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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Steinen bis vor wenigen Jahrzehnten unter dem Druck der Leibeigenschaft
seufzte und bis vor zehn Jahren das Joch von Frobnden trug, die nicht viel
besser als die Last der Leibeigenschaft waren. Noch auffallender wird dieser
Umstand, wenn man die Lieder der Czechen mit denen der Ostslawen, namentlich
der Nüssen vergleicht. Ist es einem dort so schwermüthig ums Herz, als ob
man durch tiefe enge Thäler, durch dichten finstern Wald ginge, wo hier und
da ein abenteuerlich gestalteter Fels emporragt, hier und da ein düsterer stiller
Fluß hinströmt oder ein wolkenbeschatteter See seinen dunkeln Spiegel zeigt,
so herrscht hier Frühlingsmorgeulnft vor. man geht über weite Wiesen und
Getreidefelder mit dem Wechsel von Busch und Hügel, pflückt Veilchen und
Hagebuttenroscn, freut sich des Lerchengesangs, des Bachgeriesels, begegnet
schmucken Dirnen, hüpfenden Weidevieh und hört in der Ferne die Lust der
Schenke, Dudelsack und Fiedelbogen. Es scheint, daß der Czeche sich nicht so
leicht von melancholischen Betrachtungen überwältigen läßt, daß er, in Noth
gerathen, lieber schweigt, als sie in die Welt hinnussingt, daß er, wenn dies
doch einmal geschieht, immer noch einen Rest von Laune und Glauben gu-
ten Sonnenschein bewahrt, der auf die Wolken folgen muß. So ist die Zahl
der elegischen Lieder nicht groß in den Sammlungen, sehr reich dagegen sind
die naiven und die schelmischen vertreten. Nicht häusig sind die Balladen;
wo sie einen ernsten Ton anschlagen, wie im Lied "Eifersucht im Tode",
dessen Anfang beiläufig an den Klaggesang der edlen Frau des Asar-Aga
erinnert, wie "Die Waise". "Die Verwünschte" u. a. gehören sie wahrscheinlich
in frühere Zeiten. Sehr innig sind endlich die religiösen Lieder, unter denen
sich manche den besten deutschen anreihen. Beispiele hierfür müssen wir auf
--u-- eine andere Gelegenheit verschieben.




Von der preußischen Grenze.

Zu den unerquicklichsten Debatten unseres Landtags gehört die vom 1. März
über die italienische Frage. Zwar stimmen wir mit allen Betheiligten, mit den
Ministern und Abgeordneten, darin überein, daß die Gelegenheit nicht glücklich ge¬
wählt war; daß es sich für den Landtag nicht ziemt, eine der wichtigsten Fragen, mit
denen er sich überhaupt beschäftigen kann, auf die zufällige Veranlassung einer
Bittschrift ins Auge zu fassen, daß er vielmehr die Pflicht hat. wenn die Regierung
ihn nicht unmittelbar auffordert, selber die Initiative zu ergreifen. Aber wenn die
Angelegenheit einmal zur Sprache kam, so mußte sie mit dem ganzen Erlist, der
ihr gebührt, behandelt werden. Diesen Ernst vermissen wir durchaus. Die De¬
batte klang wie ein gelegentliches Gespräch, in dem Jeder von seinen Ansichten und


Steinen bis vor wenigen Jahrzehnten unter dem Druck der Leibeigenschaft
seufzte und bis vor zehn Jahren das Joch von Frobnden trug, die nicht viel
besser als die Last der Leibeigenschaft waren. Noch auffallender wird dieser
Umstand, wenn man die Lieder der Czechen mit denen der Ostslawen, namentlich
der Nüssen vergleicht. Ist es einem dort so schwermüthig ums Herz, als ob
man durch tiefe enge Thäler, durch dichten finstern Wald ginge, wo hier und
da ein abenteuerlich gestalteter Fels emporragt, hier und da ein düsterer stiller
Fluß hinströmt oder ein wolkenbeschatteter See seinen dunkeln Spiegel zeigt,
so herrscht hier Frühlingsmorgeulnft vor. man geht über weite Wiesen und
Getreidefelder mit dem Wechsel von Busch und Hügel, pflückt Veilchen und
Hagebuttenroscn, freut sich des Lerchengesangs, des Bachgeriesels, begegnet
schmucken Dirnen, hüpfenden Weidevieh und hört in der Ferne die Lust der
Schenke, Dudelsack und Fiedelbogen. Es scheint, daß der Czeche sich nicht so
leicht von melancholischen Betrachtungen überwältigen läßt, daß er, in Noth
gerathen, lieber schweigt, als sie in die Welt hinnussingt, daß er, wenn dies
doch einmal geschieht, immer noch einen Rest von Laune und Glauben gu-
ten Sonnenschein bewahrt, der auf die Wolken folgen muß. So ist die Zahl
der elegischen Lieder nicht groß in den Sammlungen, sehr reich dagegen sind
die naiven und die schelmischen vertreten. Nicht häusig sind die Balladen;
wo sie einen ernsten Ton anschlagen, wie im Lied „Eifersucht im Tode",
dessen Anfang beiläufig an den Klaggesang der edlen Frau des Asar-Aga
erinnert, wie „Die Waise". „Die Verwünschte" u. a. gehören sie wahrscheinlich
in frühere Zeiten. Sehr innig sind endlich die religiösen Lieder, unter denen
sich manche den besten deutschen anreihen. Beispiele hierfür müssen wir auf
—u— eine andere Gelegenheit verschieben.




Von der preußischen Grenze.

Zu den unerquicklichsten Debatten unseres Landtags gehört die vom 1. März
über die italienische Frage. Zwar stimmen wir mit allen Betheiligten, mit den
Ministern und Abgeordneten, darin überein, daß die Gelegenheit nicht glücklich ge¬
wählt war; daß es sich für den Landtag nicht ziemt, eine der wichtigsten Fragen, mit
denen er sich überhaupt beschäftigen kann, auf die zufällige Veranlassung einer
Bittschrift ins Auge zu fassen, daß er vielmehr die Pflicht hat. wenn die Regierung
ihn nicht unmittelbar auffordert, selber die Initiative zu ergreifen. Aber wenn die
Angelegenheit einmal zur Sprache kam, so mußte sie mit dem ganzen Erlist, der
ihr gebührt, behandelt werden. Diesen Ernst vermissen wir durchaus. Die De¬
batte klang wie ein gelegentliches Gespräch, in dem Jeder von seinen Ansichten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/448>, abgerufen am 29.04.2024.