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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Die streitigen Grenzen in Schleswig-Holstein.

Während die holsteinische Frage im Berathungssaal des deutschen Bundes¬
tags vor Langeweile über ihre "correcte" Behandlung eingeschlafen schien,
während sie jetzt in einer Weise aufgewacht ist, daß man wünschen möchte, sie
habe sortgcruht, regt sie sich jenseits der Eider in ihrer eigentlichen Ge¬
stalt, als Schleswig-holsteinische, in diesem Winter lebhafter als seit Jahren.
Die in Flensburg lagerten Stände des Herzogthums Schleswigs entwickeln
eine Energie, welche des besten Erfolgs werth wäre. Die deutsche Ma¬
jorität--sie verfügt über 27, die dänischgesinnte Minorität nur über 14 Stim¬
men-- hat es, geführt von den Bauern Thomsen von Oldensworth und Hansen
von Grumbye so wie von Graf Baudissin und v. Rumohr-Nundhof, für
ihre Pflicht gehalten, von Neuem gegen das Sprachedict, welches die Schulen
und Kirchen von Mittelschleswig danisirt, zu protestiren, wobei sie sich auf
10,000 Petitionen aus den von jenem Edict betroffenen Districten stützte. Sie
hat ferner den vormaligen Minister Wolfhagen in Anklagestand zu versetzen
beschlossen, sie tritt gegen die Verfügungen, welche den Schleswigern wehren,
die beiden Herzogthümern gemeinsame Universität zu besuchen, in die Schranken,
und sie ist seit der Diät von 1840, wo die Stände sich gegen den "Öffnen
Brief" Christians des Achten erklärten, zum ersten Mal wieder im Begriff,
sich in einer Adresse an den König zu wenden. Diese Adresse sagt im Wesent¬
lichen folgendes: Die Bekanntmachung von 28. Januar 1852 habe kaum das
kleinste Maß der gerechten Erwartungen Schleswigs befriedigt, aber auch diese
Zusicherungen seien durchgehends nicht gehalten worden. Die Sonderverfassung
für das Herzogthum und die Gesammtverfassung verleugnen diese Zusicherungen.
Statt der Verheißung: Gleichberechtigung der Nationalitäten sei eine gewalt¬
same schonungslose Unterdrückung des deutschen Elements eingetreten. Nur eine
vollständige Umkehr von dem bisherigen System könne zum Frieden führen.
Da die Verheißungen der Bekanntmachung von 1852 sich nicht einseitig auf
Holstein, sondern ganz ebenso auf Schleswig bezogen, so können die für Hol¬
stein am 6. November 1858 aufgehobenen Bestimmungen nebst der Gesammt¬
verfassung von 1855 nicht mehr für Schleswig gelten. Die Stände verweisen
dann auf die am V.September 1846 der deutschen Bundesversammlung über-
gebene, die Verbindung Schleswigs mit Holstein anerkennende Erklärung Däne¬
marks und erheben feierlich Protest gegen alle bisherigen wie künftigen, eine
Trennung der beiden Herzogthümer bezweckenden Maßregeln.

Dazu kommen Gerüchte, daß man in England und Frankreich wieder an
den Plan einer Theilung Schleswigs nach den Sprachgrenzen denke, dazu die
heillose Zerfahrenheit in Dänemark selbst, das soeben wieder ein Ministerium


, ' 47*
Die streitigen Grenzen in Schleswig-Holstein.

Während die holsteinische Frage im Berathungssaal des deutschen Bundes¬
tags vor Langeweile über ihre „correcte" Behandlung eingeschlafen schien,
während sie jetzt in einer Weise aufgewacht ist, daß man wünschen möchte, sie
habe sortgcruht, regt sie sich jenseits der Eider in ihrer eigentlichen Ge¬
stalt, als Schleswig-holsteinische, in diesem Winter lebhafter als seit Jahren.
Die in Flensburg lagerten Stände des Herzogthums Schleswigs entwickeln
eine Energie, welche des besten Erfolgs werth wäre. Die deutsche Ma¬
jorität—sie verfügt über 27, die dänischgesinnte Minorität nur über 14 Stim¬
men— hat es, geführt von den Bauern Thomsen von Oldensworth und Hansen
von Grumbye so wie von Graf Baudissin und v. Rumohr-Nundhof, für
ihre Pflicht gehalten, von Neuem gegen das Sprachedict, welches die Schulen
und Kirchen von Mittelschleswig danisirt, zu protestiren, wobei sie sich auf
10,000 Petitionen aus den von jenem Edict betroffenen Districten stützte. Sie
hat ferner den vormaligen Minister Wolfhagen in Anklagestand zu versetzen
beschlossen, sie tritt gegen die Verfügungen, welche den Schleswigern wehren,
die beiden Herzogthümern gemeinsame Universität zu besuchen, in die Schranken,
und sie ist seit der Diät von 1840, wo die Stände sich gegen den „Öffnen
Brief" Christians des Achten erklärten, zum ersten Mal wieder im Begriff,
sich in einer Adresse an den König zu wenden. Diese Adresse sagt im Wesent¬
lichen folgendes: Die Bekanntmachung von 28. Januar 1852 habe kaum das
kleinste Maß der gerechten Erwartungen Schleswigs befriedigt, aber auch diese
Zusicherungen seien durchgehends nicht gehalten worden. Die Sonderverfassung
für das Herzogthum und die Gesammtverfassung verleugnen diese Zusicherungen.
Statt der Verheißung: Gleichberechtigung der Nationalitäten sei eine gewalt¬
same schonungslose Unterdrückung des deutschen Elements eingetreten. Nur eine
vollständige Umkehr von dem bisherigen System könne zum Frieden führen.
Da die Verheißungen der Bekanntmachung von 1852 sich nicht einseitig auf
Holstein, sondern ganz ebenso auf Schleswig bezogen, so können die für Hol¬
stein am 6. November 1858 aufgehobenen Bestimmungen nebst der Gesammt¬
verfassung von 1855 nicht mehr für Schleswig gelten. Die Stände verweisen
dann auf die am V.September 1846 der deutschen Bundesversammlung über-
gebene, die Verbindung Schleswigs mit Holstein anerkennende Erklärung Däne¬
marks und erheben feierlich Protest gegen alle bisherigen wie künftigen, eine
Trennung der beiden Herzogthümer bezweckenden Maßregeln.

