Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ausgabe des Nntwlmlvtrems.

Im lebhaften Gedränge sehen wir in diesen Tagen einen Verein den an¬
dern ablösen. Eben hat der deutsche Juristentag in Berlin seine Thätigkeit
vollendet und, abgesehn von den andern Früchten, die in Bezug auf die
Wissenschaft und das allgemeine Rechtsleben davon zu erwarten sind, durch
die Adresse an Oetker ein erfreuliches Zeichen von der Gesinnung seiner Mehr¬
heit gegeben; die Germanisten- und Philologen-Versammlungen stehn nahe
bevor; ebenso der volkswirthschaftliche Congreß. Turner, Sänger, Landwirthe
u. s. w. haben das Ihrige geleistet; als eine neue Erscheinung begrüßen wir
den Haudwerkertag, gegen dessen Tendenzen wir zwar lebhaft Protestiren,
der aber insofern seine Berechtigung hat, als er positive Interessen mit
selbständiger Kraft zu vertreten sucht. Jeder Act der gesetzlichen Selbsthilfe
ist ein Fortschritt, wie sehr auch die verschiedenen Interessen sich durchkreuzen
mögen: denn er nährt das Gefühl der Gemeinsamkeit und entwöhnt den
Bürger der polizeilichen Bevormundung. Das gedeihliche politische Leben,
welches sich in den vierziger Jahren entwickelte, hat aus diesen Vereinen seine
Hauptnahrung gesogen.

Bei weitem das allgemeinste Interesse unter diesen Versammlungen erregt
die zu Coburg, die wahrscheinlich beginnt, indem wir dieses schreiben. Wir
gehören dem Nationalverein nicht an und haben bei der Verschiedenartigkeit
der vorbereiteten Anträge noch keine bestimmte Vorstellung von dem Ergeb¬
niß dieses Kongresses; es wird aber nicht unnütz sein, unsrerseits die Hoff¬
nungen und Aussichten, oder wenn man will, die Bedingungen unsres Zu-
sa in in enwirkens fe Siz u stellen.

Der Nationalverein ist, wenn wir die Absichten seiner Gründer richtig
verstehn, ein Versuch, die liberale Partei in Deutschland., welche durch die
Unruhen des Jahres 1848 auseinander gerissen und durch die Reaction der
folgenden Jahre zu völliger Unthätigkeit verleitet wurde, auf neuer, zeitge¬
mäßer Basis wieder zu constituiren. Damit dieser Versuch gedeihe, ist zweier¬
lei nöthig: einmal, daß die Basis eine breite ist, d. h. daß eine möglichst


Grenzl'oder III. 1360. 5l
Die Ausgabe des Nntwlmlvtrems.

Im lebhaften Gedränge sehen wir in diesen Tagen einen Verein den an¬
dern ablösen. Eben hat der deutsche Juristentag in Berlin seine Thätigkeit
vollendet und, abgesehn von den andern Früchten, die in Bezug auf die
Wissenschaft und das allgemeine Rechtsleben davon zu erwarten sind, durch
die Adresse an Oetker ein erfreuliches Zeichen von der Gesinnung seiner Mehr¬
heit gegeben; die Germanisten- und Philologen-Versammlungen stehn nahe
bevor; ebenso der volkswirthschaftliche Congreß. Turner, Sänger, Landwirthe
u. s. w. haben das Ihrige geleistet; als eine neue Erscheinung begrüßen wir
den Haudwerkertag, gegen dessen Tendenzen wir zwar lebhaft Protestiren,
der aber insofern seine Berechtigung hat, als er positive Interessen mit
selbständiger Kraft zu vertreten sucht. Jeder Act der gesetzlichen Selbsthilfe
ist ein Fortschritt, wie sehr auch die verschiedenen Interessen sich durchkreuzen
mögen: denn er nährt das Gefühl der Gemeinsamkeit und entwöhnt den
Bürger der polizeilichen Bevormundung. Das gedeihliche politische Leben,
welches sich in den vierziger Jahren entwickelte, hat aus diesen Vereinen seine
Hauptnahrung gesogen.

Bei weitem das allgemeinste Interesse unter diesen Versammlungen erregt
die zu Coburg, die wahrscheinlich beginnt, indem wir dieses schreiben. Wir
gehören dem Nationalverein nicht an und haben bei der Verschiedenartigkeit
der vorbereiteten Anträge noch keine bestimmte Vorstellung von dem Ergeb¬
niß dieses Kongresses; es wird aber nicht unnütz sein, unsrerseits die Hoff¬
nungen und Aussichten, oder wenn man will, die Bedingungen unsres Zu-
sa in in enwirkens fe Siz u stellen.

