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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Abgrund, so nahe vor mir liegt, o so vergiß meiner vorigen Untreue, schenke
mir den Glauben an dich, Vertrauen und Liebe zu meinem Erlöser, welches
alles bei mir kalt und leblos ist. -- Und in denselben Vorstellungen und sein--
nungen, ohne die Spur von einem festen, sichern und beseligenden Glauben,
geht es fort bis zum vierten December, acht Tage vor seinem Tod. --

-- Hatte Edelmann wol Unrecht, gegen den Pietismus, gegen die Herr¬
schaft des Sündenbewußtseins zu eifern? Wir leben in einer bessern Zeit, wir
kennen nicht mehr die Krankheit in ihrer ganzen stark'e, und empfinden daher
auch nicht mehr die krankhafte Sehnsucht nach der Gesundheit, die jenen un¬
ruhigen Vorläufern unserer classischen Zeit ein so seltsames Aussehn gibt.'


, Z. S.


Umbrien und die Marken.

Schon seit geraumer Zeit verlautete, daß Sardinien den im vorigen
Jahr unterlassener Angriff auf den Papst nun vorbereite, und daß es zu den
Erwerbungen, die es in der Romagna gemacht, zunächst noch Umbrien und
die Marken hinzufügen werde. Jetzt lesen wir, daß es sich zu dem Zweck in
Bewegung gesetzt, die Grenze überschritten und sowol in diesem als in jenem
Gebiet bereits Erfolge über die Truppen des Papstes davon getragen hat.
Wenn nicht Alles trügt, so wird der Feldzug eine Art militärischer Prome¬
nade, Lamoriciöres Heer binnen vierzehn Tagen niedergeworfen, zerstoben, ge¬
fangen sein und die Bevölkerung die Freiheit haben, durch Abstimmung sich
zu Unterthanen Victor Eimmuels, Königs von Italien, zu erklären. Napoleon
scheint vorläufig zu der Sache schweigen zu wollen. Er ist nach Algier ge¬
gangen, um inzwischen eine vollendete Thatsache reifen zu lassen. Er wird
seine Position in Rom behalten und die Zeit abwarten, sie besser zu ver¬
werthen als gegen seine Bischöfe. Oestreich muß geschehn lassen, was es
nicht ändern kann. Die alte Karthaune der großen Excommunication, die man
vor der Front des Vatican aufzufahren sich anschickt, wird auch nichts än¬
dern. Sie schießt heutzutage nur noch Seifenblasen.

Der Grund, den das piemontesische Cabinet für sein Vorgehn anführt,


Abgrund, so nahe vor mir liegt, o so vergiß meiner vorigen Untreue, schenke
mir den Glauben an dich, Vertrauen und Liebe zu meinem Erlöser, welches
alles bei mir kalt und leblos ist. — Und in denselben Vorstellungen und sein--
nungen, ohne die Spur von einem festen, sichern und beseligenden Glauben,
geht es fort bis zum vierten December, acht Tage vor seinem Tod. —

— Hatte Edelmann wol Unrecht, gegen den Pietismus, gegen die Herr¬
schaft des Sündenbewußtseins zu eifern? Wir leben in einer bessern Zeit, wir
kennen nicht mehr die Krankheit in ihrer ganzen stark'e, und empfinden daher
auch nicht mehr die krankhafte Sehnsucht nach der Gesundheit, die jenen un¬
ruhigen Vorläufern unserer classischen Zeit ein so seltsames Aussehn gibt.'


, Z. S.


Umbrien und die Marken.

Schon seit geraumer Zeit verlautete, daß Sardinien den im vorigen
Jahr unterlassener Angriff auf den Papst nun vorbereite, und daß es zu den
Erwerbungen, die es in der Romagna gemacht, zunächst noch Umbrien und
die Marken hinzufügen werde. Jetzt lesen wir, daß es sich zu dem Zweck in
Bewegung gesetzt, die Grenze überschritten und sowol in diesem als in jenem
Gebiet bereits Erfolge über die Truppen des Papstes davon getragen hat.
Wenn nicht Alles trügt, so wird der Feldzug eine Art militärischer Prome¬
nade, Lamoriciöres Heer binnen vierzehn Tagen niedergeworfen, zerstoben, ge¬
fangen sein und die Bevölkerung die Freiheit haben, durch Abstimmung sich
zu Unterthanen Victor Eimmuels, Königs von Italien, zu erklären. Napoleon
scheint vorläufig zu der Sache schweigen zu wollen. Er ist nach Algier ge¬
gangen, um inzwischen eine vollendete Thatsache reifen zu lassen. Er wird
seine Position in Rom behalten und die Zeit abwarten, sie besser zu ver¬
werthen als gegen seine Bischöfe. Oestreich muß geschehn lassen, was es
nicht ändern kann. Die alte Karthaune der großen Excommunication, die man
vor der Front des Vatican aufzufahren sich anschickt, wird auch nichts än¬
dern. Sie schießt heutzutage nur noch Seifenblasen.

Der Grund, den das piemontesische Cabinet für sein Vorgehn anführt,


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[0523] Abgrund, so nahe vor mir liegt, o so vergiß meiner vorigen Untreue, schenke mir den Glauben an dich, Vertrauen und Liebe zu meinem Erlöser, welches alles bei mir kalt und leblos ist. — Und in denselben Vorstellungen und sein-- nungen, ohne die Spur von einem festen, sichern und beseligenden Glauben, geht es fort bis zum vierten December, acht Tage vor seinem Tod. — — Hatte Edelmann wol Unrecht, gegen den Pietismus, gegen die Herr¬ schaft des Sündenbewußtseins zu eifern? Wir leben in einer bessern Zeit, wir kennen nicht mehr die Krankheit in ihrer ganzen stark'e, und empfinden daher auch nicht mehr die krankhafte Sehnsucht nach der Gesundheit, die jenen un¬ ruhigen Vorläufern unserer classischen Zeit ein so seltsames Aussehn gibt.' , Z. S. Umbrien und die Marken. Schon seit geraumer Zeit verlautete, daß Sardinien den im vorigen Jahr unterlassener Angriff auf den Papst nun vorbereite, und daß es zu den Erwerbungen, die es in der Romagna gemacht, zunächst noch Umbrien und die Marken hinzufügen werde. Jetzt lesen wir, daß es sich zu dem Zweck in Bewegung gesetzt, die Grenze überschritten und sowol in diesem als in jenem Gebiet bereits Erfolge über die Truppen des Papstes davon getragen hat. Wenn nicht Alles trügt, so wird der Feldzug eine Art militärischer Prome¬ nade, Lamoriciöres Heer binnen vierzehn Tagen niedergeworfen, zerstoben, ge¬ fangen sein und die Bevölkerung die Freiheit haben, durch Abstimmung sich zu Unterthanen Victor Eimmuels, Königs von Italien, zu erklären. Napoleon scheint vorläufig zu der Sache schweigen zu wollen. Er ist nach Algier ge¬ gangen, um inzwischen eine vollendete Thatsache reifen zu lassen. Er wird seine Position in Rom behalten und die Zeit abwarten, sie besser zu ver¬ werthen als gegen seine Bischöfe. Oestreich muß geschehn lassen, was es nicht ändern kann. Die alte Karthaune der großen Excommunication, die man vor der Front des Vatican aufzufahren sich anschickt, wird auch nichts än¬ dern. Sie schießt heutzutage nur noch Seifenblasen. Der Grund, den das piemontesische Cabinet für sein Vorgehn anführt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/523>, abgerufen am 30.04.2024.