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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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wäre Preußen in den Reihen der fünf Großmächte wieder zur Gleichberech¬
tigung gelcingt. Wenn man von allen Seiten hört, wir seien heruntergestie¬
gen von der früheren Höhe, so liegt offenbar der Grund hauptsächlich in un¬
serer Heeres. Einrichtung; darin, daß man dem Lande keine neue Opfer hat
auferlegen wollen. Diese Opfer sind bedeutend, aber -- da ein Krieg in un¬
sern Tagen unmöglich von langer Dauer sein kann -- nicht unerschwinglich,
und wer das Wiederaufleben Preußens, wer die Wiedergewinnung jener Ach¬
tung gebietenden Stellung wünscht, die es unter Friedrich dem Großen einnahm,
der wird auch die dahin führenden Mittel wollen müssen. Diese Mittel würden sich
beschaffen lassen ohne daß das preußische Volk größere pekuniäre Opfer
brächte, als sie die Väter seit Friedrich Wilhelm dem Ersten gebracht haben:
sie würden auf jeden Kopf der Bevölkerung zwei Thaler oder im Ganzen
sechsunddreißig Millionen Thaler betragen (? d. Red.). Bringen nicht sämmt¬
liche Nachbarstaaten für ihre Selbstständigkeit und ihre Stellung unter den
v. C. Völkern^der Erde thatsächlich ungleich größere Opfer?




Literarische Srreisziige.
2.

Unbewußte Reproductionen früherer Dichtungen, die in dem geistigen
Leben einer Nation eine durchgreifende Epoche bilden, kommen zu allen Zei¬
ten vor; unsere Zeit zeichnet sich durch die große Zahl bewußter Reproduc-
tionen aus. Man beginnt mit der ästhetischen und philosophischen Kritik äl¬
terer Dichtungen, diese Kritik verwebt man zu einer Art System, und aus
diesem System heraus zimmert man sich den Plan zu einem neuen Gedicht,
das wenigstens der Intention nach das frühere übertreffen soll. Ein solches
Vorhaben gesteht Ferdinand Stolle, der Verfasser eines neuen Faust
(Leipzig, Veit) in der Vorrede ein, und nimmt für diesen Versuch wenigstens
das Neckt subjectiver Nothwendigkeit in Anspruch: die Gedanken, die er sich
über den Goethe'sehen Faust gemacht, seien so umfassend, ihm so interessant
und so mächtig über ihn geworden, daß sie ihn gleichsam gezwungen hätten,
dieses Gedicht zu schreiben. Indem wir diesem Zeugniß vollen Glauben schen¬
ken und annehmen, daß er seinerseits- aus der subjectiven Nothwendigkeit nicht


wäre Preußen in den Reihen der fünf Großmächte wieder zur Gleichberech¬
tigung gelcingt. Wenn man von allen Seiten hört, wir seien heruntergestie¬
gen von der früheren Höhe, so liegt offenbar der Grund hauptsächlich in un¬
serer Heeres. Einrichtung; darin, daß man dem Lande keine neue Opfer hat
auferlegen wollen. Diese Opfer sind bedeutend, aber — da ein Krieg in un¬
sern Tagen unmöglich von langer Dauer sein kann — nicht unerschwinglich,
und wer das Wiederaufleben Preußens, wer die Wiedergewinnung jener Ach¬
tung gebietenden Stellung wünscht, die es unter Friedrich dem Großen einnahm,
der wird auch die dahin führenden Mittel wollen müssen. Diese Mittel würden sich
beschaffen lassen ohne daß das preußische Volk größere pekuniäre Opfer
brächte, als sie die Väter seit Friedrich Wilhelm dem Ersten gebracht haben:
sie würden auf jeden Kopf der Bevölkerung zwei Thaler oder im Ganzen
sechsunddreißig Millionen Thaler betragen (? d. Red.). Bringen nicht sämmt¬
liche Nachbarstaaten für ihre Selbstständigkeit und ihre Stellung unter den
v. C. Völkern^der Erde thatsächlich ungleich größere Opfer?




