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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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des erstreben, sehen alle ihre Anstrengungen durch die Beamten vereitelt. Es
reicht nicht hin, mit den Menschen zu wechseln, sie sind bloße Palliativmittel.
Man muß das alte System aufgeben. Das Uebel wächst von Tag zu Tage,
und wenn man nicht ernste, tiefgehende, gründliche Reformen in allen Ein¬
richtungen eintreten läßt, so wird die Katastrophe schon in wenigen Jahren
und gewiß mit dem nächsten Kriege da sein.




Getvcrbefreiheit und Freizügigkeit in Deutschland.

Häusig kann man in Betreff der Auswanderung aus Deutschland die
Aeußerung hören: wenn die Wegziehenden daheim soviel Unternehmungsgeist
und soviel Arbeitslust bethätigen wollten, als, sie in der Fremde bethätigen
müssen, so würden sie hier dieselben Erfolge, hier so wenig Ursache zur Un¬
zufriedenheit haben wie dort. Diese Meinung beruht, sofern sie die Hand¬
werker einschließt, auf einer Täuschung. Nicht blos der germanische Wander¬
trieb und nicht der traditionelle Aberglaube, daß in fremden Landen noch Ge¬
legenheit, sich ohne Mühe goldne Aepfel von den Bäumen zu schütteln, füh¬
ren alljährlich Tausende unserer Handwerker aus dem Vaterland hinweg, auch
die unverständig gezognen Schranken, mit welchen unsre Gewerbe- und Nieder-
lassnngsgesetze dem Strebsamen nach allen Seiten Halt gebieten, sind hier in
Rechnung zu bringen. Jener Wandertrieb würde sich in dein weiten Gebiet
zwischen Alpen und Ostsee hinreichend Genüge thun und sich jene Bäume mit
den Goldfrüchtcn in der Heimath suchen, wenn er dürfte, und daß er dies
nicht darf, ist für die gewerbtreibende Bevölkerung die Hauptveranlassung zum
Wegzug.

Während nicht blos in Amerika, sondern in fast allen größeren oder
kleineren Nachbarstaaten Deutschlands volle Gewerbefreiheit herrscht, unterliegt
die Handwerksthätigkeit in den meisten deutschen Ländern noch immer den
drückendsten Beschränkungen. Während dort die Arbeit frei circulirt. ist es
ihr hier verwehrt, den Ort, wo sie entwerthet. zu verlassen und der natürlichen
Anziehungskraft derjenigen Plätze zu folgen, wo sie gesucht und in Folge
dessen lohnend ist. Während dort der Arbeiter sich den Beruf und den
Markt, die seinem Talent und seinem Wissen am besten zusagen, aussuchen


des erstreben, sehen alle ihre Anstrengungen durch die Beamten vereitelt. Es
reicht nicht hin, mit den Menschen zu wechseln, sie sind bloße Palliativmittel.
Man muß das alte System aufgeben. Das Uebel wächst von Tag zu Tage,
und wenn man nicht ernste, tiefgehende, gründliche Reformen in allen Ein¬
richtungen eintreten läßt, so wird die Katastrophe schon in wenigen Jahren
und gewiß mit dem nächsten Kriege da sein.




Getvcrbefreiheit und Freizügigkeit in Deutschland.

Häusig kann man in Betreff der Auswanderung aus Deutschland die
Aeußerung hören: wenn die Wegziehenden daheim soviel Unternehmungsgeist
und soviel Arbeitslust bethätigen wollten, als, sie in der Fremde bethätigen
müssen, so würden sie hier dieselben Erfolge, hier so wenig Ursache zur Un¬
zufriedenheit haben wie dort. Diese Meinung beruht, sofern sie die Hand¬
werker einschließt, auf einer Täuschung. Nicht blos der germanische Wander¬
trieb und nicht der traditionelle Aberglaube, daß in fremden Landen noch Ge¬
legenheit, sich ohne Mühe goldne Aepfel von den Bäumen zu schütteln, füh¬
ren alljährlich Tausende unserer Handwerker aus dem Vaterland hinweg, auch
die unverständig gezognen Schranken, mit welchen unsre Gewerbe- und Nieder-
lassnngsgesetze dem Strebsamen nach allen Seiten Halt gebieten, sind hier in
Rechnung zu bringen. Jener Wandertrieb würde sich in dein weiten Gebiet
zwischen Alpen und Ostsee hinreichend Genüge thun und sich jene Bäume mit
den Goldfrüchtcn in der Heimath suchen, wenn er dürfte, und daß er dies
nicht darf, ist für die gewerbtreibende Bevölkerung die Hauptveranlassung zum
Wegzug.

