Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Erntegebräuche.

Wieder einmal ist die Ernte im Gange. Rüstigen Schrittes steigt sie
von der Ebene nach dem Gebirge hinauf. Auf den Aeckern schneiden Sichel
und Sense den gelben Roggen und bald auch den röthlichen Weizen und die
borstige Gerste, schichtet der Garbenbinder Mandeln und Feine, geht zur Nach¬
lese über die Stoppeln mit den Vögeln des Himmels die Schaar der Dorf¬
armen, die nicht säete und doch ernährt wird. Auf den Gemüsebeeten um¬
kränzen Erbse und Bohne ihre Ranken mit Schotenbündeln, setzt Kohl und
Kraut seinen grünen Federbusch auf. schwillt in ihrem Furchenbett die Knolle
der Hackfrucht, während daneben zur Freude der Hausfrauen Flachsbreiten im
Winde ihre blauen Wellen schlagen, und im Obstgarten am früchteschweren
Zweig Apfel und Pflaume reifen und die Wangen der Pfirsiche sich rothen.

Der Segen kam wie vor Alters von oben. Im übrigen erntete jeder wie
er gepflügt und gedüngt, gejätet und gegossen hatte. Der Landwirth mit
modernen Grundsätzen, mit Liebig und Stöckhardt auf seinem Büchersims, mit
Drams und Berieselungsgräben, Knochenmehl und Guano auf seinem Lande,
fuhr außer dem Segen des Himmels auch den Segen der Wissenschaft in seine
Scheunen. Der Bauer alten Glaubens fand nur. was seine Bäter fanden,
wenn sie fleißige Pflüger und Pfleger von Feld und Garten waren und dabei
die Bräuche nicht vernachlässigten, mit denen das Herkommen ihnen das Ge¬
deihen ihrer Saat zu fördern gebot.

Auch der Altgläubige hatte seine Wissenschaft bei der Bereitung seines
Ackers. Er wußte, daß zur Aussaat des Getreides gewisse Tage gewählt,
andere vermieden werden müssen. Er säete, wenn es irgend möglich war,
seinen Roggen am Gründonnerstag, seine Gerste am Tage Urban. Er hütete
sich, großväterlicher Regeln eingedenk, solche Arbeit an Galli oder Michaelis
vorzunehmen, und nicht leicht hätte man ihn vermocht, an den Tagen Tibur-
tius oder Olympia Dünger auf sein Feld zu fahren, nicht leicht, im Krebs
oder Steinbock Rüben. Kohl oder sonst ein Gemüse zu pflanzen. Zu Säe-
tüchern nahm er Leinwand, welche ein Mädchen unter sieben Jahren gespon¬
nen. Beim Säen selbst streute er mit den ersten drei Schritten drei Handvoll
im Namen des Vaters, des Sohnes und des Geistes aus, damit die Drei¬
faltigkeit zu besonderer Obacht auf seinen Acker verpflichtend.

Glückbringende Saatzeiten für den Lein erschienen dem altgläubigen Ost¬
preußen im zweiten Juni, dem Märker im Tage Mariä Bekleidung, Andern im
Gründonnerstag; im Mai gesäet gibt sein Flachs schlechte Leinwand. Um
den Flachs recht lang werden zu lassen, ließ der Schlesier, der auf alte Satzung


Deutsche Erntegebräuche.

Wieder einmal ist die Ernte im Gange. Rüstigen Schrittes steigt sie
von der Ebene nach dem Gebirge hinauf. Auf den Aeckern schneiden Sichel
und Sense den gelben Roggen und bald auch den röthlichen Weizen und die
borstige Gerste, schichtet der Garbenbinder Mandeln und Feine, geht zur Nach¬
lese über die Stoppeln mit den Vögeln des Himmels die Schaar der Dorf¬
armen, die nicht säete und doch ernährt wird. Auf den Gemüsebeeten um¬
kränzen Erbse und Bohne ihre Ranken mit Schotenbündeln, setzt Kohl und
Kraut seinen grünen Federbusch auf. schwillt in ihrem Furchenbett die Knolle
der Hackfrucht, während daneben zur Freude der Hausfrauen Flachsbreiten im
Winde ihre blauen Wellen schlagen, und im Obstgarten am früchteschweren
Zweig Apfel und Pflaume reifen und die Wangen der Pfirsiche sich rothen.

