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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Vorkommen von Wahnsinnsfällen stehe. Genaue Beobachtungen zeigten aber,
daß kein irgend erheblicher Einfluß des Erdsatelliten auf dieses Gebiet statt¬
findet. Dagegen scheinen andere Beobachtungen dafür zu sprechen, daß der
Mond einigen, aber freilich nur einen schwachen Einfluß aus Epileptische aus¬
übt, daß die größte Sterblichkeit mit dem Neumond, die geringste mit dem
Vollmond zusammenfällt, daß die alle vierzehn Tage erfolgende regelmäßige
Rückkehr der Anfälle von tropischen Fiebern mit der Zeit des Voll- und Neu¬
mondes zusammentrifft (ein Umstand, der schon bei Galen ernährt wird)
und daß der Aberglaube von der Wirkung der Mondphasen auf Kropfkrankheiteu
kein reiner Aberglaube ist, indem nicht zu alte Leiden dieser Gattung wirk¬
lich mit dem ab- und zunehmenden Monde ab- und zunehmen. Endlich sol¬
len nach der Beobachtung Nieberdings die nach Marschfiebern häufig zurück¬
bleibenden Milzanschwellungen und Wassersuchten ganz entschieden dem Einfluß
des Mondes unterliegen, und dasselbe wird von Jörg in Bezug auf chronische
Hautkrankheiten in den amerikanischen Tropenländern behauptet.

Daß ein erheblicher directer Einfluß des Mondes auf die Vegetation der
Pflanzen, wie ihn der Aberglaube annimmt, stattfinde, ist durch positive Ver¬
suche widerlegt, indeß deuten viele Angaben darauf hin. daß in den Tropen
allerdings etwas mehr von einem derartigen Wirken der Mondperiodicität
zu spüren ist.

Wir kommen zum Schluß. Wenn der Mond überhaupt einen Einfluß
auf den Lebensprozeß äußert, so ist dieser jedenfalls ebenso wie der meteoro¬
logische nur ein untergeordneter, so daß er nicht aus kurzen Beobachtungen
und nach oberflächlichen Angaben mit Sicherheit erkannt werden kann, in¬
dem andere unregelmäßige Einwirkungen ihn leicht verdecken können. Um ihn
dennoch aufzufinden, oder über sein Vorhandensein oder NichtVorhandensein
zu entscheiden, bleibt kein anderes Mittel, als auf dieselbe Weise wie in Be¬
treff der meteorologischen Einflüsse des Mondlaufs zu verfahren, d. h. zahl¬
reiche Beobachtungen anzustellen und die Ergebnisse zu Mittelwerthen oder
vergleichbaren Summen zu vereinigen. Es ist nicht viel, was man nach den
bisherigen Untersuchungen in der Hand behält, indeß ist es immerhin genug,
zu zeigen, daß der Aberglaube vom Monde, wie er im Volke lebt, nach den
meisten seiner Dogmen wirklich Aberglaube ist. Der feinere Aberglaube hat
nebenher auch seine Erklärung gefunden, wenigstens insoweit, als er fragte,
warum der Thränen unterm Mond so viel sind. Wir sahen, daß es am mei¬
sten regnet, wenn der Mond bald voll werden will und wenn er der Erde
am nächsten ist. Thränen sind nur eine besondere Art Regen, und so erklärt
sichs, daß kurz vor der Zeit des Vollmonds nicht bloß der Himmel, sondern
auch der Mensch am meisten weint, womit der Einfluß des Mondes auf die
Sentimentalität befriedigend aufgehellt wäre.




Vorkommen von Wahnsinnsfällen stehe. Genaue Beobachtungen zeigten aber,
daß kein irgend erheblicher Einfluß des Erdsatelliten auf dieses Gebiet statt¬
findet. Dagegen scheinen andere Beobachtungen dafür zu sprechen, daß der
Mond einigen, aber freilich nur einen schwachen Einfluß aus Epileptische aus¬
übt, daß die größte Sterblichkeit mit dem Neumond, die geringste mit dem
Vollmond zusammenfällt, daß die alle vierzehn Tage erfolgende regelmäßige
Rückkehr der Anfälle von tropischen Fiebern mit der Zeit des Voll- und Neu¬
mondes zusammentrifft (ein Umstand, der schon bei Galen ernährt wird)
und daß der Aberglaube von der Wirkung der Mondphasen auf Kropfkrankheiteu
kein reiner Aberglaube ist, indem nicht zu alte Leiden dieser Gattung wirk¬
lich mit dem ab- und zunehmenden Monde ab- und zunehmen. Endlich sol¬
len nach der Beobachtung Nieberdings die nach Marschfiebern häufig zurück¬
bleibenden Milzanschwellungen und Wassersuchten ganz entschieden dem Einfluß
des Mondes unterliegen, und dasselbe wird von Jörg in Bezug auf chronische
Hautkrankheiten in den amerikanischen Tropenländern behauptet.

Daß ein erheblicher directer Einfluß des Mondes auf die Vegetation der
Pflanzen, wie ihn der Aberglaube annimmt, stattfinde, ist durch positive Ver¬
suche widerlegt, indeß deuten viele Angaben darauf hin. daß in den Tropen
allerdings etwas mehr von einem derartigen Wirken der Mondperiodicität
zu spüren ist.

