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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Die Ereignisse im Libanon.

Wieder ist der alte Streit der Parteien im Libanon entbrannt, und wieder
sind es die Christen, welche den Kampf begannen, die französischen Agenten,
welche ihn anschürten. Wenn man aber in den Zeitungen klagt, daß die
Truppen den Drusen gegen die Maroniten geholfen, so ist das ein Mißver¬
ständnis; oder eine Verdrehung der Thatsachen; man würde sich vielmehr wun¬
dern müssen, wenn sie es nickt gethan hätten.

In den sogenannten gemischten Districten. d. h. denen, welche zwischen
den ganz von Maroniten bewohnten, nordöstlich von Beirut gelegnen und den
nur von Drusen bewohnten, südöstlich von dort sich hinziehenden Theilen des
Gebirgs liegen, und wo seit einiger Zeit Drusen und Maroniten, erstere als
Gutsherrn, letztere als Bauern oder Pächter leben, haben sich, von den fran¬
zösischen Lazaristen aufgestachelt, die Christen erhoben und die Drusen ange¬
griffen, um sie zu verjagen. Es kamen Mordthaten, Brandstiftungen und
Plünderungen vor. Die Vertriebnen Drusen holten sich bei ihren Glaubens¬
genossen Hilfe und vergalten Gleiches mit Gleichem. Der Pascha schickte Sol¬
daten unter die kämpfenden Parteien, und diese halfen den Angegriffenen.
Wenn sie dabei mehr gethan, als nöthig, wenn sie die Gelegenheit benutzten
ihren Haß gegen die Giaurs zu kühlen und zugleich ein wenig zu rauben, so
ist zu bedenken, daß man eben in der asiatischen Türkei ist, daß die Truppen
des Paschas zum großen Theil aus Baschibosuks bestanden haben werden,
die von Mannszucht nicht viel wissen, und vor allem, daß die Hauptschuld
an jenen liegt, welche ihnen durch Eröffnung der Feindseligkeiten jene Gelegen¬
heit zur Kundgebung ihrer wilden Natur schufen.

Der Zweck Frankreichs ist bei diesen Machinationen der. zunächst den
Christen in diesen Gegenden der Mittelmeerküste seine Bedeutung als Schutz¬
macht des Katholicismus ins Gedächtniß zu rufen, sie so immer fester an sich
zu ketten und auf diese Weise in ihnen eine verbündete Macht bereit zu haben
für den Tag der Abrechnung, wenn die Türkei getheilt wird. Der Libanon
wird einst eine große Festung für Frankreich sein, wenn die Frage, wem Sy¬
rien und Aegypten gehören soll, auftaucht. Er hat für die Franzosen eine
ähnliche Bedeutung, wie Korfu und Malta für die Engländer. Die Maro¬
niten. fast noch einmal so stark als die Drusen, sind, seit sie den Papst aner¬
kennen, als ein Glied der katholischen Kirche zu betrachten. Sie sehen schon
jetzt im Kaiser von Frankreich ihren Schutzherrn, und sie handeln, wenn sie


Die Ereignisse im Libanon.

Wieder ist der alte Streit der Parteien im Libanon entbrannt, und wieder
sind es die Christen, welche den Kampf begannen, die französischen Agenten,
welche ihn anschürten. Wenn man aber in den Zeitungen klagt, daß die
Truppen den Drusen gegen die Maroniten geholfen, so ist das ein Mißver¬
ständnis; oder eine Verdrehung der Thatsachen; man würde sich vielmehr wun¬
dern müssen, wenn sie es nickt gethan hätten.

In den sogenannten gemischten Districten. d. h. denen, welche zwischen
den ganz von Maroniten bewohnten, nordöstlich von Beirut gelegnen und den
nur von Drusen bewohnten, südöstlich von dort sich hinziehenden Theilen des
Gebirgs liegen, und wo seit einiger Zeit Drusen und Maroniten, erstere als
Gutsherrn, letztere als Bauern oder Pächter leben, haben sich, von den fran¬
zösischen Lazaristen aufgestachelt, die Christen erhoben und die Drusen ange¬
griffen, um sie zu verjagen. Es kamen Mordthaten, Brandstiftungen und
Plünderungen vor. Die Vertriebnen Drusen holten sich bei ihren Glaubens¬
genossen Hilfe und vergalten Gleiches mit Gleichem. Der Pascha schickte Sol¬
daten unter die kämpfenden Parteien, und diese halfen den Angegriffenen.
Wenn sie dabei mehr gethan, als nöthig, wenn sie die Gelegenheit benutzten
ihren Haß gegen die Giaurs zu kühlen und zugleich ein wenig zu rauben, so
ist zu bedenken, daß man eben in der asiatischen Türkei ist, daß die Truppen
des Paschas zum großen Theil aus Baschibosuks bestanden haben werden,
die von Mannszucht nicht viel wissen, und vor allem, daß die Hauptschuld
an jenen liegt, welche ihnen durch Eröffnung der Feindseligkeiten jene Gelegen¬
heit zur Kundgebung ihrer wilden Natur schufen.

