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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Alle. Dem jungen Geschlecht der heutigen, meistens im Cultus des Genius
befangenen Literaten weide das freilich nicht gefallen. Denn die verlangen
unbedingte Verehrung für die Heroen unsrer Literatur. Wenn der Verf. zwar
nicht unter dem jungen Geschlecht, doch aber unter den Geniusverehrern auch
seinen dermaligen Recensenten unverstanden, und den Widerwillen, die Flecken
an den Heroen unsrer Literatur aufgezeigt zu sehen, auch ihm zugeschrieben
hat, so hat er demselben Unrecht gethan, und hätte nur allenfalls in dessen
Ulrich von Hütten einen Blick zu werfen gebraucht, um sich eines Bessern
von ihm zu überzeugen. Nein, der Res. lobt den Verf. aufrichtig um sein
Unternehmen, und urtheilt, daß auch Lessing's eifrigste Verehrer es ihm Dank
wissen müssen. Ein biographisches Bild, in dem die Schatten fehlen, hat
Res. jederzeit für erlogen gehalten und sich nicht dafür erwärmen können;
nur Schatten und Licht zusammen machen eine wirklich menschliche Gestalt;
und bei den wahrhaft großen Menschen darf man sicher sein, daß die erstem
dem letztern nur zur Erhöhung dienen.

Also um Göze zu vertheidigen, muß der Verf. Lessing angreifen. Das
thut er aber nicht blos mit Anstand und Mäßigung, sondern auch mit Wahr¬
heitsliebe und Verehrung für den, wie er anerkennt, um die deutsche Geistes¬
entwickelung hochverdienten Mann. Freilich gehen seine Beschuldigungen gegen
Lessing zu Gözes Gunsten weit. Er wirft ihm spitzfindige Sophistik, unwür¬
dige Fechterstreiche, ein unwahres, und zwar wissentlich unwahres Spiel mit
Worten vor. In seinen durch die Fragmente veranlaßten Streitschriften, be¬
sonders in den Antigözen, hat Lessing nach Herrn Röpe "sein ganzes bis da¬
hin unbeflecktes Schriftstellerthum verleugnet, und zu seiner wahren Ehre bei
einer christlich gesinnten Nachwelt möchte man dem großen Manne gönnen,
daß es möglich wäre, diese Antigözen für alle Zeiten aus seinen Werken
herauszureißen" (S. 180). Unter dem deutschen Volke hat sich so ziemlich
das umgekehrte Urtheil festgestellt.- Es zählt grade diese theologischen Streit¬
schriften Lessing's zu dem Köstlichsten, was ihm der theure Mann hinterlassen;
es sieht in ihnen die würdigsten Staffeln zu dem herrlichen Tempel seines
Nathan; es hört in ihnen zwischen dem Streit und Spott bisweilen Töne
anklingen, die aus einer höhern Welt zu kommen scheinen.

Göze dagegen heißt seinem Vertheidiger einer der bestverleumdcten Männer
des achtzehnten Jahrhunderts. Er sei mit Nichten ein bonnrter, geiht- und
witzloser, fanatischer, - am wenigsten ein heuchlerischer Pfaff gewesen, wie er
schon zu seiner Zeit verschrien worden, und wie seitdem ein Biograph, Ge¬
schichtschreiber und Kritiker dem andern nachspreche. Was er verfochten, sei
seine heiligste Ueberzeugung, die Art, wie er es verfochten, gründlich, würdig,
gemäßigt und jedenfalls grader als die Kampfweisc seines Gegners gewesen.
An die Pflicht der christlichen Obrigkeit, die Religion zu schützen und Verderb-


Alle. Dem jungen Geschlecht der heutigen, meistens im Cultus des Genius
befangenen Literaten weide das freilich nicht gefallen. Denn die verlangen
unbedingte Verehrung für die Heroen unsrer Literatur. Wenn der Verf. zwar
nicht unter dem jungen Geschlecht, doch aber unter den Geniusverehrern auch
seinen dermaligen Recensenten unverstanden, und den Widerwillen, die Flecken
an den Heroen unsrer Literatur aufgezeigt zu sehen, auch ihm zugeschrieben
hat, so hat er demselben Unrecht gethan, und hätte nur allenfalls in dessen
Ulrich von Hütten einen Blick zu werfen gebraucht, um sich eines Bessern
von ihm zu überzeugen. Nein, der Res. lobt den Verf. aufrichtig um sein
Unternehmen, und urtheilt, daß auch Lessing's eifrigste Verehrer es ihm Dank
wissen müssen. Ein biographisches Bild, in dem die Schatten fehlen, hat
Res. jederzeit für erlogen gehalten und sich nicht dafür erwärmen können;
nur Schatten und Licht zusammen machen eine wirklich menschliche Gestalt;
und bei den wahrhaft großen Menschen darf man sicher sein, daß die erstem
dem letztern nur zur Erhöhung dienen.

