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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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östreichisch-sardinischen Frieden schließt unser Verfasser seine Erzählung, und
wir machen hier mit ihm Halt, um so mehr, als diese Aufsätze schon zu un¬
gebührlicher Länge gediehen sind. Der vollständige Sieg der Reaction auf
der ganzen Halbinsel erfolgte. Piemont allein ausgenommen, weiches sich zu
einem constitutionellen und nationalen Staate bildete und damit die Hoffnung
Italiens für die Zukunft repräsentirte. Die Entwicklung und ihre Kämpfe in
den zehn Jahren 1848--58 ist in diesen Blättern früher besprochen lJahrg. 1858.
Bd. 4. S. 9v). Die Erhebung Italiens gegen die Fremdherrschaft und ihre
Genossen scheiterte wesentlich an dem Mangel eines festen Planes und einer
entschlossenen einheitlichen Leitung, jeder Staat wollte auf seine Weise und auf
eigne Hand vorgehen. Der jetzige Kampf zeigt, daß die Italiener ihre Fehler
eingesehen, indem sich alle Parteien der Führerschaft Piemonts unterordnen.
Für das Verständniß der gegenwärtigen Ereignisse und Deutschlands Stellung
zu denselben empfehlen wir Reuchlins Werk nochmals; man findet darin die
besten und sichersten, zuweilen überraschende Aufschlüsse, wenn gleich der Dar¬
stellung und Gruppirung hier und da mehr Übersichtlichkeit zu wünschen wäre.




Russische Zustände.
^, ?. ,

Die politische Polizei. -- Die Presse. -- Die Militärverwaltung.

Unter der Regierung des Kaisers Nicolaus hatte die politische Polizei eine
unerhörte Tyrannei ausgeübt, und es gab keine Schändlichkeit, die sie sich
nicht hätte gestatten dürfen.

Man kann an diese Periode nicht ohne das tiefste Gefühl des Abscheus
und Schreckens denken. Jede edle Regung des menschlichen Herzens, jede
Aeußerung aufgeklärter Ideen wurde zum Staatsverbrechen gestempelt. Die
Polizei, der ein Mann vorstand, welcher einst in offner Sitzung der Minister
gesagt, jeder Schriftsteller sei ein geborner Verschwörer, verleumdete in ihren
Berichten an den Kaiser die ehrcnwerthesten Männer, sie nahm die Partei der
berüchtigtsten Persönlichkeiten, ihr Vorstand umgab sich mit der verächtlichsten
Gesellschaft. Sie war so käuflich, daß es kaum ein Verbrechen gab, das man
nicht hätte begehen können, wenn man sie bezahlte. Von Zeit zu Zeit erfand


östreichisch-sardinischen Frieden schließt unser Verfasser seine Erzählung, und
wir machen hier mit ihm Halt, um so mehr, als diese Aufsätze schon zu un¬
gebührlicher Länge gediehen sind. Der vollständige Sieg der Reaction auf
der ganzen Halbinsel erfolgte. Piemont allein ausgenommen, weiches sich zu
einem constitutionellen und nationalen Staate bildete und damit die Hoffnung
Italiens für die Zukunft repräsentirte. Die Entwicklung und ihre Kämpfe in
den zehn Jahren 1848—58 ist in diesen Blättern früher besprochen lJahrg. 1858.
Bd. 4. S. 9v). Die Erhebung Italiens gegen die Fremdherrschaft und ihre
Genossen scheiterte wesentlich an dem Mangel eines festen Planes und einer
entschlossenen einheitlichen Leitung, jeder Staat wollte auf seine Weise und auf
eigne Hand vorgehen. Der jetzige Kampf zeigt, daß die Italiener ihre Fehler
eingesehen, indem sich alle Parteien der Führerschaft Piemonts unterordnen.
Für das Verständniß der gegenwärtigen Ereignisse und Deutschlands Stellung
zu denselben empfehlen wir Reuchlins Werk nochmals; man findet darin die
besten und sichersten, zuweilen überraschende Aufschlüsse, wenn gleich der Dar¬
stellung und Gruppirung hier und da mehr Übersichtlichkeit zu wünschen wäre.




