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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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nöthiger, es auszusprechen, da seine Irrthümer keineswegs gleichgiltig sind,
sondern wenn sie angenommen würden, den größten Schaden stiften müßten.
-- Es ist eine seltene Laune des Schicksals, daß es grade von Arnold Ruge
in Deutschland eingeführt wird, der doch wahrend seiner ganzen literarischen
Laufbahn, auch noch als Flüchtling, mit großem Eifer die Sache des Idea¬
lismus gegen den Materialismus vertreten hat. Und hier ist wirklich von
dem schlimmsten Materialismus die Rede: denn dieser liegt nicht etwa in die¬
ser oder jener Ansicht vom religiösen Dogma, sondern in der Herabsetzung
des Concretgeistigen unter das Abstractgeistige, d. h. in der Unterordnung der
sittlichen, politischen, gemüthlich religiösen und künstlerischen Interessen unter
das einseitige naturwissenschaftliche Interesse. Ruge ist wohl nur durch die
gemeinsame Opposition gegen das herrschende Glaubenssystem verleitet wor¬
den, in diesem Buch eine Bekräftigung seiner eignen Ansichten zu suchen. --
Die Übersetzung liest sich im Allgemeinen sehr bequem, wie das von Rüge
zu erwarten ist, doch kommen mitunter ziemlich starke Flüchtigkeiten vor; z. B.
S. 19 und S. 27 mit der Induction und dem Parallelogramm der Kräfte.


I. S.


Militärische Tagesfragen.
Die Küstenbefestigungen an der Nord- und Ostsee.

Als nach den Befreiungskriegen ein Theil der von Frankreich gezählten
Contrivutionsgelder zur Befestigung unserer Grenzen verwendet wurde, glaubte
man, um die Wiederkehr so trüber Zeiten zu verhindern, genug zu thun,
wenn man die Rheinlinie mit einer Anzahl tüchtiger Festungen versehe;
an die Befestigung von Ulm, diesen für den Südwesten Deutschlands so
wichtigen Platz, der den Schwarzwald schließt und die Donaulinie beherrscht,
dachte man erst später und holte das Versäumte mit Eifer und großer Sach¬
kenntniß nach. Wir sind gegen einen Angriff Frankreichs auf dieser Seite so
weit gedeckt, als dies Befestigungen überhaupt ermöglichen können. Mittler¬
weile haben aber die Verhältnisse in Frankreich einen Umschwung genommen,
der uns zur höchsten Vorsicht mahnen muß. Die Flotten Frankreichs waren
unter Napoleon dem Ersten und während der Kriege der Revolution durch
die Engländer vernichtet worden, in Folge dessen hatte Deutschland eine fran¬
zösische Operation von der Seeseite nicht zu fürchten; das hat sich geändert.
Während des Bürgerkönigthums Louis Philipps ward der Grund zu einer
neuen Flotte gelegt, Napoleon, die ganze Größe des Gewichtes, welches eine


nöthiger, es auszusprechen, da seine Irrthümer keineswegs gleichgiltig sind,
sondern wenn sie angenommen würden, den größten Schaden stiften müßten.
— Es ist eine seltene Laune des Schicksals, daß es grade von Arnold Ruge
in Deutschland eingeführt wird, der doch wahrend seiner ganzen literarischen
Laufbahn, auch noch als Flüchtling, mit großem Eifer die Sache des Idea¬
lismus gegen den Materialismus vertreten hat. Und hier ist wirklich von
dem schlimmsten Materialismus die Rede: denn dieser liegt nicht etwa in die¬
ser oder jener Ansicht vom religiösen Dogma, sondern in der Herabsetzung
des Concretgeistigen unter das Abstractgeistige, d. h. in der Unterordnung der
sittlichen, politischen, gemüthlich religiösen und künstlerischen Interessen unter
das einseitige naturwissenschaftliche Interesse. Ruge ist wohl nur durch die
gemeinsame Opposition gegen das herrschende Glaubenssystem verleitet wor¬
den, in diesem Buch eine Bekräftigung seiner eignen Ansichten zu suchen. —
Die Übersetzung liest sich im Allgemeinen sehr bequem, wie das von Rüge
zu erwarten ist, doch kommen mitunter ziemlich starke Flüchtigkeiten vor; z. B.
S. 19 und S. 27 mit der Induction und dem Parallelogramm der Kräfte.


I. S.


Militärische Tagesfragen.
Die Küstenbefestigungen an der Nord- und Ostsee.

Als nach den Befreiungskriegen ein Theil der von Frankreich gezählten
Contrivutionsgelder zur Befestigung unserer Grenzen verwendet wurde, glaubte
man, um die Wiederkehr so trüber Zeiten zu verhindern, genug zu thun,
wenn man die Rheinlinie mit einer Anzahl tüchtiger Festungen versehe;
an die Befestigung von Ulm, diesen für den Südwesten Deutschlands so
wichtigen Platz, der den Schwarzwald schließt und die Donaulinie beherrscht,
dachte man erst später und holte das Versäumte mit Eifer und großer Sach¬
kenntniß nach. Wir sind gegen einen Angriff Frankreichs auf dieser Seite so
weit gedeckt, als dies Befestigungen überhaupt ermöglichen können. Mittler¬
weile haben aber die Verhältnisse in Frankreich einen Umschwung genommen,
der uns zur höchsten Vorsicht mahnen muß. Die Flotten Frankreichs waren
unter Napoleon dem Ersten und während der Kriege der Revolution durch
die Engländer vernichtet worden, in Folge dessen hatte Deutschland eine fran¬
zösische Operation von der Seeseite nicht zu fürchten; das hat sich geändert.
Während des Bürgerkönigthums Louis Philipps ward der Grund zu einer
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/321>, abgerufen am 29.04.2024.