Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Geschichtschreibung.

Es ist die zweite Auflage zweier bedeutender Geschichtswerke, was uns
heute zunächst beschäftigt: Sybels Geschichte der Revolutionszeit von
1789 -- 1795, Bd. 1. 2., (Düsseldorf. Buddeus). und Hüussers deutsche
Geschichte vom Tode Friedrich des Großen bis zur Gründung des
deutschen Bundes, Bd. 1. 2. 3. 4. (Berlin, Weidmann). -- Ueber den
Werth beider Bücher ist kaum noch etwas hinzuzufügen, die Anerkennung der¬
selben ist allgemein, nur mit Ausnahme derjenigen, denen die Wahrheit un¬
bequem ist, und auch wir haben acht versäumt, bei Gelegenheit der ersten
Auflage auf den großen Vortheil hinzuweisen, den nicht nur die Wissenschaft,
sondern^ auch das sittliche Selbstgefühl der Nation daraus ziehen müsse. Es
ist nur zu verwundern, daß die zweite Auflage so lange hat auf sich warten
lassen: von Sybel erschien der erste Band im Frühjahr 1853, von Hauffer
im Frühjahr 1854. Bei Sybel liegt der Grund, daß er nicht so rasch ins
Volk eingedrungen ist, hauptsächlich wol an dem langsamen Erscheinen des
Werks, womit noch andere buchhändlerische Unbequemlichkeiten verknüpft waren;
daß Hauffer sein Werk so rasch vollendete, hat zwar der äußeren Vollendung
einigen Abbruch gethan, für die übrigens bei der neuen Auflage sehr viel ge¬
schehen ist, aber es war für die Verbreitung sehr vortheilhaft. Und hier sei
es uns gestattet, ein Bedauern auszusprechen, das gewiß viele mit uns thei¬
len. Sybel hat äußerlich eine sehr glänzende Stellung in München, er hat
auch eine Art von Mission; denn es ist kein kleiner Gewinn, in einem Lande,
wo der Ultramontanismus noch so mächtig ist. für die protestantische Wissen¬
schaft Propaganda zu machen. Ebenso wenig verkennen wir die Bedeutung
der neuen Unternehmungen, an deren Spitze er steht, für die Geschichte als
Wissenschaft betrachtet. Aber mit der letzteren hat es überhaupt gute Wege.
Unsere historischen Schulen sind in der besten Ordnung, die Methode in der
Aufsuchung. Sammlung und Behandlung des Materials steht sest. und nicht
blos geschickte Arbeiter sondern auch Kenner, die ein größeres Unternehmen
zu leiten befähigt sind, finden sich in hinreichender Zahl. Zudem scheint es
uns kein so großes Unglück, wenn es mit dieser organisirten Arbeit im Felde
der Forschung etwas langsamer geht; wenigstens scheint uns die Beschleuni¬
gung derselben zu theuer erkauft, wenn dadurch wahrhaft schöpferische Kräfte
in ihrem selbstständigen Schaffen gehemmt werden. Daß Sybel in der ersten
Reihe unserer Geschichtschreiber steht, sowol als Künstler wie als Forscher,
werden alle, die mit ihm arbeiten, ohne Neid zugestehn; aber uns scheint, daß
er mit seiner Arbeit, die wol kein andrer so durchführen kann, zugleich eine


64*
Neue Geschichtschreibung.

Es ist die zweite Auflage zweier bedeutender Geschichtswerke, was uns
heute zunächst beschäftigt: Sybels Geschichte der Revolutionszeit von
1789 — 1795, Bd. 1. 2., (Düsseldorf. Buddeus). und Hüussers deutsche
Geschichte vom Tode Friedrich des Großen bis zur Gründung des
deutschen Bundes, Bd. 1. 2. 3. 4. (Berlin, Weidmann). — Ueber den
Werth beider Bücher ist kaum noch etwas hinzuzufügen, die Anerkennung der¬
selben ist allgemein, nur mit Ausnahme derjenigen, denen die Wahrheit un¬
bequem ist, und auch wir haben acht versäumt, bei Gelegenheit der ersten
Auflage auf den großen Vortheil hinzuweisen, den nicht nur die Wissenschaft,
sondern^ auch das sittliche Selbstgefühl der Nation daraus ziehen müsse. Es
ist nur zu verwundern, daß die zweite Auflage so lange hat auf sich warten
lassen: von Sybel erschien der erste Band im Frühjahr 1853, von Hauffer
im Frühjahr 1854. Bei Sybel liegt der Grund, daß er nicht so rasch ins
Volk eingedrungen ist, hauptsächlich wol an dem langsamen Erscheinen des
Werks, womit noch andere buchhändlerische Unbequemlichkeiten verknüpft waren;
daß Hauffer sein Werk so rasch vollendete, hat zwar der äußeren Vollendung
einigen Abbruch gethan, für die übrigens bei der neuen Auflage sehr viel ge¬
schehen ist, aber es war für die Verbreitung sehr vortheilhaft. Und hier sei
es uns gestattet, ein Bedauern auszusprechen, das gewiß viele mit uns thei¬
len. Sybel hat äußerlich eine sehr glänzende Stellung in München, er hat
auch eine Art von Mission; denn es ist kein kleiner Gewinn, in einem Lande,
wo der Ultramontanismus noch so mächtig ist. für die protestantische Wissen¬
schaft Propaganda zu machen. Ebenso wenig verkennen wir die Bedeutung
der neuen Unternehmungen, an deren Spitze er steht, für die Geschichte als
Wissenschaft betrachtet. Aber mit der letzteren hat es überhaupt gute Wege.
