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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Napoleon empfangen. Er werde daher den Nuntius in Paris beauftragen,
eine bestimmte Erklärung zu verlangen, ob der Papst, wenn seine Truppen
das rechtmäßige Eigenthum des Heil. Stuhles angriffen und wieder eroberten,
sich im Krieg mit Sardinien und seinem gegenwärtigen Verbündeten befinden
würde? -- Wir finden nichts über die Antwort, welche der Nuntius erhalten,
aber am 3. August erzählt Graf Walewski. der Papst habe angefragt, ob
Frankreich sich widersetzen würde, wenn er irgend einen katholischen Fürsten
um Hilfstruppen bitte. Er habe gefunden, daß Frankreich dies nicht wohl
könne, aber sehr von jedem Angriff abgerathen. Bekanntlich unterblieb der¬
selbe, aber die päpstliche Regierung warb eifrig Truppen, Lord Loftus inter-
pellirte Graf Ncchbcrg über die Werbungen, der sich die Miene gibt, nichts
davon zu wissen, die östreichische Regierung könne übrigens nicht hindern, daß
dievielcn Soldaten, welche sich durch die eingetretenen Beurlaubungen müßig
fänden, in die päpstliche Armee träten.

Nußland und Preußen, allerdings die wenigst betheiligten Mächte bei der
italienischen Frage, nehmen nur einen geringen Platz im Blaubuch ein. Fürst
Gortschakoff verwahrt sich pflichtgemäß gegen den Grundsatz, daß die Bevöl¬
kerungen von Mittelitalien das Recht haben sollten, sich ihre Regierungen
selbst zu wühlen, thut aber nichts dagegen. Zuerst war seine Ansicht, es
müßten vor dem Congresse von den Mächten gewisse Principien fest gestellt
werden, damit ein Programm als Grundlage der Berathungen vorliege. Spä¬
ter aber überzeugt er sich, daß es unmöglich sei i-in solches zu finden (^con-
viction of.8 since koroeä uxor Jrlin, tlilrt ete irttempt to lap suam lines
voulä xrove adortive) und eine vorgnngige Discussion der abweichenden An¬
sichten könne leicht den ganzen Congreß unmöglich machen. Der Kaiser Ale¬
xander und der Prinzregent seien deshalb in Breslau übereingekommen, einmal,
keinen Kongreß zu beschicken, an dem nicht alle Großmächte Theil nähmen,
zweitens darüber, daß sich jede Regierung für denselben ganz freie Hand be¬
wahren solle. Dies wurde bekanntlich von Nußland so ausgelegt, daß es
wieder von den Stipulationen des Pariser Friedens wegen des Schwarzen
Meeres loskommen und sich hierfür Frankreichs Hilfe aus dem Congreß gesichert
haben wolle. Bon Preußen erfahren wir eigentlich nichts, als daß es sich
freie Hand wahren will, dies führt Hr. v. Schleinitz in einer sehr schön
geschriebenen Depesche an Gras Bernstorff aus, "<1esintereL86 ein-us uns yues-
tion qui in? nous touelre <zö.'un xoint as rue ac 1'6<Mlibre politique g<weral,
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"aus äevoirs nous röserver une entiere lidert-6 et'examen et ac cliseusLi'vo.."
-- Es will, uns bedünken, daß ein preußischer Minister doch noch andre als
Interessen des allgemeinen Gleichgewichts in der italienischen Frage zu sehen
habe, und wir fürchten, daß sich die Schwäche und Unentschlossenheit hier so


Grenzboten I. 1860. 52

Napoleon empfangen. Er werde daher den Nuntius in Paris beauftragen,
eine bestimmte Erklärung zu verlangen, ob der Papst, wenn seine Truppen
das rechtmäßige Eigenthum des Heil. Stuhles angriffen und wieder eroberten,
sich im Krieg mit Sardinien und seinem gegenwärtigen Verbündeten befinden
würde? — Wir finden nichts über die Antwort, welche der Nuntius erhalten,
aber am 3. August erzählt Graf Walewski. der Papst habe angefragt, ob
Frankreich sich widersetzen würde, wenn er irgend einen katholischen Fürsten
um Hilfstruppen bitte. Er habe gefunden, daß Frankreich dies nicht wohl
könne, aber sehr von jedem Angriff abgerathen. Bekanntlich unterblieb der¬
selbe, aber die päpstliche Regierung warb eifrig Truppen, Lord Loftus inter-
pellirte Graf Ncchbcrg über die Werbungen, der sich die Miene gibt, nichts
davon zu wissen, die östreichische Regierung könne übrigens nicht hindern, daß
dievielcn Soldaten, welche sich durch die eingetretenen Beurlaubungen müßig
fänden, in die päpstliche Armee träten.

