckes, militärische Bildungsanstalten, gleiche
Ansprüche auf höhere Stellen und vor allem die Zusammensetzung des Heeres
aus Eingeborenen, die Abstellung des vormaligen Beurlaubungs- und des
daraus hervorgegangenen schädlichen Freiwächter- und Oekonomicsystems. Die


Zur Geschichte des preußischen Heeres.
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Das preußische Heer hatte sich nach den Begebenheiten von 1806 und 1807
in Trümmer aufgelöst. Seine Stärke wurde nach dem Frieden von Tilsit auf
40.000 Mann festgestellt. Dem regierenden Hause wurde vom Feinde nur die
Hälfte seines Besitzes zurückgegeben. Unerschwingliche Kriegscontributioncn
drückten das Land. In den Festungen blieben feindliche Besatzungen.

Die älteren Formen der Gesellschaft, auf welche Friedrich Wilhelm der
Erste hundert Jahre früher sein Heer gegründet, hatten sich damals überlebt,
es war unmöglich zu einer starken Kriegsverfassung zu gelangen, wenn die
ganze Gesellschaft nicht eine andere Gestalt erhielt. Die Kriegseinrichtung
wird zum Theil durch die Staatseinrichtung bedingt, und diese wieder durch
jene. Eine durchgreifende Reform der einen führt gar häusig zu einer durch¬
greifenden Reform der anderen. Die frühere Staatseinrichtung ruhte auf der
scharfen Sonderling der drei Stände, der Edelleute, der Bürger und der Bauer»,
eine Sonderung, die fast so scharf gezogen war. wie in Indien die der Kasten.
Friedrich Wilhelm der Dritte hob dieses Verhältniß durch eine Reihe von Ge¬
setzen auf und entwarf ohne Zeitverlust mit fester Hand schon im Jahr 18»?
die Grundzüge der neuen Militärverfassung. Ihre Ausführung wurde der ein¬
sichtsvollen Leitung Scharnhorsts anvertraut, der unbekümmert um gegne¬
rische Urtheile ruhig das vorgesteckte Ziel verfolgte und sich dadurch unver¬
gängliche Verdienste um den Staat erwarb. An den Ufern der Memel und
des Pregel wurden die Umrisse gezeichnet, deren kühne Ausführung der preu¬
ßischen Fahne den Sieg verlieh, sie vor die Thore von Paris führte, die
Rheinlande mit dem preußischen Staate vereinigte und dem Könige die ver¬
lorene ältere Provinz wiedergab. Einfach wie alles wahrhaft Große, bedeu¬
tend in ihren Wirkungen umfaßten sie: 1. Die allgemeine Verpflichtung zum
Kriegsdienste, 2. die jährliche Ausbildung einer bedeutenden Anzahl von
Rekruten, Z. die Zusammenziehung der Brigaden und den Garnisonwcchscl
der Truppen, 4. die Einführung einer Landwehr. An diese Grundzüge
schlössen sich an: eine angemessene, auf Ehrgefühl berechnete Behandlung des
Soldaten, eine verbesserte Fechtnrr, zweckmäßigere Bekleidung, größere Beweg¬
lichkeit durch Verminderung des Gepäckes, militärische Bildungsanstalten, gleiche
Ansprüche auf höhere Stellen und vor allem die Zusammensetzung des Heeres
aus Eingeborenen, die Abstellung des vormaligen Beurlaubungs- und des
daraus hervorgegangenen schädlichen Freiwächter- und Oekonomicsystems. Die


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[0275] Zur Geschichte des preußischen Heeres. '^ ' ' ' ?.^/nul'.t».^ in-' ^.del Das preußische Heer hatte sich nach den Begebenheiten von 1806 und 1807 in Trümmer aufgelöst. Seine Stärke wurde nach dem Frieden von Tilsit auf 40.000 Mann festgestellt. Dem regierenden Hause wurde vom Feinde nur die Hälfte seines Besitzes zurückgegeben. Unerschwingliche Kriegscontributioncn drückten das Land. In den Festungen blieben feindliche Besatzungen. Die älteren Formen der Gesellschaft, auf welche Friedrich Wilhelm der Erste hundert Jahre früher sein Heer gegründet, hatten sich damals überlebt, es war unmöglich zu einer starken Kriegsverfassung zu gelangen, wenn die ganze Gesellschaft nicht eine andere Gestalt erhielt. Die Kriegseinrichtung wird zum Theil durch die Staatseinrichtung bedingt, und diese wieder durch jene. Eine durchgreifende Reform der einen führt gar häusig zu einer durch¬ greifenden Reform der anderen. Die frühere Staatseinrichtung ruhte auf der scharfen Sonderling der drei Stände, der Edelleute, der Bürger und der Bauer», eine Sonderung, die fast so scharf gezogen war. wie in Indien die der Kasten. Friedrich Wilhelm der Dritte hob dieses Verhältniß durch eine Reihe von Ge¬ setzen auf und entwarf ohne Zeitverlust mit fester Hand schon im Jahr 18»? die Grundzüge der neuen Militärverfassung. Ihre Ausführung wurde der ein¬ sichtsvollen Leitung Scharnhorsts anvertraut, der unbekümmert um gegne¬ rische Urtheile ruhig das vorgesteckte Ziel verfolgte und sich dadurch unver¬ gängliche Verdienste um den Staat erwarb. An den Ufern der Memel und des Pregel wurden die Umrisse gezeichnet, deren kühne Ausführung der preu¬ ßischen Fahne den Sieg verlieh, sie vor die Thore von Paris führte, die Rheinlande mit dem preußischen Staate vereinigte und dem Könige die ver¬ lorene ältere Provinz wiedergab. Einfach wie alles wahrhaft Große, bedeu¬ tend in ihren Wirkungen umfaßten sie: 1. Die allgemeine Verpflichtung zum Kriegsdienste, 2. die jährliche Ausbildung einer bedeutenden Anzahl von Rekruten, Z. die Zusammenziehung der Brigaden und den Garnisonwcchscl der Truppen, 4. die Einführung einer Landwehr. An diese Grundzüge schlössen sich an: eine angemessene, auf Ehrgefühl berechnete Behandlung des Soldaten, eine verbesserte Fechtnrr, zweckmäßigere Bekleidung, größere Beweg¬ lichkeit durch Verminderung des Gepäckes, militärische Bildungsanstalten, gleiche Ansprüche auf höhere Stellen und vor allem die Zusammensetzung des Heeres aus Eingeborenen, die Abstellung des vormaligen Beurlaubungs- und des daraus hervorgegangenen schädlichen Freiwächter- und Oekonomicsystems. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/275>, abgerufen am 28.04.2024.