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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Litmmsche Streifziige.
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Unter allen Todesfällen des vergangenen Jahres wird vielleicht keiner
von der großen Menge so schmerzlich empfunden werden, als der des Lord
Macaulay. Seit 1848 gehört er zu den populärsten Schriftstellern Europas,
oder, man kann wol sagen, der gesammten Erde. Der Erfolg eines histori¬
schen Buchs, welches eine zwar interessante aber keineswegs heroische Zeit
behandelt, in einer Ausführlichkeit, wie man es sonst nur bei Monographien
oder historischen Romanen gewöhnt- ist, legt ein sehr bedeutendes Zeugniß für
den allgemein erwachte" politischen Sinn der Völker ab. Denn es ist nicht
das novellistische, das epische oder psychologische Interesse, was uns jenen
Stoff nahe bringt, sondern lediglich der politische Verstand. Freilich hat die
Hauptsache das große Talent des Geschichtschreibers gethan; man kann ohne
Uebertreibung sagen, er hat das Interesse der Welt im Sturm erobert. Wenn
wir von der Erweiterung der politischen Interessen mit Recht den wesentlichsten
Fortschritt der Cultur erwarten, so haben es hauptsächlich die Geschichtschreiber
in der Hand, dieses Interesse zu wecken. Die Kunst im eigentlichen Verstände
des Worts scheint in diesem Augenblick keinen günstigen Boden zu finden;
productiv poetische Kräfte sind selten, und auch diese durchweg un zweiten
Rang. Dagegen fangen die Geschichtschreiber an, auch ihren Beruf mit den
Augen des Künstlers aufzufassen. Macaulay war ein Künstler im schönsten
Sinne des Worts; die andere Seite seines Berufs, die wissenschaftliche, hat
er, so tief und umfassend seine Studien auch waren, doch nicht vollständig
zur Geltung gebracht. Witz und Phantasie sind köstliche Gaben für den Histo¬
riker, aber sie müssen seinen höhern Zwecken dienen: bei Macaulay übernehmen
sie zuweilen die Führung. Die in Deutschland erst seit kurzer Zeit veröffent¬
lichte Abhandlung über Friedrich den Großen, hat diesen Umstand allgemeiner
bekannt gemacht; dem aufmerksamen Leser war er schon früher nicht ent¬
gangen. -- Daß nun das große Werk ein Torso bleibt, ist ewig zu beklagen.
In dieser Breite die ganze englische Geschichte zu behandeln, war freilich un¬
möglich; aber man hatte gehofft, er werde wenigstens bis zu der Zeit kommen,
wo Lord Mahon beginnt, bis zum Frieden von Utrecht. Wie viel er von
seiner Fortsetzung zum Druck vorbereitet hat, wird wol in den nächsten Tagen
bekannt werden. Macaulay ist nur 59 Jahr alt geworden, seine erste bedeu¬
tendere Abhandlung über Milton erschien 1825.

Außer Macaulay hat die englische Literatur noch zwei bedeutende Geschicht¬
schreiber verloren, die zwar ihrer Geburt nach Amerika angehören, aber..ihrer
vortrefflichen Schreibart wegen zu den englischen Klassikern gerechnet werden.


Litmmsche Streifziige.
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Unter allen Todesfällen des vergangenen Jahres wird vielleicht keiner
von der großen Menge so schmerzlich empfunden werden, als der des Lord
Macaulay. Seit 1848 gehört er zu den populärsten Schriftstellern Europas,
oder, man kann wol sagen, der gesammten Erde. Der Erfolg eines histori¬
schen Buchs, welches eine zwar interessante aber keineswegs heroische Zeit
behandelt, in einer Ausführlichkeit, wie man es sonst nur bei Monographien
oder historischen Romanen gewöhnt- ist, legt ein sehr bedeutendes Zeugniß für
den allgemein erwachte» politischen Sinn der Völker ab. Denn es ist nicht
das novellistische, das epische oder psychologische Interesse, was uns jenen
Stoff nahe bringt, sondern lediglich der politische Verstand. Freilich hat die
Hauptsache das große Talent des Geschichtschreibers gethan; man kann ohne
Uebertreibung sagen, er hat das Interesse der Welt im Sturm erobert. Wenn
wir von der Erweiterung der politischen Interessen mit Recht den wesentlichsten
Fortschritt der Cultur erwarten, so haben es hauptsächlich die Geschichtschreiber
in der Hand, dieses Interesse zu wecken. Die Kunst im eigentlichen Verstände
des Worts scheint in diesem Augenblick keinen günstigen Boden zu finden;
productiv poetische Kräfte sind selten, und auch diese durchweg un zweiten
Rang. Dagegen fangen die Geschichtschreiber an, auch ihren Beruf mit den
Augen des Künstlers aufzufassen. Macaulay war ein Künstler im schönsten
Sinne des Worts; die andere Seite seines Berufs, die wissenschaftliche, hat
er, so tief und umfassend seine Studien auch waren, doch nicht vollständig
zur Geltung gebracht. Witz und Phantasie sind köstliche Gaben für den Histo¬
riker, aber sie müssen seinen höhern Zwecken dienen: bei Macaulay übernehmen
sie zuweilen die Führung. Die in Deutschland erst seit kurzer Zeit veröffent¬
lichte Abhandlung über Friedrich den Großen, hat diesen Umstand allgemeiner
bekannt gemacht; dem aufmerksamen Leser war er schon früher nicht ent¬
gangen. — Daß nun das große Werk ein Torso bleibt, ist ewig zu beklagen.
In dieser Breite die ganze englische Geschichte zu behandeln, war freilich un¬
möglich; aber man hatte gehofft, er werde wenigstens bis zu der Zeit kommen,
wo Lord Mahon beginnt, bis zum Frieden von Utrecht. Wie viel er von
seiner Fortsetzung zum Druck vorbereitet hat, wird wol in den nächsten Tagen
bekannt werden. Macaulay ist nur 59 Jahr alt geworden, seine erste bedeu¬
tendere Abhandlung über Milton erschien 1825.