Russische Zustände.
^, ?. ,

Die politische Polizei. — Die Presse. — Die Militärverwaltung.

Unter der Regierung des Kaisers Nicolaus hatte die politische Polizei eine
unerhörte Tyrannei ausgeübt, und es gab keine Schändlichkeit, die sie sich
nicht hätte gestatten dürfen.

Man kann an diese Periode nicht ohne das tiefste Gefühl des Abscheus
und Schreckens denken. Jede edle Regung des menschlichen Herzens, jede
Aeußerung aufgeklärter Ideen wurde zum Staatsverbrechen gestempelt. Die
Polizei, der ein Mann vorstand, welcher einst in offner Sitzung der Minister
gesagt, jeder Schriftsteller sei ein geborner Verschwörer, verleumdete in ihren
Berichten an den Kaiser die ehrcnwerthesten Männer, sie nahm die Partei der
berüchtigtsten Persönlichkeiten, ihr Vorstand umgab sich mit der verächtlichsten
Gesellschaft. Sie war so käuflich, daß es kaum ein Verbrechen gab, das man
nicht hätte begehen können, wenn man sie bezahlte. Von Zeit zu Zeit erfand


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[0153] östreichisch-sardinischen Frieden schließt unser Verfasser seine Erzählung, und wir machen hier mit ihm Halt, um so mehr, als diese Aufsätze schon zu un¬ gebührlicher Länge gediehen sind. Der vollständige Sieg der Reaction auf der ganzen Halbinsel erfolgte. Piemont allein ausgenommen, weiches sich zu einem constitutionellen und nationalen Staate bildete und damit die Hoffnung Italiens für die Zukunft repräsentirte. Die Entwicklung und ihre Kämpfe in den zehn Jahren 1848—58 ist in diesen Blättern früher besprochen lJahrg. 1858. Bd. 4. S. 9v). Die Erhebung Italiens gegen die Fremdherrschaft und ihre Genossen scheiterte wesentlich an dem Mangel eines festen Planes und einer entschlossenen einheitlichen Leitung, jeder Staat wollte auf seine Weise und auf eigne Hand vorgehen. Der jetzige Kampf zeigt, daß die Italiener ihre Fehler eingesehen, indem sich alle Parteien der Führerschaft Piemonts unterordnen. Für das Verständniß der gegenwärtigen Ereignisse und Deutschlands Stellung zu denselben empfehlen wir Reuchlins Werk nochmals; man findet darin die besten und sichersten, zuweilen überraschende Aufschlüsse, wenn gleich der Dar¬ stellung und Gruppirung hier und da mehr Übersichtlichkeit zu wünschen wäre. Russische Zustände. ^, ?. , Die politische Polizei. — Die Presse. — Die Militärverwaltung. Unter der Regierung des Kaisers Nicolaus hatte die politische Polizei eine unerhörte Tyrannei ausgeübt, und es gab keine Schändlichkeit, die sie sich nicht hätte gestatten dürfen. Man kann an diese Periode nicht ohne das tiefste Gefühl des Abscheus und Schreckens denken. Jede edle Regung des menschlichen Herzens, jede Aeußerung aufgeklärter Ideen wurde zum Staatsverbrechen gestempelt. Die Polizei, der ein Mann vorstand, welcher einst in offner Sitzung der Minister gesagt, jeder Schriftsteller sei ein geborner Verschwörer, verleumdete in ihren Berichten an den Kaiser die ehrcnwerthesten Männer, sie nahm die Partei der berüchtigtsten Persönlichkeiten, ihr Vorstand umgab sich mit der verächtlichsten Gesellschaft. Sie war so käuflich, daß es kaum ein Verbrechen gab, das man nicht hätte begehen können, wenn man sie bezahlte. Von Zeit zu Zeit erfand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/153>, abgerufen am 01.05.2024.