Der Zweck Frankreichs ist bei diesen Machinationen der. zunächst den
Christen in diesen Gegenden der Mittelmeerküste seine Bedeutung als Schutz¬
macht des Katholicismus ins Gedächtniß zu rufen, sie so immer fester an sich
zu ketten und auf diese Weise in ihnen eine verbündete Macht bereit zu haben
für den Tag der Abrechnung, wenn die Türkei getheilt wird. Der Libanon
wird einst eine große Festung für Frankreich sein, wenn die Frage, wem Sy¬
rien und Aegypten gehören soll, auftaucht. Er hat für die Franzosen eine
ähnliche Bedeutung, wie Korfu und Malta für die Engländer. Die Maro¬
niten. fast noch einmal so stark als die Drusen, sind, seit sie den Papst aner¬
kennen, als ein Glied der katholischen Kirche zu betrachten. Sie sehen schon
jetzt im Kaiser von Frankreich ihren Schutzherrn, und sie handeln, wenn sie


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[0083] Die Ereignisse im Libanon. Wieder ist der alte Streit der Parteien im Libanon entbrannt, und wieder sind es die Christen, welche den Kampf begannen, die französischen Agenten, welche ihn anschürten. Wenn man aber in den Zeitungen klagt, daß die Truppen den Drusen gegen die Maroniten geholfen, so ist das ein Mißver¬ ständnis; oder eine Verdrehung der Thatsachen; man würde sich vielmehr wun¬ dern müssen, wenn sie es nickt gethan hätten. In den sogenannten gemischten Districten. d. h. denen, welche zwischen den ganz von Maroniten bewohnten, nordöstlich von Beirut gelegnen und den nur von Drusen bewohnten, südöstlich von dort sich hinziehenden Theilen des Gebirgs liegen, und wo seit einiger Zeit Drusen und Maroniten, erstere als Gutsherrn, letztere als Bauern oder Pächter leben, haben sich, von den fran¬ zösischen Lazaristen aufgestachelt, die Christen erhoben und die Drusen ange¬ griffen, um sie zu verjagen. Es kamen Mordthaten, Brandstiftungen und Plünderungen vor. Die Vertriebnen Drusen holten sich bei ihren Glaubens¬ genossen Hilfe und vergalten Gleiches mit Gleichem. Der Pascha schickte Sol¬ daten unter die kämpfenden Parteien, und diese halfen den Angegriffenen. Wenn sie dabei mehr gethan, als nöthig, wenn sie die Gelegenheit benutzten ihren Haß gegen die Giaurs zu kühlen und zugleich ein wenig zu rauben, so ist zu bedenken, daß man eben in der asiatischen Türkei ist, daß die Truppen des Paschas zum großen Theil aus Baschibosuks bestanden haben werden, die von Mannszucht nicht viel wissen, und vor allem, daß die Hauptschuld an jenen liegt, welche ihnen durch Eröffnung der Feindseligkeiten jene Gelegen¬ heit zur Kundgebung ihrer wilden Natur schufen. Der Zweck Frankreichs ist bei diesen Machinationen der. zunächst den Christen in diesen Gegenden der Mittelmeerküste seine Bedeutung als Schutz¬ macht des Katholicismus ins Gedächtniß zu rufen, sie so immer fester an sich zu ketten und auf diese Weise in ihnen eine verbündete Macht bereit zu haben für den Tag der Abrechnung, wenn die Türkei getheilt wird. Der Libanon wird einst eine große Festung für Frankreich sein, wenn die Frage, wem Sy¬ rien und Aegypten gehören soll, auftaucht. Er hat für die Franzosen eine ähnliche Bedeutung, wie Korfu und Malta für die Engländer. Die Maro¬ niten. fast noch einmal so stark als die Drusen, sind, seit sie den Papst aner¬ kennen, als ein Glied der katholischen Kirche zu betrachten. Sie sehen schon jetzt im Kaiser von Frankreich ihren Schutzherrn, und sie handeln, wenn sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/83>, abgerufen am 30.04.2024.