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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Die Leprosen im Mittelalter.

Der größte Theil der jetzigen Generation weiß gar nicht, wie glücklich
wir daran sind, daß es keine Aussätzigen mehr gibt. Nur die Bezeichnungen
Siechenkobel, Siechenstcig, Siechenthor und Leprosenhaus erinnern an manchen
Orten noch an deren ehemalige Existenz. Zu Anfang dieses Jahrhunderts
mögen in Deutschland wol die letzten gestorben sein.

Es ist ein großer Irrthum, wenn behauptet wird, daß man das Er¬
scheinen des Aussatzes (leprs,) den Kreuzzügen zu verdanken habe. Schon
Mone ist in seiner Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, in dem Ka¬
pitel über Krankenpflege vom 13. bis 16. Jahrhundert, dieser Meinung ent¬
gegengetreten. Von den vier Hauptarten dieser Krankheit, dem weißen,
knolligen (Elephantiasis, lexi-g, g.rg.diea.). schorfichten und rothen Aussatze
(lexiÄ aloxöeig,), welcher meist bei Europäern beobachtet wurde, kamen im
Orient mehr oder weniger alle vor. Italien kannte das Uebel schon seit der
Rückkehr des Pompejus aus Asien und unter Trajan und Hadrian heilte der
Ephesier Soranus Aussätzige in Aquitnnien, wie in Kurt Sprengels Versuch
einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde zu lesen ist. Rotharis der
Longobardenkönig war genöthigt, Verordnungen über den Aussatz zu erlassen.
Ja seine Nation wurde im achten Jahrhundert in fränkischen Schriften als
diejenige bezeichnet, welche in großer Masse Fon Aussatze befleckt und für
andere die Quelle der Ansteckung geworden sei. Schon unter König Guntram
.(583) befahl die Synode in Lyon, daß die Bischöfe sich der in ihren Diö-
cesen einheimischen Aussätzigen annehmen, dann für Nahrung und Bekleidung
sorgen sollen, damit das Hcrumschwärnicn derselben aufhöre. In dem Edicte
von Compiögne (757) erlaubte Pipin, obgleich die Kirche anderer Ansicht war,
die Auflösbarkeit der Ehe unter Zustimmung beider Gatten und die Wieder-
verheirathung des geschiedenen Theiles. Zweiunddreißig Jahre später verbot
Karl der Große den Aussätzigen alle Gemeinschaft mit den Gesunden. Papst
Gregor der Zweite verordnete 726, daß die christgläubigen Leprosen nicht
vom Empfang des heiligen Altarsacramentes, wol aber von Gastmählern
mit Gesunden abgehalten werden sollen. Im Jahre 741 erhielt der heilige
Bonifacius von dem Papste Zacharias die Weisung, daß diejenigen, welche
von Geburt oder Familie mit dem Aussatze behaftet seien, gar nicht inner¬
halb einer Stadt geduldet, doch vom Volk ernährt werden sollen. Wer aber
von solcher Krankheit erst später befallen worden sei, der solle vor der Hand
nicht fortziehen, sondern einem Heilungsversuche sich unterwerfen und zur hei-


Die Leprosen im Mittelalter.

Der größte Theil der jetzigen Generation weiß gar nicht, wie glücklich
wir daran sind, daß es keine Aussätzigen mehr gibt. Nur die Bezeichnungen
Siechenkobel, Siechenstcig, Siechenthor und Leprosenhaus erinnern an manchen
Orten noch an deren ehemalige Existenz. Zu Anfang dieses Jahrhunderts
mögen in Deutschland wol die letzten gestorben sein.