Außer Macaulay hat die englische Literatur noch zwei bedeutende Geschicht¬
schreiber verloren, die zwar ihrer Geburt nach Amerika angehören, aber..ihrer
vortrefflichen Schreibart wegen zu den englischen Klassikern gerechnet werden.


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[0081] Litmmsche Streifziige. -'>jsj6' ni,-!z'/j.ki!i miZi In(l (i Unter allen Todesfällen des vergangenen Jahres wird vielleicht keiner von der großen Menge so schmerzlich empfunden werden, als der des Lord Macaulay. Seit 1848 gehört er zu den populärsten Schriftstellern Europas, oder, man kann wol sagen, der gesammten Erde. Der Erfolg eines histori¬ schen Buchs, welches eine zwar interessante aber keineswegs heroische Zeit behandelt, in einer Ausführlichkeit, wie man es sonst nur bei Monographien oder historischen Romanen gewöhnt- ist, legt ein sehr bedeutendes Zeugniß für den allgemein erwachte» politischen Sinn der Völker ab. Denn es ist nicht das novellistische, das epische oder psychologische Interesse, was uns jenen Stoff nahe bringt, sondern lediglich der politische Verstand. Freilich hat die Hauptsache das große Talent des Geschichtschreibers gethan; man kann ohne Uebertreibung sagen, er hat das Interesse der Welt im Sturm erobert. Wenn wir von der Erweiterung der politischen Interessen mit Recht den wesentlichsten Fortschritt der Cultur erwarten, so haben es hauptsächlich die Geschichtschreiber in der Hand, dieses Interesse zu wecken. Die Kunst im eigentlichen Verstände des Worts scheint in diesem Augenblick keinen günstigen Boden zu finden; productiv poetische Kräfte sind selten, und auch diese durchweg un zweiten Rang. Dagegen fangen die Geschichtschreiber an, auch ihren Beruf mit den Augen des Künstlers aufzufassen. Macaulay war ein Künstler im schönsten Sinne des Worts; die andere Seite seines Berufs, die wissenschaftliche, hat er, so tief und umfassend seine Studien auch waren, doch nicht vollständig zur Geltung gebracht. Witz und Phantasie sind köstliche Gaben für den Histo¬ riker, aber sie müssen seinen höhern Zwecken dienen: bei Macaulay übernehmen sie zuweilen die Führung. Die in Deutschland erst seit kurzer Zeit veröffent¬ lichte Abhandlung über Friedrich den Großen, hat diesen Umstand allgemeiner bekannt gemacht; dem aufmerksamen Leser war er schon früher nicht ent¬ gangen. — Daß nun das große Werk ein Torso bleibt, ist ewig zu beklagen. In dieser Breite die ganze englische Geschichte zu behandeln, war freilich un¬ möglich; aber man hatte gehofft, er werde wenigstens bis zu der Zeit kommen, wo Lord Mahon beginnt, bis zum Frieden von Utrecht. Wie viel er von seiner Fortsetzung zum Druck vorbereitet hat, wird wol in den nächsten Tagen bekannt werden. Macaulay ist nur 59 Jahr alt geworden, seine erste bedeu¬ tendere Abhandlung über Milton erschien 1825. Außer Macaulay hat die englische Literatur noch zwei bedeutende Geschicht¬ schreiber verloren, die zwar ihrer Geburt nach Amerika angehören, aber..ihrer vortrefflichen Schreibart wegen zu den englischen Klassikern gerechnet werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/81>, abgerufen am 28.04.2024.