Literarische Srreisziige.
2.

Unbewußte Reproductionen früherer Dichtungen, die in dem geistigen
Leben einer Nation eine durchgreifende Epoche bilden, kommen zu allen Zei¬
ten vor; unsere Zeit zeichnet sich durch die große Zahl bewußter Reproduc-
tionen aus. Man beginnt mit der ästhetischen und philosophischen Kritik äl¬
terer Dichtungen, diese Kritik verwebt man zu einer Art System, und aus
diesem System heraus zimmert man sich den Plan zu einem neuen Gedicht,
das wenigstens der Intention nach das frühere übertreffen soll. Ein solches
Vorhaben gesteht Ferdinand Stolle, der Verfasser eines neuen Faust
(Leipzig, Veit) in der Vorrede ein, und nimmt für diesen Versuch wenigstens
das Neckt subjectiver Nothwendigkeit in Anspruch: die Gedanken, die er sich
über den Goethe'sehen Faust gemacht, seien so umfassend, ihm so interessant
und so mächtig über ihn geworden, daß sie ihn gleichsam gezwungen hätten,
dieses Gedicht zu schreiben. Indem wir diesem Zeugniß vollen Glauben schen¬
ken und annehmen, daß er seinerseits- aus der subjectiven Nothwendigkeit nicht


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[0280] wäre Preußen in den Reihen der fünf Großmächte wieder zur Gleichberech¬ tigung gelcingt. Wenn man von allen Seiten hört, wir seien heruntergestie¬ gen von der früheren Höhe, so liegt offenbar der Grund hauptsächlich in un¬ serer Heeres. Einrichtung; darin, daß man dem Lande keine neue Opfer hat auferlegen wollen. Diese Opfer sind bedeutend, aber — da ein Krieg in un¬ sern Tagen unmöglich von langer Dauer sein kann — nicht unerschwinglich, und wer das Wiederaufleben Preußens, wer die Wiedergewinnung jener Ach¬ tung gebietenden Stellung wünscht, die es unter Friedrich dem Großen einnahm, der wird auch die dahin führenden Mittel wollen müssen. Diese Mittel würden sich beschaffen lassen ohne daß das preußische Volk größere pekuniäre Opfer brächte, als sie die Väter seit Friedrich Wilhelm dem Ersten gebracht haben: sie würden auf jeden Kopf der Bevölkerung zwei Thaler oder im Ganzen sechsunddreißig Millionen Thaler betragen (? d. Red.). Bringen nicht sämmt¬ liche Nachbarstaaten für ihre Selbstständigkeit und ihre Stellung unter den v. C. Völkern^der Erde thatsächlich ungleich größere Opfer? Literarische Srreisziige. 2. Unbewußte Reproductionen früherer Dichtungen, die in dem geistigen Leben einer Nation eine durchgreifende Epoche bilden, kommen zu allen Zei¬ ten vor; unsere Zeit zeichnet sich durch die große Zahl bewußter Reproduc- tionen aus. Man beginnt mit der ästhetischen und philosophischen Kritik äl¬ terer Dichtungen, diese Kritik verwebt man zu einer Art System, und aus diesem System heraus zimmert man sich den Plan zu einem neuen Gedicht, das wenigstens der Intention nach das frühere übertreffen soll. Ein solches Vorhaben gesteht Ferdinand Stolle, der Verfasser eines neuen Faust (Leipzig, Veit) in der Vorrede ein, und nimmt für diesen Versuch wenigstens das Neckt subjectiver Nothwendigkeit in Anspruch: die Gedanken, die er sich über den Goethe'sehen Faust gemacht, seien so umfassend, ihm so interessant und so mächtig über ihn geworden, daß sie ihn gleichsam gezwungen hätten, dieses Gedicht zu schreiben. Indem wir diesem Zeugniß vollen Glauben schen¬ ken und annehmen, daß er seinerseits- aus der subjectiven Nothwendigkeit nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/280>, abgerufen am 29.04.2024.