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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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bildete. -- Demselben Wunsch schließt sich Hermann Grimm an ("die Aka¬
demie der Künste und das Verhältniß der Künstler zum Staat," Berlin, Hertz).
Die eigentliche Kunst kann nicht gelernt werden, wohl aber das Handwerk,
darum hat Schule und Akademie sich hauptsächlich ans Technische zu halten;
sie soll die Hand bilden, das Innere dagegen und Tiefere der Kunst der In¬
I. S. dividualität des Künstlers überlassen.




Von der preußischen Grenze.

Mit tiefer Beschämung müssen wir Deutsche auf die Entwicklung der italieni¬
schen Angelegenheiten blicken. Vor noch nicht langer Zeit hätte in jedem unserer
Politischen Kirchspiele jeder Küster aus Principien der höheren Staatsweisheit be¬
wiesen, daß die Italiener zum Politischen Leben unfähig seien. Vom Professor bis
herunter zum Barbier gab es in Deutschland über diesen Punkt nur eine Meinung
-- was viel sagt, da die Zahl solcher Punkte zinnlich gering ist. Und jetzt -- wer
nicht gewaltsam seine Augen vor der Wirklichkeit verschließt, muß zugestehen, daß
wenn es irgend ein Volk in Europa giebt, würdig sich die Freiheit zu erringen, es
die Italiener sind, wenigstens derjenige Theil, der bisher in Action gekommen ist.
Eine solche Einigung von Maaß und Entschlossenheit, von Freiheitsliebe und Sub¬
ordination muß uns ganz unglaublich vorkommen, die wir seit elf Jahren über
dem Gedanken der deutschen Einheit brüten und es noch nicht einmal zu einem ein¬
stimmigen Wunsch haben bringen können, zu einem Wunsch, der über den ganz un¬
bestimmten Umriß der Einheit im Allgemeinen hinaufginge. Ja ehe wir uns zum
Positiven Gedanken einer durchführbaren Einheit erheben, haben wir vorher noch
einen beschwerlichen und undankbaren Kampf zu bestehen, den Kampf mit den Chi¬
mären. Der erste Schritt zur Einheit Deutschlands wird gethan sein, sobald die
öffentliche Meinung darüber ins Klare kommt, daß unter allen absurden Einfällen,
die je ein politischer Zinngießer ausgeheckt, der Einfall, eine deutsche Cen-
tralgewalt zu schaffen, der sich die beiden Staaten Oestreich und Preu¬
ßen unterordnen sollen, der absurdeste ist. Oder gibt es noch einen ab¬
surderen Einfall? Gehört der Einfall, ein deutsches Parlament einzuberufen, dem
keine Centralgewalt gegenüber steht, eine Volksvertretung aus verschiedenen Staaten
zusammenzusetzen, gehört dieser Einfall noch mehr ins Reich der Chimären? Wir
wollen darüber nicht rechten, zufrieden, wenn man zugibt, daß in der ganzen Ge¬
schichte von Cyrus bis aus unsere Tage nichts vorgekommen ist, was sich diesen
beiden Einfällen ebenbürtig an die Seite stellen könnte.

Es scheint freilich noch nicht viel gewonnen, wenn man sich nur darüber einigt


bildete. — Demselben Wunsch schließt sich Hermann Grimm an („die Aka¬
demie der Künste und das Verhältniß der Künstler zum Staat," Berlin, Hertz).
Die eigentliche Kunst kann nicht gelernt werden, wohl aber das Handwerk,
darum hat Schule und Akademie sich hauptsächlich ans Technische zu halten;
sie soll die Hand bilden, das Innere dagegen und Tiefere der Kunst der In¬
I. S. dividualität des Künstlers überlassen.




Von der preußischen Grenze.

