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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Preußen und die auswärtige Politik.

Seit der vorigen Woche fängt es an im preußischen Landtag etwas-leb-
haster zu werden. Mehr und mehr überzeugen sich die liberalen Abgeordneten,
daß es nicht genügt das Ministerium gegen die Angriffe seiner Gegner zu
unterstützen, und ihm allenfalls einige zufällig eingegangene Bittschriften zur
Berücksichtigung zu überweisen; daß sie vielmehr nicht blos in manchen Pu"!^
ten die Initiative zu ergreifen, sondern in Fragen von höchst ernster Be¬
deutung gegen das Ministerium Opposition zu machen haben. Für diejenigen,
welche an die Möglichkeit einer neuen Aera glaubten, die uns ohne unser Zu¬
thun geschenkt wäre, mag das betrübend sein; wir halten es vielmehr für gün¬
stig, daß diese Wendung eintrat, bevor die liberale Partei sich zu tief in die
Gewohnheiten des Ministerialismus verstrickt hatte, um sich wieder zu einer
selbstständigen Ueberzeugung herauszuarbeiten. Eine Partei, die immer nach-
gäbe, wäre auch als Stütze völlig unbrauchbar, und daß eine liberale Re¬
gierung in Preußen solche Stützen nicht entbehren kann, hat sich nur zu deut¬
lich herausgestellt.

In keiner Sache nimmt man so sehr Anstand, die Regierung zu be¬
schränken, als im Militärwescn und in der auswärtigen Politik. Man ist
so lange gewöhnt gewesen, diese Dinge unter die Regalien zu rechnen, und
die provisorische Lage Preußens macht die Nothwendigkeit einer straff concen-
trirten Leitung so deutlich, daß eine Vorlage wie das diesjährige Kriegs-
gesctz dazu gehörte, das Vertrauen einigermaßen zu erschüttern. Dieser Gesetz¬
entwurf greift viel tiefer und umfangreicher in alle Zweige des bürgerlichen
Lebens ein, als alle übrigen Gesetze zusammengenommen; er würde dem gan¬
zen Lande eine andere Physiognomie geben, er würde es den Preußen un¬
möglich machen, in dem Fortschritt der Cultur mit den übrigen Völkern Eu¬
ropas zu wetteifern. Auch die Spartaner hat es zuletzt nicht gerettet, daß sie
das bürgerliche Leben dem militärischen opferten.

Trotz dieser Bedenken würde vielleicht das Kriegsgesetz unter mehrfachen Modi¬
fikationen die Zustimmung der liberalen Partei erlangt haben, wenn es sich als


Grenzboten I. 1M0, 61
Preußen und die auswärtige Politik.

Seit der vorigen Woche fängt es an im preußischen Landtag etwas-leb-
haster zu werden. Mehr und mehr überzeugen sich die liberalen Abgeordneten,
daß es nicht genügt das Ministerium gegen die Angriffe seiner Gegner zu
unterstützen, und ihm allenfalls einige zufällig eingegangene Bittschriften zur
Berücksichtigung zu überweisen; daß sie vielmehr nicht blos in manchen Pu»!^
ten die Initiative zu ergreifen, sondern in Fragen von höchst ernster Be¬
deutung gegen das Ministerium Opposition zu machen haben. Für diejenigen,
welche an die Möglichkeit einer neuen Aera glaubten, die uns ohne unser Zu¬
thun geschenkt wäre, mag das betrübend sein; wir halten es vielmehr für gün¬
stig, daß diese Wendung eintrat, bevor die liberale Partei sich zu tief in die
Gewohnheiten des Ministerialismus verstrickt hatte, um sich wieder zu einer
selbstständigen Ueberzeugung herauszuarbeiten. Eine Partei, die immer nach-
gäbe, wäre auch als Stütze völlig unbrauchbar, und daß eine liberale Re¬
gierung in Preußen solche Stützen nicht entbehren kann, hat sich nur zu deut¬
lich herausgestellt.

