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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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nur umgehen. Und da die Situation vollkommen klar war, vor der Ernen¬
nung der neuen Minister -- denn daß das Herrenhaus freiwillig sich fügen
würde, haben sie sich doch wohl nicht eingebildet? -- so können wir die Be¬
merkung nicht unterdrücken, daß es von diesen vielleicht vorsichtiger gewesen
wäre, sich vor Annahme ihrer Stelle erst genauer nach den Befehlen Sr. K. Ho¬
heit des Prinz Regenten zu erkundigen, um darüber zu entscheiden, ob die¬
selben zweckmäßiger durch einfache Beamte oder durch Führer einer Partei
ausgeführt werden könnten, die durch ihre Vergangenheit bereits bestimmte
Pflichten auf sich genommen.

Was uns betrifft, so war unsere Freude bei jenen Ernennungen mäßiger
als bei vielen unserer Freunde, weil wir uns an die beiden Ministerien
Camphausen und Auerswald des Jahres 1848 erinnerten, die zwar den be¬
sten Willen von der Welt, aber sehr wenig Energie und Thatkraft entwickelt
hatten.--Mit einem Wort: die Pflicht der Landesvertretung dem Volk
gegenüber ist in Bezug auf den neuen Gesetzentwurf ganz klar vorgezeichnet;
die Aussichten, für welche man etwa seine positive Ueberzeugung hingeben
könnte, sind ganz schwankend, unklar, wenigstens völlig unabhängig von dem
Willen der Landesvertretung; die Frage ist aber so ernst und tief eingreifend,
daß auch bei den besten Hoffnungen jede bloße Rücksicht der Opportunist
1- 5 schweigen muß. Danach mögen die Landesvertreter entscheiden.




Lessing und Göze.

JoWnn Melchior Göze. Eine Rettung von Dr. Georg Reinhard Nöpe. ordcntl.
Lehrer an der Realschule des Johanneums zu Hamburg. Mit Porträt und
M Facsimile. Hamburg 1860. Gustav Eduard Rolle (Herold'sehe Buchhand¬
lung). 280 und XIV. S.

Der verdienten Huldigung gegenüber, die besonders wieder in den letzten
Jahren in biographischen Darstellungen wie in kritischen Betrachtungen Les¬
sing zu Theil geworden, hat nun auch sein theologischer Widersacher, Johann
Melchior Göze, einen Vertheidiger gefunden. Habe doch, sagt Dr. Röpe sehr
geschickt, Lessing selbst seine schriftstellerische Laufbahn mit einer Reihe von
Rettungen solcher Verstorbenen eröffnet, denen seiner Ansicht nach im Urtheil
der Nachwelt Unrecht geschehen, und dieses rettende Bestreben sogar einem
Simon Lemnius zu Gute kommen lassen, der gegen eine ihm von Luther
angethane Unbill zu vertheidigen war. So handle der in Lessings eigensten
Sinne, der ein von ihm begangenes Unrecht gut mache. Und Unrecht habe
Lessing Göze'n gethan. Sei er doch ein sündiger Mensch gewesen wie wir


nur umgehen. Und da die Situation vollkommen klar war, vor der Ernen¬
nung der neuen Minister — denn daß das Herrenhaus freiwillig sich fügen
würde, haben sie sich doch wohl nicht eingebildet? — so können wir die Be¬
merkung nicht unterdrücken, daß es von diesen vielleicht vorsichtiger gewesen
wäre, sich vor Annahme ihrer Stelle erst genauer nach den Befehlen Sr. K. Ho¬
heit des Prinz Regenten zu erkundigen, um darüber zu entscheiden, ob die¬
selben zweckmäßiger durch einfache Beamte oder durch Führer einer Partei
ausgeführt werden könnten, die durch ihre Vergangenheit bereits bestimmte
Pflichten auf sich genommen.

Was uns betrifft, so war unsere Freude bei jenen Ernennungen mäßiger
als bei vielen unserer Freunde, weil wir uns an die beiden Ministerien
Camphausen und Auerswald des Jahres 1848 erinnerten, die zwar den be¬
sten Willen von der Welt, aber sehr wenig Energie und Thatkraft entwickelt
hatten.--Mit einem Wort: die Pflicht der Landesvertretung dem Volk
gegenüber ist in Bezug auf den neuen Gesetzentwurf ganz klar vorgezeichnet;
die Aussichten, für welche man etwa seine positive Ueberzeugung hingeben
könnte, sind ganz schwankend, unklar, wenigstens völlig unabhängig von dem
Willen der Landesvertretung; die Frage ist aber so ernst und tief eingreifend,
daß auch bei den besten Hoffnungen jede bloße Rücksicht der Opportunist
1- 5 schweigen muß. Danach mögen die Landesvertreter entscheiden.