Dazu kommen Gerüchte, daß man in England und Frankreich wieder an
den Plan einer Theilung Schleswigs nach den Sprachgrenzen denke, dazu die
heillose Zerfahrenheit in Dänemark selbst, das soeben wieder ein Ministerium


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[0383] Die streitigen Grenzen in Schleswig-Holstein. Während die holsteinische Frage im Berathungssaal des deutschen Bundes¬ tags vor Langeweile über ihre „correcte" Behandlung eingeschlafen schien, während sie jetzt in einer Weise aufgewacht ist, daß man wünschen möchte, sie habe sortgcruht, regt sie sich jenseits der Eider in ihrer eigentlichen Ge¬ stalt, als Schleswig-holsteinische, in diesem Winter lebhafter als seit Jahren. Die in Flensburg lagerten Stände des Herzogthums Schleswigs entwickeln eine Energie, welche des besten Erfolgs werth wäre. Die deutsche Ma¬ jorität—sie verfügt über 27, die dänischgesinnte Minorität nur über 14 Stim¬ men— hat es, geführt von den Bauern Thomsen von Oldensworth und Hansen von Grumbye so wie von Graf Baudissin und v. Rumohr-Nundhof, für ihre Pflicht gehalten, von Neuem gegen das Sprachedict, welches die Schulen und Kirchen von Mittelschleswig danisirt, zu protestiren, wobei sie sich auf 10,000 Petitionen aus den von jenem Edict betroffenen Districten stützte. Sie hat ferner den vormaligen Minister Wolfhagen in Anklagestand zu versetzen beschlossen, sie tritt gegen die Verfügungen, welche den Schleswigern wehren, die beiden Herzogthümern gemeinsame Universität zu besuchen, in die Schranken, und sie ist seit der Diät von 1840, wo die Stände sich gegen den „Öffnen Brief" Christians des Achten erklärten, zum ersten Mal wieder im Begriff, sich in einer Adresse an den König zu wenden. Diese Adresse sagt im Wesent¬ lichen folgendes: Die Bekanntmachung von 28. Januar 1852 habe kaum das kleinste Maß der gerechten Erwartungen Schleswigs befriedigt, aber auch diese Zusicherungen seien durchgehends nicht gehalten worden. Die Sonderverfassung für das Herzogthum und die Gesammtverfassung verleugnen diese Zusicherungen. Statt der Verheißung: Gleichberechtigung der Nationalitäten sei eine gewalt¬ same schonungslose Unterdrückung des deutschen Elements eingetreten. Nur eine vollständige Umkehr von dem bisherigen System könne zum Frieden führen. Da die Verheißungen der Bekanntmachung von 1852 sich nicht einseitig auf Holstein, sondern ganz ebenso auf Schleswig bezogen, so können die für Hol¬ stein am 6. November 1858 aufgehobenen Bestimmungen nebst der Gesammt¬ verfassung von 1855 nicht mehr für Schleswig gelten. Die Stände verweisen dann auf die am V.September 1846 der deutschen Bundesversammlung über- gebene, die Verbindung Schleswigs mit Holstein anerkennende Erklärung Däne¬ marks und erheben feierlich Protest gegen alle bisherigen wie künftigen, eine Trennung der beiden Herzogthümer bezweckenden Maßregeln. Dazu kommen Gerüchte, daß man in England und Frankreich wieder an den Plan einer Theilung Schleswigs nach den Sprachgrenzen denke, dazu die heillose Zerfahrenheit in Dänemark selbst, das soeben wieder ein Ministerium , ' 47*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/383>, abgerufen am 28.04.2024.