Der Segen kam wie vor Alters von oben. Im übrigen erntete jeder wie
er gepflügt und gedüngt, gejätet und gegossen hatte. Der Landwirth mit
modernen Grundsätzen, mit Liebig und Stöckhardt auf seinem Büchersims, mit
Drams und Berieselungsgräben, Knochenmehl und Guano auf seinem Lande,
fuhr außer dem Segen des Himmels auch den Segen der Wissenschaft in seine
Scheunen. Der Bauer alten Glaubens fand nur. was seine Bäter fanden,
wenn sie fleißige Pflüger und Pfleger von Feld und Garten waren und dabei
die Bräuche nicht vernachlässigten, mit denen das Herkommen ihnen das Ge¬
deihen ihrer Saat zu fördern gebot.

Auch der Altgläubige hatte seine Wissenschaft bei der Bereitung seines
Ackers. Er wußte, daß zur Aussaat des Getreides gewisse Tage gewählt,
andere vermieden werden müssen. Er säete, wenn es irgend möglich war,
seinen Roggen am Gründonnerstag, seine Gerste am Tage Urban. Er hütete
sich, großväterlicher Regeln eingedenk, solche Arbeit an Galli oder Michaelis
vorzunehmen, und nicht leicht hätte man ihn vermocht, an den Tagen Tibur-
tius oder Olympia Dünger auf sein Feld zu fahren, nicht leicht, im Krebs
oder Steinbock Rüben. Kohl oder sonst ein Gemüse zu pflanzen. Zu Säe-
tüchern nahm er Leinwand, welche ein Mädchen unter sieben Jahren gespon¬
nen. Beim Säen selbst streute er mit den ersten drei Schritten drei Handvoll
im Namen des Vaters, des Sohnes und des Geistes aus, damit die Drei¬
faltigkeit zu besonderer Obacht auf seinen Acker verpflichtend.