Während nicht blos in Amerika, sondern in fast allen größeren oder
kleineren Nachbarstaaten Deutschlands volle Gewerbefreiheit herrscht, unterliegt
die Handwerksthätigkeit in den meisten deutschen Ländern noch immer den
drückendsten Beschränkungen. Während dort die Arbeit frei circulirt. ist es
ihr hier verwehrt, den Ort, wo sie entwerthet. zu verlassen und der natürlichen
Anziehungskraft derjenigen Plätze zu folgen, wo sie gesucht und in Folge
dessen lohnend ist. Während dort der Arbeiter sich den Beruf und den
Markt, die seinem Talent und seinem Wissen am besten zusagen, aussuchen


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[0164] des erstreben, sehen alle ihre Anstrengungen durch die Beamten vereitelt. Es reicht nicht hin, mit den Menschen zu wechseln, sie sind bloße Palliativmittel. Man muß das alte System aufgeben. Das Uebel wächst von Tag zu Tage, und wenn man nicht ernste, tiefgehende, gründliche Reformen in allen Ein¬ richtungen eintreten läßt, so wird die Katastrophe schon in wenigen Jahren und gewiß mit dem nächsten Kriege da sein. Getvcrbefreiheit und Freizügigkeit in Deutschland. Häusig kann man in Betreff der Auswanderung aus Deutschland die Aeußerung hören: wenn die Wegziehenden daheim soviel Unternehmungsgeist und soviel Arbeitslust bethätigen wollten, als, sie in der Fremde bethätigen müssen, so würden sie hier dieselben Erfolge, hier so wenig Ursache zur Un¬ zufriedenheit haben wie dort. Diese Meinung beruht, sofern sie die Hand¬ werker einschließt, auf einer Täuschung. Nicht blos der germanische Wander¬ trieb und nicht der traditionelle Aberglaube, daß in fremden Landen noch Ge¬ legenheit, sich ohne Mühe goldne Aepfel von den Bäumen zu schütteln, füh¬ ren alljährlich Tausende unserer Handwerker aus dem Vaterland hinweg, auch die unverständig gezognen Schranken, mit welchen unsre Gewerbe- und Nieder- lassnngsgesetze dem Strebsamen nach allen Seiten Halt gebieten, sind hier in Rechnung zu bringen. Jener Wandertrieb würde sich in dein weiten Gebiet zwischen Alpen und Ostsee hinreichend Genüge thun und sich jene Bäume mit den Goldfrüchtcn in der Heimath suchen, wenn er dürfte, und daß er dies nicht darf, ist für die gewerbtreibende Bevölkerung die Hauptveranlassung zum Wegzug. Während nicht blos in Amerika, sondern in fast allen größeren oder kleineren Nachbarstaaten Deutschlands volle Gewerbefreiheit herrscht, unterliegt die Handwerksthätigkeit in den meisten deutschen Ländern noch immer den drückendsten Beschränkungen. Während dort die Arbeit frei circulirt. ist es ihr hier verwehrt, den Ort, wo sie entwerthet. zu verlassen und der natürlichen Anziehungskraft derjenigen Plätze zu folgen, wo sie gesucht und in Folge dessen lohnend ist. Während dort der Arbeiter sich den Beruf und den Markt, die seinem Talent und seinem Wissen am besten zusagen, aussuchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/164>, abgerufen am 01.05.2024.