Unsere historischen Schulen sind in der besten Ordnung, die Methode in der
Aufsuchung. Sammlung und Behandlung des Materials steht sest. und nicht
blos geschickte Arbeiter sondern auch Kenner, die ein größeres Unternehmen
zu leiten befähigt sind, finden sich in hinreichender Zahl. Zudem scheint es
uns kein so großes Unglück, wenn es mit dieser organisirten Arbeit im Felde
der Forschung etwas langsamer geht; wenigstens scheint uns die Beschleuni¬
gung derselben zu theuer erkauft, wenn dadurch wahrhaft schöpferische Kräfte
in ihrem selbstständigen Schaffen gehemmt werden. Daß Sybel in der ersten
Reihe unserer Geschichtschreiber steht, sowol als Künstler wie als Forscher,
werden alle, die mit ihm arbeiten, ohne Neid zugestehn; aber uns scheint, daß
er mit seiner Arbeit, die wol kein andrer so durchführen kann, zugleich eine


64*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0519" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109241"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue Geschichtschreibung.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1500" next="#ID_1501"> Es ist die zweite Auflage zweier bedeutender Geschichtswerke, was uns<lb/>
heute zunächst beschäftigt: Sybels Geschichte der Revolutionszeit von<lb/>
1789 &#x2014; 1795, Bd. 1. 2., (Düsseldorf. Buddeus). und Hüussers deutsche<lb/>
Geschichte vom Tode Friedrich des Großen bis zur Gründung des<lb/>
deutschen Bundes, Bd. 1. 2. 3. 4. (Berlin, Weidmann). &#x2014; Ueber den<lb/>
Werth beider Bücher ist kaum noch etwas hinzuzufügen, die Anerkennung der¬<lb/>
selben ist allgemein, nur mit Ausnahme derjenigen, denen die Wahrheit un¬<lb/>
bequem ist, und auch wir haben acht versäumt, bei Gelegenheit der ersten<lb/>
Auflage auf den großen Vortheil hinzuweisen, den nicht nur die Wissenschaft,<lb/>
sondern^ auch das sittliche Selbstgefühl der Nation daraus ziehen müsse. Es<lb/>
ist nur zu verwundern, daß die zweite Auflage so lange hat auf sich warten<lb/>
lassen: von Sybel erschien der erste Band im Frühjahr 1853, von Hauffer<lb/>
im Frühjahr 1854. Bei Sybel liegt der Grund, daß er nicht so rasch ins<lb/>
Volk eingedrungen ist, hauptsächlich wol an dem langsamen Erscheinen des<lb/>
Werks, womit noch andere buchhändlerische Unbequemlichkeiten verknüpft waren;<lb/>
daß Hauffer sein Werk so rasch vollendete, hat zwar der äußeren Vollendung<lb/>
einigen Abbruch gethan, für die übrigens bei der neuen Auflage sehr viel ge¬<lb/>
schehen ist, aber es war für die Verbreitung sehr vortheilhaft. Und hier sei<lb/>
es uns gestattet, ein Bedauern auszusprechen, das gewiß viele mit uns thei¬<lb/>
len. Sybel hat äußerlich eine sehr glänzende Stellung in München, er hat<lb/>
auch eine Art von Mission; denn es ist kein kleiner Gewinn, in einem Lande,<lb/>
wo der Ultramontanismus noch so mächtig ist. für die protestantische Wissen¬<lb/>
schaft Propaganda zu machen. Ebenso wenig verkennen wir die Bedeutung<lb/>
der neuen Unternehmungen, an deren Spitze er steht, für die Geschichte als<lb/>
Wissenschaft betrachtet. Aber mit der letzteren hat es überhaupt gute Wege.<lb/>
Unsere historischen Schulen sind in der besten Ordnung, die Methode in der<lb/>
Aufsuchung. Sammlung und Behandlung des Materials steht sest. und nicht<lb/>
blos geschickte Arbeiter sondern auch Kenner, die ein größeres Unternehmen<lb/>
zu leiten befähigt sind, finden sich in hinreichender Zahl. Zudem scheint es<lb/>
uns kein so großes Unglück, wenn es mit dieser organisirten Arbeit im Felde<lb/>