Lessing und Göze.

JoWnn Melchior Göze. Eine Rettung von Dr. Georg Reinhard Nöpe. ordcntl.
Lehrer an der Realschule des Johanneums zu Hamburg. Mit Porträt und
M Facsimile. Hamburg 1860. Gustav Eduard Rolle (Herold'sehe Buchhand¬
lung). 280 und XIV. S.

Der verdienten Huldigung gegenüber, die besonders wieder in den letzten
Jahren in biographischen Darstellungen wie in kritischen Betrachtungen Les¬
sing zu Theil geworden, hat nun auch sein theologischer Widersacher, Johann
Melchior Göze, einen Vertheidiger gefunden. Habe doch, sagt Dr. Röpe sehr
geschickt, Lessing selbst seine schriftstellerische Laufbahn mit einer Reihe von
Rettungen solcher Verstorbenen eröffnet, denen seiner Ansicht nach im Urtheil
der Nachwelt Unrecht geschehen, und dieses rettende Bestreben sogar einem
Simon Lemnius zu Gute kommen lassen, der gegen eine ihm von Luther
angethane Unbill zu vertheidigen war. So handle der in Lessings eigensten
Sinne, der ein von ihm begangenes Unrecht gut mache. Und Unrecht habe
Lessing Göze'n gethan. Sei er doch ein sündiger Mensch gewesen wie wir


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[0459] nur umgehen. Und da die Situation vollkommen klar war, vor der Ernen¬ nung der neuen Minister — denn daß das Herrenhaus freiwillig sich fügen würde, haben sie sich doch wohl nicht eingebildet? — so können wir die Be¬ merkung nicht unterdrücken, daß es von diesen vielleicht vorsichtiger gewesen wäre, sich vor Annahme ihrer Stelle erst genauer nach den Befehlen Sr. K. Ho¬ heit des Prinz Regenten zu erkundigen, um darüber zu entscheiden, ob die¬ selben zweckmäßiger durch einfache Beamte oder durch Führer einer Partei ausgeführt werden könnten, die durch ihre Vergangenheit bereits bestimmte Pflichten auf sich genommen. Was uns betrifft, so war unsere Freude bei jenen Ernennungen mäßiger als bei vielen unserer Freunde, weil wir uns an die beiden Ministerien Camphausen und Auerswald des Jahres 1848 erinnerten, die zwar den be¬ sten Willen von der Welt, aber sehr wenig Energie und Thatkraft entwickelt hatten.--Mit einem Wort: die Pflicht der Landesvertretung dem Volk gegenüber ist in Bezug auf den neuen Gesetzentwurf ganz klar vorgezeichnet; die Aussichten, für welche man etwa seine positive Ueberzeugung hingeben könnte, sind ganz schwankend, unklar, wenigstens völlig unabhängig von dem Willen der Landesvertretung; die Frage ist aber so ernst und tief eingreifend, daß auch bei den besten Hoffnungen jede bloße Rücksicht der Opportunist 1- 5 schweigen muß. Danach mögen die Landesvertreter entscheiden. Lessing und Göze. JoWnn Melchior Göze. Eine Rettung von Dr. Georg Reinhard Nöpe. ordcntl. Lehrer an der Realschule des Johanneums zu Hamburg. Mit Porträt und M Facsimile. Hamburg 1860. Gustav Eduard Rolle (Herold'sehe Buchhand¬ lung). 280 und XIV. S. Der verdienten Huldigung gegenüber, die besonders wieder in den letzten Jahren in biographischen Darstellungen wie in kritischen Betrachtungen Les¬ sing zu Theil geworden, hat nun auch sein theologischer Widersacher, Johann Melchior Göze, einen Vertheidiger gefunden. Habe doch, sagt Dr. Röpe sehr geschickt, Lessing selbst seine schriftstellerische Laufbahn mit einer Reihe von Rettungen solcher Verstorbenen eröffnet, denen seiner Ansicht nach im Urtheil der Nachwelt Unrecht geschehen, und dieses rettende Bestreben sogar einem Simon Lemnius zu Gute kommen lassen, der gegen eine ihm von Luther angethane Unbill zu vertheidigen war. So handle der in Lessings eigensten Sinne, der ein von ihm begangenes Unrecht gut mache. Und Unrecht habe Lessing Göze'n gethan. Sei er doch ein sündiger Mensch gewesen wie wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/459>, abgerufen am 29.04.2024.