Glückbringende Saatzeiten für den Lein erschienen dem altgläubigen Ost¬
preußen im zweiten Juni, dem Märker im Tage Mariä Bekleidung, Andern im
Gründonnerstag; im Mai gesäet gibt sein Flachs schlechte Leinwand. Um
den Flachs recht lang werden zu lassen, ließ der Schlesier, der auf alte Satzung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110118"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutsche Erntegebräuche.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_915"> Wieder einmal ist die Ernte im Gange. Rüstigen Schrittes steigt sie<lb/>
von der Ebene nach dem Gebirge hinauf. Auf den Aeckern schneiden Sichel<lb/>
und Sense den gelben Roggen und bald auch den röthlichen Weizen und die<lb/>
borstige Gerste, schichtet der Garbenbinder Mandeln und Feine, geht zur Nach¬<lb/>
lese über die Stoppeln mit den Vögeln des Himmels die Schaar der Dorf¬<lb/>
armen, die nicht säete und doch ernährt wird. Auf den Gemüsebeeten um¬<lb/>
kränzen Erbse und Bohne ihre Ranken mit Schotenbündeln, setzt Kohl und<lb/>
Kraut seinen grünen Federbusch auf. schwillt in ihrem Furchenbett die Knolle<lb/>
der Hackfrucht, während daneben zur Freude der Hausfrauen Flachsbreiten im<lb/>
Winde ihre blauen Wellen schlagen, und im Obstgarten am früchteschweren<lb/>
Zweig Apfel und Pflaume reifen und die Wangen der Pfirsiche sich rothen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_916"> Der Segen kam wie vor Alters von oben. Im übrigen erntete jeder wie<lb/>
er gepflügt und gedüngt, gejätet und gegossen hatte. Der Landwirth mit<lb/>
modernen Grundsätzen, mit Liebig und Stöckhardt auf seinem Büchersims, mit<lb/>
Drams und Berieselungsgräben, Knochenmehl und Guano auf seinem Lande,<lb/>
fuhr außer dem Segen des Himmels auch den Segen der Wissenschaft in seine<lb/>
Scheunen. Der Bauer alten Glaubens fand nur. was seine Bäter fanden,<lb/>
wenn sie fleißige Pflüger und Pfleger von Feld und Garten waren und dabei<lb/>
die Bräuche nicht vernachlässigten, mit denen das Herkommen ihnen das Ge¬<lb/>
deihen ihrer Saat zu fördern gebot.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_917"> Auch der Altgläubige hatte seine Wissenschaft bei der Bereitung seines<lb/>
Ackers. Er wußte, daß zur Aussaat des Getreides gewisse Tage gewählt,<lb/>
andere vermieden werden müssen. Er säete, wenn es irgend möglich war,<lb/>
seinen Roggen am Gründonnerstag, seine Gerste am Tage Urban. Er hütete<lb/>
sich, großväterlicher Regeln eingedenk, solche Arbeit an Galli oder Michaelis<lb/>
vorzunehmen, und nicht leicht hätte man ihn vermocht, an den Tagen Tibur-<lb/>
tius oder Olympia Dünger auf sein Feld zu fahren, nicht leicht, im Krebs<lb/>
oder Steinbock Rüben. Kohl oder sonst ein Gemüse zu pflanzen. Zu Säe-<lb/>
tüchern nahm er Leinwand, welche ein Mädchen unter sieben Jahren gespon¬<lb/>
nen. Beim Säen selbst streute er mit den ersten drei Schritten drei Handvoll<lb/>
im Namen des Vaters, des Sohnes und des Geistes aus, damit die Drei¬<lb/>
faltigkeit zu besonderer Obacht auf seinen Acker verpflichtend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_918" next="#ID_919"> Glückbringende Saatzeiten für den Lein erschienen dem altgläubigen Ost¬<lb/>
preußen im zweiten Juni, dem Märker im Tage Mariä Bekleidung, Andern im<lb/>
Gründonnerstag; im Mai gesäet gibt sein Flachs schlechte Leinwand. Um<lb/>
den Flachs recht lang werden zu lassen, ließ der Schlesier, der auf alte Satzung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0312] Deutsche Erntegebräuche. Wieder einmal ist die Ernte im Gange. Rüstigen Schrittes steigt sie von der Ebene nach dem Gebirge hinauf. Auf den Aeckern schneiden Sichel und Sense den gelben Roggen und bald auch den röthlichen Weizen und die borstige Gerste, schichtet der Garbenbinder Mandeln und Feine, geht zur Nach¬ lese über die Stoppeln mit den Vögeln des Himmels die Schaar der Dorf¬ armen, die nicht säete und doch ernährt wird. Auf den Gemüsebeeten um¬ kränzen Erbse und Bohne ihre Ranken mit Schotenbündeln, setzt Kohl und Kraut seinen grünen Federbusch auf. schwillt in ihrem Furchenbett die Knolle der Hackfrucht, während daneben zur Freude der Hausfrauen Flachsbreiten im Winde ihre blauen Wellen schlagen, und im Obstgarten am früchteschweren Zweig Apfel und Pflaume reifen und die Wangen der Pfirsiche sich rothen. Der Segen kam wie vor Alters von oben. Im übrigen erntete jeder wie er gepflügt und gedüngt, gejätet und gegossen hatte. Der Landwirth mit modernen Grundsätzen, mit Liebig und Stöckhardt auf seinem Büchersims, mit Drams und Berieselungsgräben, Knochenmehl und Guano auf seinem Lande, fuhr außer dem Segen des Himmels auch den Segen der Wissenschaft in seine Scheunen. Der Bauer alten Glaubens fand nur. was seine Bäter fanden, wenn sie fleißige Pflüger und Pfleger von Feld und Garten waren und dabei die Bräuche nicht vernachlässigten, mit denen das Herkommen ihnen das Ge¬ deihen ihrer Saat zu fördern gebot. Auch der Altgläubige hatte seine Wissenschaft bei der Bereitung seines Ackers. Er wußte, daß zur Aussaat des Getreides gewisse Tage gewählt, andere vermieden werden müssen. Er säete, wenn es irgend möglich war, seinen Roggen am Gründonnerstag, seine Gerste am Tage Urban. Er hütete sich, großväterlicher Regeln eingedenk, solche Arbeit an Galli oder Michaelis vorzunehmen, und nicht leicht hätte man ihn vermocht, an den Tagen Tibur- tius oder Olympia Dünger auf sein Feld zu fahren, nicht leicht, im Krebs oder Steinbock Rüben. Kohl oder sonst ein Gemüse zu pflanzen. Zu Säe- tüchern nahm er Leinwand, welche ein Mädchen unter sieben Jahren gespon¬ nen. Beim Säen selbst streute er mit den ersten drei Schritten drei Handvoll im Namen des Vaters, des Sohnes und des Geistes aus, damit die Drei¬ faltigkeit zu besonderer Obacht auf seinen Acker verpflichtend. Glückbringende Saatzeiten für den Lein erschienen dem altgläubigen Ost¬ preußen im zweiten Juni, dem Märker im Tage Mariä Bekleidung, Andern im Gründonnerstag; im Mai gesäet gibt sein Flachs schlechte Leinwand. Um den Flachs recht lang werden zu lassen, ließ der Schlesier, der auf alte Satzung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/312
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/312>, abgerufen am 01.05.2024.