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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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ligen Communion erst nach allen Anderen hinzutreten. Diese beiden Verord¬
nungen frischte die im Jahr 868 gehaltene Synode wieder auf. Hieraus er¬
hellt also zur Genüge, daß dieses schreckliche Uebel im ganzen weströmischen
Reiche schon frühe vorhanden war und nicht erst durch Rückkehrende aus Gott¬
fried von Bouillons begeisterten Schaaren nach Deutschland verpflanzt wurde.
Dabei ist wol nicht zu leugnen, daß der vermehrte Verkehr mit den Asiaten
die furchtbare Krankheit steigerte, welche im 13. Jahrhundert wahrscheinlich ihren
Höhenpunkt erreichte, dann daß Pilger und andere fahrende Leute, endlich
wollene .Kleider und Badstuben die Verbreitung derselben sehr beförderten.

Doch konnten jene anbefohlenen Sonderungen nicht wol stattfinden, ohne
daß man ihnen eigene Wohnstätten anwies. Im Abendlande finden sich vor
dem 12. Jahrhundert nur dunkle Spuren solcher Spitäler für Leprofen. So
geht die Sage, daß schon der heilige Otmar in Se. Gallen und die heilige
Ottilia im Elsasse derartige Institute unterhielten. Das Krankenhaus auf
dem Johannisberge im Rheingau bestand nach Mone's Zeitschrift (II. 263)
schon vor 1109, jenes zu Zürich schon vor 1221. Zwischen 1220 und 1230 er¬
richtete der Abt von Se. Gallen ein solches am Linsenbühl. In Lindau er¬
hielten 1261 die Leprosen in Aeschach von der Aebtissin Ligina einen Acker
unter den Eichen geschenkt, dann machten 1268 daselbst die Schwestern eine
Ordnung für die Siechen. Die Brüder Conrad und Heinrich Zart in Regens¬
burg stifteten 1296 das Siechen Haus zu Se. Lazarus auf der Sandgrube,
nun Eigenthum des Chemikers Deißböck. Die "arnren Sondersiechcn" auf
dem Gasteige bei München erhielten 1293 von Ulrich Eisenmann, einem
Münchner Bürger, einen Hos bei Trudering geschenkt, und im Jahre 1370 er¬
scheint in Schorer's Chronik von Memmingen ein Siechenpfleger.

Um sich über die Lepra zu belehren, lese man das im Jahre 1858 von
C. F. Hecker, Professor zu Freiburg im Breisgau, mit fünf lithographirten
Tafeln herausgegebene Werk. Diese Abbildungen geben einen Begriff von
den entsetzlichen Wirkungen dieser Krankheit.

Die liebevolle Sorge für diese Unglücklichen ist in Wahrheit eine der
wenigen Lichtseiten des Mittelalters. Das Evangelium lehrte in jenen Aerm-
sten unter den Armen Christus den Herrn selber zu verpflegen. Darum hütete
man sich voll zarten Sinnes, auch nur in Worten gegen die von Gottes
Hand so schwer Getroffenen hart zu scheinen. Man nannte sie die armen
Aussätzigen, die Sondersiechen oder die "Malzigen." Man sah damals Für¬
sten und Edle, man sah ganze Ritterorden, Verbindungen von barmherzigen
Brüdern, und Schwestern, Unzählige aus dem Ordensstande wie aus allen
Abstufungen des Bürgerthums wetteifern in Liebe und Hingebung, wozu man
an einem Franz von Assisi, einem König Ludwig von Frankreich, an der
edlen Landgräfin Elisabeth von Thüringen leuchtende Vorbilder hatte. Letz-


ligen Communion erst nach allen Anderen hinzutreten. Diese beiden Verord¬
nungen frischte die im Jahr 868 gehaltene Synode wieder auf. Hieraus er¬
hellt also zur Genüge, daß dieses schreckliche Uebel im ganzen weströmischen
Reiche schon frühe vorhanden war und nicht erst durch Rückkehrende aus Gott¬
fried von Bouillons begeisterten Schaaren nach Deutschland verpflanzt wurde.
Dabei ist wol nicht zu leugnen, daß der vermehrte Verkehr mit den Asiaten
die furchtbare Krankheit steigerte, welche im 13. Jahrhundert wahrscheinlich ihren
Höhenpunkt erreichte, dann daß Pilger und andere fahrende Leute, endlich
wollene .Kleider und Badstuben die Verbreitung derselben sehr beförderten.