Nußland und Preußen, allerdings die wenigst betheiligten Mächte bei der
italienischen Frage, nehmen nur einen geringen Platz im Blaubuch ein. Fürst
Gortschakoff verwahrt sich pflichtgemäß gegen den Grundsatz, daß die Bevöl¬
kerungen von Mittelitalien das Recht haben sollten, sich ihre Regierungen
selbst zu wühlen, thut aber nichts dagegen. Zuerst war seine Ansicht, es
müßten vor dem Congresse von den Mächten gewisse Principien fest gestellt
werden, damit ein Programm als Grundlage der Berathungen vorliege. Spä¬
ter aber überzeugt er sich, daß es unmöglich sei i-in solches zu finden (^con-
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sichten könne leicht den ganzen Congreß unmöglich machen. Der Kaiser Ale¬
xander und der Prinzregent seien deshalb in Breslau übereingekommen, einmal,
keinen Kongreß zu beschicken, an dem nicht alle Großmächte Theil nähmen,
zweitens darüber, daß sich jede Regierung für denselben ganz freie Hand be¬
wahren solle. Dies wurde bekanntlich von Nußland so ausgelegt, daß es
wieder von den Stipulationen des Pariser Friedens wegen des Schwarzen
Meeres loskommen und sich hierfür Frankreichs Hilfe aus dem Congreß gesichert
haben wolle. Bon Preußen erfahren wir eigentlich nichts, als daß es sich
freie Hand wahren will, dies führt Hr. v. Schleinitz in einer sehr schön
geschriebenen Depesche an Gras Bernstorff aus, „<1esintereL86 ein-us uns yues-
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»aus äevoirs nous röserver une entiere lidert-6 et'examen et ac cliseusLi'vo.."
— Es will, uns bedünken, daß ein preußischer Minister doch noch andre als
Interessen des allgemeinen Gleichgewichts in der italienischen Frage zu sehen
habe, und wir fürchten, daß sich die Schwäche und Unentschlossenheit hier so


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[0421] Napoleon empfangen. Er werde daher den Nuntius in Paris beauftragen, eine bestimmte Erklärung zu verlangen, ob der Papst, wenn seine Truppen das rechtmäßige Eigenthum des Heil. Stuhles angriffen und wieder eroberten, sich im Krieg mit Sardinien und seinem gegenwärtigen Verbündeten befinden würde? — Wir finden nichts über die Antwort, welche der Nuntius erhalten, aber am 3. August erzählt Graf Walewski. der Papst habe angefragt, ob Frankreich sich widersetzen würde, wenn er irgend einen katholischen Fürsten um Hilfstruppen bitte. Er habe gefunden, daß Frankreich dies nicht wohl könne, aber sehr von jedem Angriff abgerathen. Bekanntlich unterblieb der¬ selbe, aber die päpstliche Regierung warb eifrig Truppen, Lord Loftus inter- pellirte Graf Ncchbcrg über die Werbungen, der sich die Miene gibt, nichts davon zu wissen, die östreichische Regierung könne übrigens nicht hindern, daß dievielcn Soldaten, welche sich durch die eingetretenen Beurlaubungen müßig fänden, in die päpstliche Armee träten. Nußland und Preußen, allerdings die wenigst betheiligten Mächte bei der italienischen Frage, nehmen nur einen geringen Platz im Blaubuch ein. Fürst Gortschakoff verwahrt sich pflichtgemäß gegen den Grundsatz, daß die Bevöl¬ kerungen von Mittelitalien das Recht haben sollten, sich ihre Regierungen selbst zu wühlen, thut aber nichts dagegen. Zuerst war seine Ansicht, es müßten vor dem Congresse von den Mächten gewisse Principien fest gestellt werden, damit ein Programm als Grundlage der Berathungen vorliege. Spä¬ ter aber überzeugt er sich, daß es unmöglich sei i-in solches zu finden (^con- viction of.8 since koroeä uxor Jrlin, tlilrt ete irttempt to lap suam lines voulä xrove adortive) und eine vorgnngige Discussion der abweichenden An¬ sichten könne leicht den ganzen Congreß unmöglich machen. Der Kaiser Ale¬ xander und der Prinzregent seien deshalb in Breslau übereingekommen, einmal, keinen Kongreß zu beschicken, an dem nicht alle Großmächte Theil nähmen, zweitens darüber, daß sich jede Regierung für denselben ganz freie Hand be¬ wahren solle. Dies wurde bekanntlich von Nußland so ausgelegt, daß es wieder von den Stipulationen des Pariser Friedens wegen des Schwarzen Meeres loskommen und sich hierfür Frankreichs Hilfe aus dem Congreß gesichert haben wolle. Bon Preußen erfahren wir eigentlich nichts, als daß es sich freie Hand wahren will, dies führt Hr. v. Schleinitz in einer sehr schön geschriebenen Depesche an Gras Bernstorff aus, „<1esintereL86 ein-us uns yues- tion qui in? nous touelre <zö.'un xoint as rue ac 1'6<Mlibre politique g<weral, it semble <Mo, 6ans 1'interet nemo ein bout pu'it s'aZit ä'atteinäre, »aus äevoirs nous röserver une entiere lidert-6 et'examen et ac cliseusLi'vo.." — Es will, uns bedünken, daß ein preußischer Minister doch noch andre als Interessen des allgemeinen Gleichgewichts in der italienischen Frage zu sehen habe, und wir fürchten, daß sich die Schwäche und Unentschlossenheit hier so Grenzboten I. 1860. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/421>, abgerufen am 15.05.2024.