der Forschung etwas langsamer geht; wenigstens scheint uns die Beschleuni¬<lb/>
gung derselben zu theuer erkauft, wenn dadurch wahrhaft schöpferische Kräfte<lb/>
in ihrem selbstständigen Schaffen gehemmt werden. Daß Sybel in der ersten<lb/>
Reihe unserer Geschichtschreiber steht, sowol als Künstler wie als Forscher,<lb/>
werden alle, die mit ihm arbeiten, ohne Neid zugestehn; aber uns scheint, daß<lb/>
er mit seiner Arbeit, die wol kein andrer so durchführen kann, zugleich eine</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 64*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0519] Neue Geschichtschreibung. Es ist die zweite Auflage zweier bedeutender Geschichtswerke, was uns heute zunächst beschäftigt: Sybels Geschichte der Revolutionszeit von 1789 — 1795, Bd. 1. 2., (Düsseldorf. Buddeus). und Hüussers deutsche Geschichte vom Tode Friedrich des Großen bis zur Gründung des deutschen Bundes, Bd. 1. 2. 3. 4. (Berlin, Weidmann). — Ueber den Werth beider Bücher ist kaum noch etwas hinzuzufügen, die Anerkennung der¬ selben ist allgemein, nur mit Ausnahme derjenigen, denen die Wahrheit un¬ bequem ist, und auch wir haben acht versäumt, bei Gelegenheit der ersten Auflage auf den großen Vortheil hinzuweisen, den nicht nur die Wissenschaft, sondern^ auch das sittliche Selbstgefühl der Nation daraus ziehen müsse. Es ist nur zu verwundern, daß die zweite Auflage so lange hat auf sich warten lassen: von Sybel erschien der erste Band im Frühjahr 1853, von Hauffer im Frühjahr 1854. Bei Sybel liegt der Grund, daß er nicht so rasch ins Volk eingedrungen ist, hauptsächlich wol an dem langsamen Erscheinen des Werks, womit noch andere buchhändlerische Unbequemlichkeiten verknüpft waren; daß Hauffer sein Werk so rasch vollendete, hat zwar der äußeren Vollendung einigen Abbruch gethan, für die übrigens bei der neuen Auflage sehr viel ge¬ schehen ist, aber es war für die Verbreitung sehr vortheilhaft. Und hier sei es uns gestattet, ein Bedauern auszusprechen, das gewiß viele mit uns thei¬ len. Sybel hat äußerlich eine sehr glänzende Stellung in München, er hat auch eine Art von Mission; denn es ist kein kleiner Gewinn, in einem Lande, wo der Ultramontanismus noch so mächtig ist. für die protestantische Wissen¬ schaft Propaganda zu machen. Ebenso wenig verkennen wir die Bedeutung der neuen Unternehmungen, an deren Spitze er steht, für die Geschichte als Wissenschaft betrachtet. Aber mit der letzteren hat es überhaupt gute Wege. Unsere historischen Schulen sind in der besten Ordnung, die Methode in der Aufsuchung. Sammlung und Behandlung des Materials steht sest. und nicht blos geschickte Arbeiter sondern auch Kenner, die ein größeres Unternehmen zu leiten befähigt sind, finden sich in hinreichender Zahl. Zudem scheint es uns kein so großes Unglück, wenn es mit dieser organisirten Arbeit im Felde der Forschung etwas langsamer geht; wenigstens scheint uns die Beschleuni¬ gung derselben zu theuer erkauft, wenn dadurch wahrhaft schöpferische Kräfte in ihrem selbstständigen Schaffen gehemmt werden. Daß Sybel in der ersten Reihe unserer Geschichtschreiber steht, sowol als Künstler wie als Forscher, werden alle, die mit ihm arbeiten, ohne Neid zugestehn; aber uns scheint, daß er mit seiner Arbeit, die wol kein andrer so durchführen kann, zugleich eine 64*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/519
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/519>, abgerufen am 29.04.2024.