In keiner Sache nimmt man so sehr Anstand, die Regierung zu be¬
schränken, als im Militärwescn und in der auswärtigen Politik. Man ist
so lange gewöhnt gewesen, diese Dinge unter die Regalien zu rechnen, und
die provisorische Lage Preußens macht die Nothwendigkeit einer straff concen-
trirten Leitung so deutlich, daß eine Vorlage wie das diesjährige Kriegs-
gesctz dazu gehörte, das Vertrauen einigermaßen zu erschüttern. Dieser Gesetz¬
entwurf greift viel tiefer und umfangreicher in alle Zweige des bürgerlichen
Lebens ein, als alle übrigen Gesetze zusammengenommen; er würde dem gan¬
zen Lande eine andere Physiognomie geben, er würde es den Preußen un¬
möglich machen, in dem Fortschritt der Cultur mit den übrigen Völkern Eu¬
ropas zu wetteifern. Auch die Spartaner hat es zuletzt nicht gerettet, daß sie
das bürgerliche Leben dem militärischen opferten.

Trotz dieser Bedenken würde vielleicht das Kriegsgesetz unter mehrfachen Modi¬
fikationen die Zustimmung der liberalen Partei erlangt haben, wenn es sich als


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[0493] Preußen und die auswärtige Politik. Seit der vorigen Woche fängt es an im preußischen Landtag etwas-leb- haster zu werden. Mehr und mehr überzeugen sich die liberalen Abgeordneten, daß es nicht genügt das Ministerium gegen die Angriffe seiner Gegner zu unterstützen, und ihm allenfalls einige zufällig eingegangene Bittschriften zur Berücksichtigung zu überweisen; daß sie vielmehr nicht blos in manchen Pu»!^ ten die Initiative zu ergreifen, sondern in Fragen von höchst ernster Be¬ deutung gegen das Ministerium Opposition zu machen haben. Für diejenigen, welche an die Möglichkeit einer neuen Aera glaubten, die uns ohne unser Zu¬ thun geschenkt wäre, mag das betrübend sein; wir halten es vielmehr für gün¬ stig, daß diese Wendung eintrat, bevor die liberale Partei sich zu tief in die Gewohnheiten des Ministerialismus verstrickt hatte, um sich wieder zu einer selbstständigen Ueberzeugung herauszuarbeiten. Eine Partei, die immer nach- gäbe, wäre auch als Stütze völlig unbrauchbar, und daß eine liberale Re¬ gierung in Preußen solche Stützen nicht entbehren kann, hat sich nur zu deut¬ lich herausgestellt. In keiner Sache nimmt man so sehr Anstand, die Regierung zu be¬ schränken, als im Militärwescn und in der auswärtigen Politik. Man ist so lange gewöhnt gewesen, diese Dinge unter die Regalien zu rechnen, und die provisorische Lage Preußens macht die Nothwendigkeit einer straff concen- trirten Leitung so deutlich, daß eine Vorlage wie das diesjährige Kriegs- gesctz dazu gehörte, das Vertrauen einigermaßen zu erschüttern. Dieser Gesetz¬ entwurf greift viel tiefer und umfangreicher in alle Zweige des bürgerlichen Lebens ein, als alle übrigen Gesetze zusammengenommen; er würde dem gan¬ zen Lande eine andere Physiognomie geben, er würde es den Preußen un¬ möglich machen, in dem Fortschritt der Cultur mit den übrigen Völkern Eu¬ ropas zu wetteifern. Auch die Spartaner hat es zuletzt nicht gerettet, daß sie das bürgerliche Leben dem militärischen opferten. Trotz dieser Bedenken würde vielleicht das Kriegsgesetz unter mehrfachen Modi¬ fikationen die Zustimmung der liberalen Partei erlangt haben, wenn es sich als Grenzboten I. 1M0, 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/493>, abgerufen am 29.04.2024.