Der Nationalverein ist, wenn wir die Absichten seiner Gründer richtig
verstehn, ein Versuch, die liberale Partei in Deutschland., welche durch die
Unruhen des Jahres 1848 auseinander gerissen und durch die Reaction der
folgenden Jahre zu völliger Unthätigkeit verleitet wurde, auf neuer, zeitge¬
mäßer Basis wieder zu constituiren. Damit dieser Versuch gedeihe, ist zweier¬
lei nöthig: einmal, daß die Basis eine breite ist, d. h. daß eine möglichst


Grenzl'oder III. 1360. 5l
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110219"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Ausgabe des Nntwlmlvtrems.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1223"> Im lebhaften Gedränge sehen wir in diesen Tagen einen Verein den an¬<lb/>
dern ablösen. Eben hat der deutsche Juristentag in Berlin seine Thätigkeit<lb/>
vollendet und, abgesehn von den andern Früchten, die in Bezug auf die<lb/>
Wissenschaft und das allgemeine Rechtsleben davon zu erwarten sind, durch<lb/>
die Adresse an Oetker ein erfreuliches Zeichen von der Gesinnung seiner Mehr¬<lb/>
heit gegeben; die Germanisten- und Philologen-Versammlungen stehn nahe<lb/>
bevor; ebenso der volkswirthschaftliche Congreß. Turner, Sänger, Landwirthe<lb/>
u. s. w. haben das Ihrige geleistet; als eine neue Erscheinung begrüßen wir<lb/>
den Haudwerkertag, gegen dessen Tendenzen wir zwar lebhaft Protestiren,<lb/>
der aber insofern seine Berechtigung hat, als er positive Interessen mit<lb/>
selbständiger Kraft zu vertreten sucht. Jeder Act der gesetzlichen Selbsthilfe<lb/>
ist ein Fortschritt, wie sehr auch die verschiedenen Interessen sich durchkreuzen<lb/>
mögen: denn er nährt das Gefühl der Gemeinsamkeit und entwöhnt den<lb/>
Bürger der polizeilichen Bevormundung. Das gedeihliche politische Leben,<lb/>
welches sich in den vierziger Jahren entwickelte, hat aus diesen Vereinen seine<lb/>
Hauptnahrung gesogen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1224"> Bei weitem das allgemeinste Interesse unter diesen Versammlungen erregt<lb/>
die zu Coburg, die wahrscheinlich beginnt, indem wir dieses schreiben. Wir<lb/>
gehören dem Nationalverein nicht an und haben bei der Verschiedenartigkeit<lb/>
der vorbereiteten Anträge noch keine bestimmte Vorstellung von dem Ergeb¬<lb/>
niß dieses Kongresses; es wird aber nicht unnütz sein, unsrerseits die Hoff¬<lb/>
nungen und Aussichten, oder wenn man will, die Bedingungen unsres Zu-<lb/>
sa in in enwirkens fe Siz u stellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1225" next="#ID_1226"> Der Nationalverein ist, wenn wir die Absichten seiner Gründer richtig<lb/>
verstehn, ein Versuch, die liberale Partei in Deutschland., welche durch die<lb/>
Unruhen des Jahres 1848 auseinander gerissen und durch die Reaction der<lb/>
folgenden Jahre zu völliger Unthätigkeit verleitet wurde, auf neuer, zeitge¬<lb/>
mäßer Basis wieder zu constituiren. Damit dieser Versuch gedeihe, ist zweier¬<lb/>
lei nöthig: einmal, daß die Basis eine breite ist, d. h. daß eine möglichst</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzl'oder III. 1360. 5l</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0413] Die Ausgabe des Nntwlmlvtrems. Im lebhaften Gedränge sehen wir in diesen Tagen einen Verein den an¬ dern ablösen. Eben hat der deutsche Juristentag in Berlin seine Thätigkeit vollendet und, abgesehn von den andern Früchten, die in Bezug auf die Wissenschaft und das allgemeine Rechtsleben davon zu erwarten sind, durch die Adresse an Oetker ein erfreuliches Zeichen von der Gesinnung seiner Mehr¬ heit gegeben; die Germanisten- und Philologen-Versammlungen stehn nahe bevor; ebenso der volkswirthschaftliche Congreß. Turner, Sänger, Landwirthe u. s. w. haben das Ihrige geleistet; als eine neue Erscheinung begrüßen wir den Haudwerkertag, gegen dessen Tendenzen wir zwar lebhaft Protestiren, der aber insofern seine Berechtigung hat, als er positive Interessen mit selbständiger Kraft zu vertreten sucht. Jeder Act der gesetzlichen Selbsthilfe ist ein Fortschritt, wie sehr auch die verschiedenen Interessen sich durchkreuzen mögen: denn er nährt das Gefühl der Gemeinsamkeit und entwöhnt den Bürger der polizeilichen Bevormundung. Das gedeihliche politische Leben, welches sich in den vierziger Jahren entwickelte, hat aus diesen Vereinen seine Hauptnahrung gesogen. Bei weitem das allgemeinste Interesse unter diesen Versammlungen erregt die zu Coburg, die wahrscheinlich beginnt, indem wir dieses schreiben. Wir gehören dem Nationalverein nicht an und haben bei der Verschiedenartigkeit der vorbereiteten Anträge noch keine bestimmte Vorstellung von dem Ergeb¬ niß dieses Kongresses; es wird aber nicht unnütz sein, unsrerseits die Hoff¬ nungen und Aussichten, oder wenn man will, die Bedingungen unsres Zu- sa in in enwirkens fe Siz u stellen. Der Nationalverein ist, wenn wir die Absichten seiner Gründer richtig verstehn, ein Versuch, die liberale Partei in Deutschland., welche durch die Unruhen des Jahres 1848 auseinander gerissen und durch die Reaction der folgenden Jahre zu völliger Unthätigkeit verleitet wurde, auf neuer, zeitge¬ mäßer Basis wieder zu constituiren. Damit dieser Versuch gedeihe, ist zweier¬ lei nöthig: einmal, daß die Basis eine breite ist, d. h. daß eine möglichst Grenzl'oder III. 1360. 5l

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/413
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/413>, abgerufen am 01.05.2024.