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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Ehrenschuld gegen das deutsche Volk übernommen habe. Selbst der Abschluß
mit dem Frieden von Basel würde doch noch den Wunsch in uns zurücklassen,
daß er die ganze Revolutionszeit behandeln möge. Im folgenden soll nichts
Neues gesagt, sondern das Bekannte einmal wieder in Erinnerung gebracht
werden. -- Das nächste und bedeutendste Verdienst der beiden Geschichtschreiber
liegt darin, daß sie das Material unseres Wissens wirklich und sehr bedeutend
vermehrt haben. Ihre Darstellung ist aus den Acten geschöpft und hat auf
den Zusammenhang der Geschichte ein neues Licht geworfen, welches durch
keine Sophistik mehr verdunkelt werden kann. Das zweite Verdienst ist, daß
sie die Revolutionen Europas in ihrem irmern Zusammenhang erörtert haben,
was bisher noch nirgend geschehen ist. Dies Verdienst kommt Hauffer in
demselben Grade zu wie Sybel, obgleich er als Darsteller den deutschen
Standpunkt festhält, während sich Sybel in die innere Geschichte der fran¬
zösischen und polnischen Revolution vertieft. Daß nun das Resultat ihrer
Forschungen auf eine höchst überraschende Weise mit der politischen Ueberzeu¬
gung der gebildeten Vaterlandsfreunde übereinkommt, oder vielmehr derselben
eine historische Grundlage gibt, sie ergänzt und berichtigt, das möchte mancher
als ein bloßes Glück bezeichnen, weil man doch die Quellen sich nicht selber
- schaffen kann. Aber es liegt doch noch etwas mehr darin, nämlich der Sinn
für das Reale und Wesentliche, ohne welchen auch die vollständigste Kenntniß
der Quellen unfruchtbar bleibt. Wenn jeder Freund der Literatur Veranlassung
hat. die beiden Werke als künstlerische Erzeugnisse zu ehren, wenn jeder Freund
der Wissenschaft ihnen die große Bereicherung unserer Kenntniß danken muß, so
haben wir als Politiker noch viel mehr Veranlassung, ihr Gedeihen und ihren
Fortgang zu wünschen, denn sie nutzen unserer Sache mehr als hundert poli¬
tische oder staatsphilosophische Abhandlunzen. Die Weidmannsche Buchhand¬
lung verdient also unsern lebhaftesten Dank, daß sie die neue Ausgabe einem
bei weitem größern Kreise des Publikums zugänglich gemacht hat.

Man hat in frühern Zeiten von dem Geschichtschreiber Objektivität ver¬
langt, ein Stichwort, bei dem sich sehr viel denken läßt, das aber in seiner
Unbestimmtheit das Urtheil nicht selten verwirrt. Wenn man darunter weiter
nichts versteht, als daß der Geschichtschreiber sich bemühn soll, die Sachen ge¬
nau so darzustellen wie sie wirklich waren, und von der eigenen Persönlich¬
keit so viel als möglich zu abstrahiren, so wird Jedermann diese Forderung
billigen. Aber man kann noch etwas anderes darunter verstehn! wenn man
nämlich von ihm verlangt, er solle uns seine Darstellung ebenso beweisen wie
es bei andern Wissenschaften geschieht. In früherer Zeit hat man das bis
zu einem gewissen Grade wirklich versucht, die historischen Werke waren >o
eingerichtet, daß die Noten bei weitem den Text überwucherten. Vollständig
wurde der Zweck doch nicht dabei erreicht, denn mit dem bloßen Anführen


Ehrenschuld gegen das deutsche Volk übernommen habe. Selbst der Abschluß
mit dem Frieden von Basel würde doch noch den Wunsch in uns zurücklassen,
daß er die ganze Revolutionszeit behandeln möge. Im folgenden soll nichts
Neues gesagt, sondern das Bekannte einmal wieder in Erinnerung gebracht
werden. — Das nächste und bedeutendste Verdienst der beiden Geschichtschreiber
liegt darin, daß sie das Material unseres Wissens wirklich und sehr bedeutend
vermehrt haben. Ihre Darstellung ist aus den Acten geschöpft und hat auf
den Zusammenhang der Geschichte ein neues Licht geworfen, welches durch
keine Sophistik mehr verdunkelt werden kann. Das zweite Verdienst ist, daß
sie die Revolutionen Europas in ihrem irmern Zusammenhang erörtert haben,
was bisher noch nirgend geschehen ist. Dies Verdienst kommt Hauffer in
demselben Grade zu wie Sybel, obgleich er als Darsteller den deutschen
Standpunkt festhält, während sich Sybel in die innere Geschichte der fran¬
zösischen und polnischen Revolution vertieft. Daß nun das Resultat ihrer
Forschungen auf eine höchst überraschende Weise mit der politischen Ueberzeu¬
gung der gebildeten Vaterlandsfreunde übereinkommt, oder vielmehr derselben
eine historische Grundlage gibt, sie ergänzt und berichtigt, das möchte mancher
als ein bloßes Glück bezeichnen, weil man doch die Quellen sich nicht selber
- schaffen kann. Aber es liegt doch noch etwas mehr darin, nämlich der Sinn
für das Reale und Wesentliche, ohne welchen auch die vollständigste Kenntniß
der Quellen unfruchtbar bleibt. Wenn jeder Freund der Literatur Veranlassung
hat. die beiden Werke als künstlerische Erzeugnisse zu ehren, wenn jeder Freund
der Wissenschaft ihnen die große Bereicherung unserer Kenntniß danken muß, so
haben wir als Politiker noch viel mehr Veranlassung, ihr Gedeihen und ihren
Fortgang zu wünschen, denn sie nutzen unserer Sache mehr als hundert poli¬
tische oder staatsphilosophische Abhandlunzen. Die Weidmannsche Buchhand¬
lung verdient also unsern lebhaftesten Dank, daß sie die neue Ausgabe einem
bei weitem größern Kreise des Publikums zugänglich gemacht hat.

Man hat in frühern Zeiten von dem Geschichtschreiber Objektivität ver¬
langt, ein Stichwort, bei dem sich sehr viel denken läßt, das aber in seiner
Unbestimmtheit das Urtheil nicht selten verwirrt. Wenn man darunter weiter
nichts versteht, als daß der Geschichtschreiber sich bemühn soll, die Sachen ge¬
nau so darzustellen wie sie wirklich waren, und von der eigenen Persönlich¬
keit so viel als möglich zu abstrahiren, so wird Jedermann diese Forderung
billigen. Aber man kann noch etwas anderes darunter verstehn! wenn man
nämlich von ihm verlangt, er solle uns seine Darstellung ebenso beweisen wie
es bei andern Wissenschaften geschieht. In früherer Zeit hat man das bis
zu einem gewissen Grade wirklich versucht, die historischen Werke waren >o
eingerichtet, daß die Noten bei weitem den Text überwucherten. Vollständig
wurde der Zweck doch nicht dabei erreicht, denn mit dem bloßen Anführen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/520>, abgerufen am 15.05.2024.