Es ist ein großer Irrthum, wenn behauptet wird, daß man das Er¬
scheinen des Aussatzes (leprs,) den Kreuzzügen zu verdanken habe. Schon
Mone ist in seiner Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, in dem Ka¬
pitel über Krankenpflege vom 13. bis 16. Jahrhundert, dieser Meinung ent¬
gegengetreten. Von den vier Hauptarten dieser Krankheit, dem weißen,
knolligen (Elephantiasis, lexi-g, g.rg.diea.). schorfichten und rothen Aussatze
(lexiÄ aloxöeig,), welcher meist bei Europäern beobachtet wurde, kamen im
Orient mehr oder weniger alle vor. Italien kannte das Uebel schon seit der
Rückkehr des Pompejus aus Asien und unter Trajan und Hadrian heilte der
Ephesier Soranus Aussätzige in Aquitnnien, wie in Kurt Sprengels Versuch
einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde zu lesen ist. Rotharis der
Longobardenkönig war genöthigt, Verordnungen über den Aussatz zu erlassen.
Ja seine Nation wurde im achten Jahrhundert in fränkischen Schriften als
diejenige bezeichnet, welche in großer Masse Fon Aussatze befleckt und für
andere die Quelle der Ansteckung geworden sei. Schon unter König Guntram
.(583) befahl die Synode in Lyon, daß die Bischöfe sich der in ihren Diö-
cesen einheimischen Aussätzigen annehmen, dann für Nahrung und Bekleidung
sorgen sollen, damit das Hcrumschwärnicn derselben aufhöre. In dem Edicte
von Compiögne (757) erlaubte Pipin, obgleich die Kirche anderer Ansicht war,
die Auflösbarkeit der Ehe unter Zustimmung beider Gatten und die Wieder-
verheirathung des geschiedenen Theiles. Zweiunddreißig Jahre später verbot
Karl der Große den Aussätzigen alle Gemeinschaft mit den Gesunden. Papst
Gregor der Zweite verordnete 726, daß die christgläubigen Leprosen nicht
vom Empfang des heiligen Altarsacramentes, wol aber von Gastmählern
mit Gesunden abgehalten werden sollen. Im Jahre 741 erhielt der heilige
Bonifacius von dem Papste Zacharias die Weisung, daß diejenigen, welche
von Geburt oder Familie mit dem Aussatze behaftet seien, gar nicht inner¬
halb einer Stadt geduldet, doch vom Volk ernährt werden sollen. Wer aber
von solcher Krankheit erst später befallen worden sei, der solle vor der Hand
nicht fortziehen, sondern einem Heilungsversuche sich unterwerfen und zur hei-


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[0158] Die Leprosen im Mittelalter. Der größte Theil der jetzigen Generation weiß gar nicht, wie glücklich wir daran sind, daß es keine Aussätzigen mehr gibt. Nur die Bezeichnungen Siechenkobel, Siechenstcig, Siechenthor und Leprosenhaus erinnern an manchen Orten noch an deren ehemalige Existenz. Zu Anfang dieses Jahrhunderts mögen in Deutschland wol die letzten gestorben sein. Es ist ein großer Irrthum, wenn behauptet wird, daß man das Er¬ scheinen des Aussatzes (leprs,) den Kreuzzügen zu verdanken habe. Schon Mone ist in seiner Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, in dem Ka¬ pitel über Krankenpflege vom 13. bis 16. Jahrhundert, dieser Meinung ent¬ gegengetreten. Von den vier Hauptarten dieser Krankheit, dem weißen, knolligen (Elephantiasis, lexi-g, g.rg.diea.). schorfichten und rothen Aussatze (lexiÄ aloxöeig,), welcher meist bei Europäern beobachtet wurde, kamen im Orient mehr oder weniger alle vor. Italien kannte das Uebel schon seit der Rückkehr des Pompejus aus Asien und unter Trajan und Hadrian heilte der Ephesier Soranus Aussätzige in Aquitnnien, wie in Kurt Sprengels Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde zu lesen ist. Rotharis der Longobardenkönig war genöthigt, Verordnungen über den Aussatz zu erlassen. Ja seine Nation wurde im achten Jahrhundert in fränkischen Schriften als diejenige bezeichnet, welche in großer Masse Fon Aussatze befleckt und für andere die Quelle der Ansteckung geworden sei. Schon unter König Guntram .(583) befahl die Synode in Lyon, daß die Bischöfe sich der in ihren Diö- cesen einheimischen Aussätzigen annehmen, dann für Nahrung und Bekleidung sorgen sollen, damit das Hcrumschwärnicn derselben aufhöre. In dem Edicte von Compiögne (757) erlaubte Pipin, obgleich die Kirche anderer Ansicht war, die Auflösbarkeit der Ehe unter Zustimmung beider Gatten und die Wieder- verheirathung des geschiedenen Theiles. Zweiunddreißig Jahre später verbot Karl der Große den Aussätzigen alle Gemeinschaft mit den Gesunden. Papst Gregor der Zweite verordnete 726, daß die christgläubigen Leprosen nicht vom Empfang des heiligen Altarsacramentes, wol aber von Gastmählern mit Gesunden abgehalten werden sollen. Im Jahre 741 erhielt der heilige Bonifacius von dem Papste Zacharias die Weisung, daß diejenigen, welche von Geburt oder Familie mit dem Aussatze behaftet seien, gar nicht inner¬ halb einer Stadt geduldet, doch vom Volk ernährt werden sollen. Wer aber von solcher Krankheit erst später befallen worden sei, der solle vor der Hand nicht fortziehen, sondern einem Heilungsversuche sich unterwerfen und zur hei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/158>, abgerufen am 05.05.2024.