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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Von der preußischen Grenze.

Auch in diesem Neujahr hat Paris für eine Ueberraschung Europas gesorgt.
Wenn auch die neue Flugschrift des Staatsrath Lagucrronicre an Wichtigkeit der
ältern nicht gleichkommt, derjenigen, in welcher zuerst das gründliche Studium der
italienischen Frage dem Publicum angezeigt wurde, so ist doch eine gewisse Parallele
zwischen beiden nicht zu verkennen. Beide Broschüren hatten nicht eigentlich die Ab¬
sicht, mit einem fertigen Programm hervorzutreten: sie wollten die öffentliche Meinung
nur sondiren und vorbereiten. Von wem in letzter Instanz diese Gedanken ausgehen,
darüber ist wol kein Zweisel, wenn es auch höchst gewagt sein würde, aus einer
von beiden den vollständigen Ideengang des rüthselhastcn Mannes zu analysiren, der
jetzt der einflußreichste Mann Europas ist, weil er den stärksten Willen hat. Über¬
haupt ist es wol ein Irrthum, aus dem Umstand, daß Napoleon einen Plan, der
ihm einmal vollständig klar geworden, mit eiserner Entschlossenheit und mit der
Schnelligkeit des Blitzes durchführt, schließen zu wollen, derselbe habe von Anfang an
bei ihm festgestanden; so gut auch Napoleon zu rechnen versteht, er ist doch kein bloßer
Rechenmeister ; die Eingebungen des Augenblicks tragen sehr viel zu seinen Entschlüssen
bei und seine für bedeutende Momente so bewundernswerthe Thatkraft scheint zu¬
weilen einer gewissen Abspannung zu bedürfen, um sich wieder zu sammeln. Da seine
Kundgebungen stets mit einer gewissen Heftigkeit auftreten, so ergeben sich beim ersten
Zusehen eine Menge von Widersprüchen; überblickt man aber einen längern Zeitraum,
so entdeckt man doch, daß eine allgemeine und bleibende Ueberzeugung zum Grunde
liegt, die von jenem Wechsel der momentanen Stimmungen nicht berührt wird.

So ist auch in den verschiedenen Manifesten über Italien, trotz aller Abwechse¬
lung im Einzelnen, eine gewisse Conformität. Man erinnere sich nur: zuerst An¬
zeige des italienischen Studiums im Allgemeinen, Nachweis der zahlreichen Uebelstünde,
Appellation an die Menschenliebe aller Regierungen, diesen Uebelständen abzuhelfen.
Als auf diese Anzeige ein allgemeines Kriegsgeschrei erfolgt, großes Erstaunen des
Moniteur, Versicherung, man sei so friedliebend als möglich. Auch das war kein
unbedingter Widerspruch; denn man wollte zunächst den Krieg keineswegs, sondern
einen europäischen Kongreß, Dann,, in Folge der östreichischen Kriegserklärung an
Sardinien das Manifest: da Oestreich die Alternative stellte, entweder ganz Italien
zu erobern, oder ganz aus Italien hinausgeworfen zu werden, so solle das letztere
geschehen. Nach zwei großen Siegen der Friede von Villafranca und die nachträg¬
liche Erklärung, es sei zwar sehr zu bedauern, daß Venedig den Oestreichern bleibe,
aber da Preußen und der deutsche Bund mit Krieg gedroht, habe dieser Krieg zu
große Dimensionen angenommen, und es sei wenigstens so viel erreicht, daß Venedig
ein italienisches Bundesland würde. Die Restauration der vertriebenen Herzöge
wurde vorbehalten, doch mit Ausschluß der bewaffneten Einmischung.

Nun werden die Ereignisse eine Zeitlang ihrer eignen Schwere überlassen.
Mittelitalien constituirt sich immer fester, während in Zürich die Friedensunterhand-


Von der preußischen Grenze.

Auch in diesem Neujahr hat Paris für eine Ueberraschung Europas gesorgt.
Wenn auch die neue Flugschrift des Staatsrath Lagucrronicre an Wichtigkeit der
ältern nicht gleichkommt, derjenigen, in welcher zuerst das gründliche Studium der
italienischen Frage dem Publicum angezeigt wurde, so ist doch eine gewisse Parallele
zwischen beiden nicht zu verkennen. Beide Broschüren hatten nicht eigentlich die Ab¬
sicht, mit einem fertigen Programm hervorzutreten: sie wollten die öffentliche Meinung
nur sondiren und vorbereiten. Von wem in letzter Instanz diese Gedanken ausgehen,
darüber ist wol kein Zweisel, wenn es auch höchst gewagt sein würde, aus einer
von beiden den vollständigen Ideengang des rüthselhastcn Mannes zu analysiren, der
jetzt der einflußreichste Mann Europas ist, weil er den stärksten Willen hat. Über¬
haupt ist es wol ein Irrthum, aus dem Umstand, daß Napoleon einen Plan, der
ihm einmal vollständig klar geworden, mit eiserner Entschlossenheit und mit der
Schnelligkeit des Blitzes durchführt, schließen zu wollen, derselbe habe von Anfang an
bei ihm festgestanden; so gut auch Napoleon zu rechnen versteht, er ist doch kein bloßer
Rechenmeister ; die Eingebungen des Augenblicks tragen sehr viel zu seinen Entschlüssen
bei und seine für bedeutende Momente so bewundernswerthe Thatkraft scheint zu¬
weilen einer gewissen Abspannung zu bedürfen, um sich wieder zu sammeln. Da seine
Kundgebungen stets mit einer gewissen Heftigkeit auftreten, so ergeben sich beim ersten
Zusehen eine Menge von Widersprüchen; überblickt man aber einen längern Zeitraum,
so entdeckt man doch, daß eine allgemeine und bleibende Ueberzeugung zum Grunde
liegt, die von jenem Wechsel der momentanen Stimmungen nicht berührt wird.

So ist auch in den verschiedenen Manifesten über Italien, trotz aller Abwechse¬
lung im Einzelnen, eine gewisse Conformität. Man erinnere sich nur: zuerst An¬
zeige des italienischen Studiums im Allgemeinen, Nachweis der zahlreichen Uebelstünde,
Appellation an die Menschenliebe aller Regierungen, diesen Uebelständen abzuhelfen.
Als auf diese Anzeige ein allgemeines Kriegsgeschrei erfolgt, großes Erstaunen des
Moniteur, Versicherung, man sei so friedliebend als möglich. Auch das war kein
unbedingter Widerspruch; denn man wollte zunächst den Krieg keineswegs, sondern
einen europäischen Kongreß, Dann,, in Folge der östreichischen Kriegserklärung an
Sardinien das Manifest: da Oestreich die Alternative stellte, entweder ganz Italien
zu erobern, oder ganz aus Italien hinausgeworfen zu werden, so solle das letztere
geschehen. Nach zwei großen Siegen der Friede von Villafranca und die nachträg¬
liche Erklärung, es sei zwar sehr zu bedauern, daß Venedig den Oestreichern bleibe,
aber da Preußen und der deutsche Bund mit Krieg gedroht, habe dieser Krieg zu
große Dimensionen angenommen, und es sei wenigstens so viel erreicht, daß Venedig
ein italienisches Bundesland würde. Die Restauration der vertriebenen Herzöge
wurde vorbehalten, doch mit Ausschluß der bewaffneten Einmischung.

Nun werden die Ereignisse eine Zeitlang ihrer eignen Schwere überlassen.
Mittelitalien constituirt sich immer fester, während in Zürich die Friedensunterhand-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/50>, abgerufen am 29.04.2024.