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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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hinter der freien Hand verbirgt, wie bei Hrn. v. Manteuffel in der orientalischen
Frage. Wir können uns mit der Politik des Hrn. von Schleinitz nicht befreun¬
den, entweder gegen Frankreich im Interesse des gefährdeten Gleichgewichts
oder aufrichtig neutral, man hat zu viel oder zu wenig gethan und deshalb
nichts erreicht. Es ist hohe Zeit, daß die preußische Negierung in den euro¬
päischen Verhältnissen handelnd auftrete, damit nicht ihre Gegner mit der
Behauptung Recht bekommen, daß die Liberalen keine auswärtige Politik zu
treiben wüßten. Das preußische Volk würde die großen Lasten der Erhö¬
hung des Militärbudgets auf sich nehmen, aber es darf nicht geschehen, damit
nur so viele Tausende mehr auf der Parade erscheinen.


M.


Aesthetische Streisziige.

Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die durch das Schillerfest
hervorgebrachte Strömung wieder in das natürliche Bett zurückkehrt. Für
die unbefangene Würdigung Schillers ist diese Strömung eher nachtheilich als
förderlich gewesen. Da im allgemeinen Bewußtsein fest stand, Schiller sei
das Ideal der Poesie und allenfalls das der deutschen Nationalität überhaupt
gewesen, und da man in jeder auch der beschränktesten Localität sür nöthig
erachtete, diesem Bewußtsein neuen Ausdruck zu geben, so war es ganz natür¬
lich, daß jeder Sprecher sein eigenes Ideal ausmalte und dieses mit dem
großen Namen Schillers taufte. So ist es nicht selten vorgekommen, daß
man gerade solche Eigenschaften als rühmlich für Schiller bezeichnete, die er
am wenigsten besaß. Uebrigens geschieht das in jedem größern Volksfest
und wird im natürlichen Lauf der Zeit wieder berichtigt. Vorläufig führt
uns der Buchhandel noch immer die Spuren der alten Strömung zu. Die
Schillerfeier der alten und neuen Welt (Leipzig. Lorck) gibt ein Ne-
sumv aller Festlichkeiten jenes Tages, noch weiter geht das Schillerdenk¬
mal (Berlin, Riegel, Volksausgabe erste Lieferung), welches alle Reden jener
Tage oder wenigstens die merkwürdigsten zusammenzustellen gedenkt. Director
Loses in in Danzig hat "Mittheilungen aus der Bildungsgeschichte Goethes
und Schillers" gegeben, Märker in Berlin den 10. Nov. lyrisch verherrlicht
und Rießer in Hamburg eine Festrede gehalten, die bereits in 2. Auslage


hinter der freien Hand verbirgt, wie bei Hrn. v. Manteuffel in der orientalischen
Frage. Wir können uns mit der Politik des Hrn. von Schleinitz nicht befreun¬
den, entweder gegen Frankreich im Interesse des gefährdeten Gleichgewichts
oder aufrichtig neutral, man hat zu viel oder zu wenig gethan und deshalb
nichts erreicht. Es ist hohe Zeit, daß die preußische Negierung in den euro¬
päischen Verhältnissen handelnd auftrete, damit nicht ihre Gegner mit der
Behauptung Recht bekommen, daß die Liberalen keine auswärtige Politik zu
treiben wüßten. Das preußische Volk würde die großen Lasten der Erhö¬
hung des Militärbudgets auf sich nehmen, aber es darf nicht geschehen, damit
nur so viele Tausende mehr auf der Parade erscheinen.


M.


Aesthetische Streisziige.

Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die durch das Schillerfest
hervorgebrachte Strömung wieder in das natürliche Bett zurückkehrt. Für
die unbefangene Würdigung Schillers ist diese Strömung eher nachtheilich als
förderlich gewesen. Da im allgemeinen Bewußtsein fest stand, Schiller sei
das Ideal der Poesie und allenfalls das der deutschen Nationalität überhaupt
gewesen, und da man in jeder auch der beschränktesten Localität sür nöthig
erachtete, diesem Bewußtsein neuen Ausdruck zu geben, so war es ganz natür¬
lich, daß jeder Sprecher sein eigenes Ideal ausmalte und dieses mit dem
großen Namen Schillers taufte. So ist es nicht selten vorgekommen, daß
man gerade solche Eigenschaften als rühmlich für Schiller bezeichnete, die er
am wenigsten besaß. Uebrigens geschieht das in jedem größern Volksfest
und wird im natürlichen Lauf der Zeit wieder berichtigt. Vorläufig führt
uns der Buchhandel noch immer die Spuren der alten Strömung zu. Die
Schillerfeier der alten und neuen Welt (Leipzig. Lorck) gibt ein Ne-
sumv aller Festlichkeiten jenes Tages, noch weiter geht das Schillerdenk¬
mal (Berlin, Riegel, Volksausgabe erste Lieferung), welches alle Reden jener
Tage oder wenigstens die merkwürdigsten zusammenzustellen gedenkt. Director
Loses in in Danzig hat „Mittheilungen aus der Bildungsgeschichte Goethes
und Schillers" gegeben, Märker in Berlin den 10. Nov. lyrisch verherrlicht
und Rießer in Hamburg eine Festrede gehalten, die bereits in 2. Auslage


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[0422] hinter der freien Hand verbirgt, wie bei Hrn. v. Manteuffel in der orientalischen Frage. Wir können uns mit der Politik des Hrn. von Schleinitz nicht befreun¬ den, entweder gegen Frankreich im Interesse des gefährdeten Gleichgewichts oder aufrichtig neutral, man hat zu viel oder zu wenig gethan und deshalb nichts erreicht. Es ist hohe Zeit, daß die preußische Negierung in den euro¬ päischen Verhältnissen handelnd auftrete, damit nicht ihre Gegner mit der Behauptung Recht bekommen, daß die Liberalen keine auswärtige Politik zu treiben wüßten. Das preußische Volk würde die großen Lasten der Erhö¬ hung des Militärbudgets auf sich nehmen, aber es darf nicht geschehen, damit nur so viele Tausende mehr auf der Parade erscheinen. M. Aesthetische Streisziige. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die durch das Schillerfest hervorgebrachte Strömung wieder in das natürliche Bett zurückkehrt. Für die unbefangene Würdigung Schillers ist diese Strömung eher nachtheilich als förderlich gewesen. Da im allgemeinen Bewußtsein fest stand, Schiller sei das Ideal der Poesie und allenfalls das der deutschen Nationalität überhaupt gewesen, und da man in jeder auch der beschränktesten Localität sür nöthig erachtete, diesem Bewußtsein neuen Ausdruck zu geben, so war es ganz natür¬ lich, daß jeder Sprecher sein eigenes Ideal ausmalte und dieses mit dem großen Namen Schillers taufte. So ist es nicht selten vorgekommen, daß man gerade solche Eigenschaften als rühmlich für Schiller bezeichnete, die er am wenigsten besaß. Uebrigens geschieht das in jedem größern Volksfest und wird im natürlichen Lauf der Zeit wieder berichtigt. Vorläufig führt uns der Buchhandel noch immer die Spuren der alten Strömung zu. Die Schillerfeier der alten und neuen Welt (Leipzig. Lorck) gibt ein Ne- sumv aller Festlichkeiten jenes Tages, noch weiter geht das Schillerdenk¬ mal (Berlin, Riegel, Volksausgabe erste Lieferung), welches alle Reden jener Tage oder wenigstens die merkwürdigsten zusammenzustellen gedenkt. Director Loses in in Danzig hat „Mittheilungen aus der Bildungsgeschichte Goethes und Schillers" gegeben, Märker in Berlin den 10. Nov. lyrisch verherrlicht und Rießer in Hamburg eine Festrede gehalten, die bereits in 2. Auslage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/422>, abgerufen am 29.04.2024.