Also um Göze zu vertheidigen, muß der Verf. Lessing angreifen. Das
thut er aber nicht blos mit Anstand und Mäßigung, sondern auch mit Wahr¬
heitsliebe und Verehrung für den, wie er anerkennt, um die deutsche Geistes¬
entwickelung hochverdienten Mann. Freilich gehen seine Beschuldigungen gegen
Lessing zu Gözes Gunsten weit. Er wirft ihm spitzfindige Sophistik, unwür¬
dige Fechterstreiche, ein unwahres, und zwar wissentlich unwahres Spiel mit
Worten vor. In seinen durch die Fragmente veranlaßten Streitschriften, be¬
sonders in den Antigözen, hat Lessing nach Herrn Röpe „sein ganzes bis da¬
hin unbeflecktes Schriftstellerthum verleugnet, und zu seiner wahren Ehre bei
einer christlich gesinnten Nachwelt möchte man dem großen Manne gönnen,
daß es möglich wäre, diese Antigözen für alle Zeiten aus seinen Werken
herauszureißen" (S. 180). Unter dem deutschen Volke hat sich so ziemlich
das umgekehrte Urtheil festgestellt.- Es zählt grade diese theologischen Streit¬
schriften Lessing's zu dem Köstlichsten, was ihm der theure Mann hinterlassen;
es sieht in ihnen die würdigsten Staffeln zu dem herrlichen Tempel seines
Nathan; es hört in ihnen zwischen dem Streit und Spott bisweilen Töne
anklingen, die aus einer höhern Welt zu kommen scheinen.

Göze dagegen heißt seinem Vertheidiger einer der bestverleumdcten Männer
des achtzehnten Jahrhunderts. Er sei mit Nichten ein bonnrter, geiht- und
witzloser, fanatischer, - am wenigsten ein heuchlerischer Pfaff gewesen, wie er
schon zu seiner Zeit verschrien worden, und wie seitdem ein Biograph, Ge¬
schichtschreiber und Kritiker dem andern nachspreche. Was er verfochten, sei
seine heiligste Ueberzeugung, die Art, wie er es verfochten, gründlich, würdig,
gemäßigt und jedenfalls grader als die Kampfweisc seines Gegners gewesen.
An die Pflicht der christlichen Obrigkeit, die Religion zu schützen und Verderb-


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[0460] Alle. Dem jungen Geschlecht der heutigen, meistens im Cultus des Genius befangenen Literaten weide das freilich nicht gefallen. Denn die verlangen unbedingte Verehrung für die Heroen unsrer Literatur. Wenn der Verf. zwar nicht unter dem jungen Geschlecht, doch aber unter den Geniusverehrern auch seinen dermaligen Recensenten unverstanden, und den Widerwillen, die Flecken an den Heroen unsrer Literatur aufgezeigt zu sehen, auch ihm zugeschrieben hat, so hat er demselben Unrecht gethan, und hätte nur allenfalls in dessen Ulrich von Hütten einen Blick zu werfen gebraucht, um sich eines Bessern von ihm zu überzeugen. Nein, der Res. lobt den Verf. aufrichtig um sein Unternehmen, und urtheilt, daß auch Lessing's eifrigste Verehrer es ihm Dank wissen müssen. Ein biographisches Bild, in dem die Schatten fehlen, hat Res. jederzeit für erlogen gehalten und sich nicht dafür erwärmen können; nur Schatten und Licht zusammen machen eine wirklich menschliche Gestalt; und bei den wahrhaft großen Menschen darf man sicher sein, daß die erstem dem letztern nur zur Erhöhung dienen. Also um Göze zu vertheidigen, muß der Verf. Lessing angreifen. Das thut er aber nicht blos mit Anstand und Mäßigung, sondern auch mit Wahr¬ heitsliebe und Verehrung für den, wie er anerkennt, um die deutsche Geistes¬ entwickelung hochverdienten Mann. Freilich gehen seine Beschuldigungen gegen Lessing zu Gözes Gunsten weit. Er wirft ihm spitzfindige Sophistik, unwür¬ dige Fechterstreiche, ein unwahres, und zwar wissentlich unwahres Spiel mit Worten vor. In seinen durch die Fragmente veranlaßten Streitschriften, be¬ sonders in den Antigözen, hat Lessing nach Herrn Röpe „sein ganzes bis da¬ hin unbeflecktes Schriftstellerthum verleugnet, und zu seiner wahren Ehre bei einer christlich gesinnten Nachwelt möchte man dem großen Manne gönnen, daß es möglich wäre, diese Antigözen für alle Zeiten aus seinen Werken herauszureißen" (S. 180). Unter dem deutschen Volke hat sich so ziemlich das umgekehrte Urtheil festgestellt.- Es zählt grade diese theologischen Streit¬ schriften Lessing's zu dem Köstlichsten, was ihm der theure Mann hinterlassen; es sieht in ihnen die würdigsten Staffeln zu dem herrlichen Tempel seines Nathan; es hört in ihnen zwischen dem Streit und Spott bisweilen Töne anklingen, die aus einer höhern Welt zu kommen scheinen. Göze dagegen heißt seinem Vertheidiger einer der bestverleumdcten Männer des achtzehnten Jahrhunderts. Er sei mit Nichten ein bonnrter, geiht- und witzloser, fanatischer, - am wenigsten ein heuchlerischer Pfaff gewesen, wie er schon zu seiner Zeit verschrien worden, und wie seitdem ein Biograph, Ge¬ schichtschreiber und Kritiker dem andern nachspreche. Was er verfochten, sei seine heiligste Ueberzeugung, die Art, wie er es verfochten, gründlich, würdig, gemäßigt und jedenfalls grader als die Kampfweisc seines Gegners gewesen. An die Pflicht der christlichen Obrigkeit, die Religion zu schützen und Verderb-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/460>, abgerufen am 16.05.2024.