Wir kommen zum Schluß. Wenn der Mond überhaupt einen Einfluß
auf den Lebensprozeß äußert, so ist dieser jedenfalls ebenso wie der meteoro¬
logische nur ein untergeordneter, so daß er nicht aus kurzen Beobachtungen
und nach oberflächlichen Angaben mit Sicherheit erkannt werden kann, in¬
dem andere unregelmäßige Einwirkungen ihn leicht verdecken können. Um ihn
dennoch aufzufinden, oder über sein Vorhandensein oder NichtVorhandensein
zu entscheiden, bleibt kein anderes Mittel, als auf dieselbe Weise wie in Be¬
treff der meteorologischen Einflüsse des Mondlaufs zu verfahren, d. h. zahl¬
reiche Beobachtungen anzustellen und die Ergebnisse zu Mittelwerthen oder
vergleichbaren Summen zu vereinigen. Es ist nicht viel, was man nach den
bisherigen Untersuchungen in der Hand behält, indeß ist es immerhin genug,
zu zeigen, daß der Aberglaube vom Monde, wie er im Volke lebt, nach den
meisten seiner Dogmen wirklich Aberglaube ist. Der feinere Aberglaube hat
nebenher auch seine Erklärung gefunden, wenigstens insoweit, als er fragte,
warum der Thränen unterm Mond so viel sind. Wir sahen, daß es am mei¬
sten regnet, wenn der Mond bald voll werden will und wenn er der Erde
am nächsten ist. Thränen sind nur eine besondere Art Regen, und so erklärt
sichs, daß kurz vor der Zeit des Vollmonds nicht bloß der Himmel, sondern
auch der Mensch am meisten weint, womit der Einfluß des Mondes auf die
Sentimentalität befriedigend aufgehellt wäre.




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[0518] Vorkommen von Wahnsinnsfällen stehe. Genaue Beobachtungen zeigten aber, daß kein irgend erheblicher Einfluß des Erdsatelliten auf dieses Gebiet statt¬ findet. Dagegen scheinen andere Beobachtungen dafür zu sprechen, daß der Mond einigen, aber freilich nur einen schwachen Einfluß aus Epileptische aus¬ übt, daß die größte Sterblichkeit mit dem Neumond, die geringste mit dem Vollmond zusammenfällt, daß die alle vierzehn Tage erfolgende regelmäßige Rückkehr der Anfälle von tropischen Fiebern mit der Zeit des Voll- und Neu¬ mondes zusammentrifft (ein Umstand, der schon bei Galen ernährt wird) und daß der Aberglaube von der Wirkung der Mondphasen auf Kropfkrankheiteu kein reiner Aberglaube ist, indem nicht zu alte Leiden dieser Gattung wirk¬ lich mit dem ab- und zunehmenden Monde ab- und zunehmen. Endlich sol¬ len nach der Beobachtung Nieberdings die nach Marschfiebern häufig zurück¬ bleibenden Milzanschwellungen und Wassersuchten ganz entschieden dem Einfluß des Mondes unterliegen, und dasselbe wird von Jörg in Bezug auf chronische Hautkrankheiten in den amerikanischen Tropenländern behauptet. Daß ein erheblicher directer Einfluß des Mondes auf die Vegetation der Pflanzen, wie ihn der Aberglaube annimmt, stattfinde, ist durch positive Ver¬ suche widerlegt, indeß deuten viele Angaben darauf hin. daß in den Tropen allerdings etwas mehr von einem derartigen Wirken der Mondperiodicität zu spüren ist. Wir kommen zum Schluß. Wenn der Mond überhaupt einen Einfluß auf den Lebensprozeß äußert, so ist dieser jedenfalls ebenso wie der meteoro¬ logische nur ein untergeordneter, so daß er nicht aus kurzen Beobachtungen und nach oberflächlichen Angaben mit Sicherheit erkannt werden kann, in¬ dem andere unregelmäßige Einwirkungen ihn leicht verdecken können. Um ihn dennoch aufzufinden, oder über sein Vorhandensein oder NichtVorhandensein zu entscheiden, bleibt kein anderes Mittel, als auf dieselbe Weise wie in Be¬ treff der meteorologischen Einflüsse des Mondlaufs zu verfahren, d. h. zahl¬ reiche Beobachtungen anzustellen und die Ergebnisse zu Mittelwerthen oder vergleichbaren Summen zu vereinigen. Es ist nicht viel, was man nach den bisherigen Untersuchungen in der Hand behält, indeß ist es immerhin genug, zu zeigen, daß der Aberglaube vom Monde, wie er im Volke lebt, nach den meisten seiner Dogmen wirklich Aberglaube ist. Der feinere Aberglaube hat nebenher auch seine Erklärung gefunden, wenigstens insoweit, als er fragte, warum der Thränen unterm Mond so viel sind. Wir sahen, daß es am mei¬ sten regnet, wenn der Mond bald voll werden will und wenn er der Erde am nächsten ist. Thränen sind nur eine besondere Art Regen, und so erklärt sichs, daß kurz vor der Zeit des Vollmonds nicht bloß der Himmel, sondern auch der Mensch am meisten weint, womit der Einfluß des Mondes auf die Sentimentalität befriedigend aufgehellt wäre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/518>, abgerufen am 15.05.2024.