Mit tiefer Beschämung müssen wir Deutsche auf die Entwicklung der italieni¬
schen Angelegenheiten blicken. Vor noch nicht langer Zeit hätte in jedem unserer
Politischen Kirchspiele jeder Küster aus Principien der höheren Staatsweisheit be¬
wiesen, daß die Italiener zum Politischen Leben unfähig seien. Vom Professor bis
herunter zum Barbier gab es in Deutschland über diesen Punkt nur eine Meinung
— was viel sagt, da die Zahl solcher Punkte zinnlich gering ist. Und jetzt — wer
nicht gewaltsam seine Augen vor der Wirklichkeit verschließt, muß zugestehen, daß
wenn es irgend ein Volk in Europa giebt, würdig sich die Freiheit zu erringen, es
die Italiener sind, wenigstens derjenige Theil, der bisher in Action gekommen ist.
Eine solche Einigung von Maaß und Entschlossenheit, von Freiheitsliebe und Sub¬
ordination muß uns ganz unglaublich vorkommen, die wir seit elf Jahren über
dem Gedanken der deutschen Einheit brüten und es noch nicht einmal zu einem ein¬
stimmigen Wunsch haben bringen können, zu einem Wunsch, der über den ganz un¬
bestimmten Umriß der Einheit im Allgemeinen hinaufginge. Ja ehe wir uns zum
Positiven Gedanken einer durchführbaren Einheit erheben, haben wir vorher noch
einen beschwerlichen und undankbaren Kampf zu bestehen, den Kampf mit den Chi¬
mären. Der erste Schritt zur Einheit Deutschlands wird gethan sein, sobald die
öffentliche Meinung darüber ins Klare kommt, daß unter allen absurden Einfällen,
die je ein politischer Zinngießer ausgeheckt, der Einfall, eine deutsche Cen-
tralgewalt zu schaffen, der sich die beiden Staaten Oestreich und Preu¬
ßen unterordnen sollen, der absurdeste ist. Oder gibt es noch einen ab¬
surderen Einfall? Gehört der Einfall, ein deutsches Parlament einzuberufen, dem
keine Centralgewalt gegenüber steht, eine Volksvertretung aus verschiedenen Staaten
zusammenzusetzen, gehört dieser Einfall noch mehr ins Reich der Chimären? Wir
wollen darüber nicht rechten, zufrieden, wenn man zugibt, daß in der ganzen Ge¬
schichte von Cyrus bis aus unsere Tage nichts vorgekommen ist, was sich diesen
beiden Einfällen ebenbürtig an die Seite stellen könnte.

Es scheint freilich noch nicht viel gewonnen, wenn man sich nur darüber einigt


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[0287] bildete. — Demselben Wunsch schließt sich Hermann Grimm an („die Aka¬ demie der Künste und das Verhältniß der Künstler zum Staat," Berlin, Hertz). Die eigentliche Kunst kann nicht gelernt werden, wohl aber das Handwerk, darum hat Schule und Akademie sich hauptsächlich ans Technische zu halten; sie soll die Hand bilden, das Innere dagegen und Tiefere der Kunst der In¬ I. S. dividualität des Künstlers überlassen. Von der preußischen Grenze. Mit tiefer Beschämung müssen wir Deutsche auf die Entwicklung der italieni¬ schen Angelegenheiten blicken. Vor noch nicht langer Zeit hätte in jedem unserer Politischen Kirchspiele jeder Küster aus Principien der höheren Staatsweisheit be¬ wiesen, daß die Italiener zum Politischen Leben unfähig seien. Vom Professor bis herunter zum Barbier gab es in Deutschland über diesen Punkt nur eine Meinung — was viel sagt, da die Zahl solcher Punkte zinnlich gering ist. Und jetzt — wer nicht gewaltsam seine Augen vor der Wirklichkeit verschließt, muß zugestehen, daß wenn es irgend ein Volk in Europa giebt, würdig sich die Freiheit zu erringen, es die Italiener sind, wenigstens derjenige Theil, der bisher in Action gekommen ist. Eine solche Einigung von Maaß und Entschlossenheit, von Freiheitsliebe und Sub¬ ordination muß uns ganz unglaublich vorkommen, die wir seit elf Jahren über dem Gedanken der deutschen Einheit brüten und es noch nicht einmal zu einem ein¬ stimmigen Wunsch haben bringen können, zu einem Wunsch, der über den ganz un¬ bestimmten Umriß der Einheit im Allgemeinen hinaufginge. Ja ehe wir uns zum Positiven Gedanken einer durchführbaren Einheit erheben, haben wir vorher noch einen beschwerlichen und undankbaren Kampf zu bestehen, den Kampf mit den Chi¬ mären. Der erste Schritt zur Einheit Deutschlands wird gethan sein, sobald die öffentliche Meinung darüber ins Klare kommt, daß unter allen absurden Einfällen, die je ein politischer Zinngießer ausgeheckt, der Einfall, eine deutsche Cen- tralgewalt zu schaffen, der sich die beiden Staaten Oestreich und Preu¬ ßen unterordnen sollen, der absurdeste ist. Oder gibt es noch einen ab¬ surderen Einfall? Gehört der Einfall, ein deutsches Parlament einzuberufen, dem keine Centralgewalt gegenüber steht, eine Volksvertretung aus verschiedenen Staaten zusammenzusetzen, gehört dieser Einfall noch mehr ins Reich der Chimären? Wir wollen darüber nicht rechten, zufrieden, wenn man zugibt, daß in der ganzen Ge¬ schichte von Cyrus bis aus unsere Tage nichts vorgekommen ist, was sich diesen beiden Einfällen ebenbürtig an die Seite stellen könnte. Es scheint freilich noch nicht viel gewonnen, wenn man sich nur darüber einigt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/287>, abgerufen am 29.04.2024.