Doch konnten jene anbefohlenen Sonderungen nicht wol stattfinden, ohne
daß man ihnen eigene Wohnstätten anwies. Im Abendlande finden sich vor
dem 12. Jahrhundert nur dunkle Spuren solcher Spitäler für Leprofen. So
geht die Sage, daß schon der heilige Otmar in Se. Gallen und die heilige
Ottilia im Elsasse derartige Institute unterhielten. Das Krankenhaus auf
dem Johannisberge im Rheingau bestand nach Mone's Zeitschrift (II. 263)
schon vor 1109, jenes zu Zürich schon vor 1221. Zwischen 1220 und 1230 er¬
richtete der Abt von Se. Gallen ein solches am Linsenbühl. In Lindau er¬
hielten 1261 die Leprosen in Aeschach von der Aebtissin Ligina einen Acker
unter den Eichen geschenkt, dann machten 1268 daselbst die Schwestern eine
Ordnung für die Siechen. Die Brüder Conrad und Heinrich Zart in Regens¬
burg stifteten 1296 das Siechen Haus zu Se. Lazarus auf der Sandgrube,
nun Eigenthum des Chemikers Deißböck. Die „arnren Sondersiechcn" auf
dem Gasteige bei München erhielten 1293 von Ulrich Eisenmann, einem
Münchner Bürger, einen Hos bei Trudering geschenkt, und im Jahre 1370 er¬
scheint in Schorer's Chronik von Memmingen ein Siechenpfleger.

Um sich über die Lepra zu belehren, lese man das im Jahre 1858 von
C. F. Hecker, Professor zu Freiburg im Breisgau, mit fünf lithographirten
Tafeln herausgegebene Werk. Diese Abbildungen geben einen Begriff von
den entsetzlichen Wirkungen dieser Krankheit.

Die liebevolle Sorge für diese Unglücklichen ist in Wahrheit eine der
wenigen Lichtseiten des Mittelalters. Das Evangelium lehrte in jenen Aerm-
sten unter den Armen Christus den Herrn selber zu verpflegen. Darum hütete
man sich voll zarten Sinnes, auch nur in Worten gegen die von Gottes
Hand so schwer Getroffenen hart zu scheinen. Man nannte sie die armen
Aussätzigen, die Sondersiechen oder die „Malzigen." Man sah damals Für¬
sten und Edle, man sah ganze Ritterorden, Verbindungen von barmherzigen
Brüdern, und Schwestern, Unzählige aus dem Ordensstande wie aus allen
Abstufungen des Bürgerthums wetteifern in Liebe und Hingebung, wozu man
an einem Franz von Assisi, einem König Ludwig von Frankreich, an der
edlen Landgräfin Elisabeth von Thüringen leuchtende Vorbilder hatte. Letz-


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[0159] ligen Communion erst nach allen Anderen hinzutreten. Diese beiden Verord¬ nungen frischte die im Jahr 868 gehaltene Synode wieder auf. Hieraus er¬ hellt also zur Genüge, daß dieses schreckliche Uebel im ganzen weströmischen Reiche schon frühe vorhanden war und nicht erst durch Rückkehrende aus Gott¬ fried von Bouillons begeisterten Schaaren nach Deutschland verpflanzt wurde. Dabei ist wol nicht zu leugnen, daß der vermehrte Verkehr mit den Asiaten die furchtbare Krankheit steigerte, welche im 13. Jahrhundert wahrscheinlich ihren Höhenpunkt erreichte, dann daß Pilger und andere fahrende Leute, endlich wollene .Kleider und Badstuben die Verbreitung derselben sehr beförderten. Doch konnten jene anbefohlenen Sonderungen nicht wol stattfinden, ohne daß man ihnen eigene Wohnstätten anwies. Im Abendlande finden sich vor dem 12. Jahrhundert nur dunkle Spuren solcher Spitäler für Leprofen. So geht die Sage, daß schon der heilige Otmar in Se. Gallen und die heilige Ottilia im Elsasse derartige Institute unterhielten. Das Krankenhaus auf dem Johannisberge im Rheingau bestand nach Mone's Zeitschrift (II. 263) schon vor 1109, jenes zu Zürich schon vor 1221. Zwischen 1220 und 1230 er¬ richtete der Abt von Se. Gallen ein solches am Linsenbühl. In Lindau er¬ hielten 1261 die Leprosen in Aeschach von der Aebtissin Ligina einen Acker unter den Eichen geschenkt, dann machten 1268 daselbst die Schwestern eine Ordnung für die Siechen. Die Brüder Conrad und Heinrich Zart in Regens¬ burg stifteten 1296 das Siechen Haus zu Se. Lazarus auf der Sandgrube, nun Eigenthum des Chemikers Deißböck. Die „arnren Sondersiechcn" auf dem Gasteige bei München erhielten 1293 von Ulrich Eisenmann, einem Münchner Bürger, einen Hos bei Trudering geschenkt, und im Jahre 1370 er¬ scheint in Schorer's Chronik von Memmingen ein Siechenpfleger. Um sich über die Lepra zu belehren, lese man das im Jahre 1858 von C. F. Hecker, Professor zu Freiburg im Breisgau, mit fünf lithographirten Tafeln herausgegebene Werk. Diese Abbildungen geben einen Begriff von den entsetzlichen Wirkungen dieser Krankheit. Die liebevolle Sorge für diese Unglücklichen ist in Wahrheit eine der wenigen Lichtseiten des Mittelalters. Das Evangelium lehrte in jenen Aerm- sten unter den Armen Christus den Herrn selber zu verpflegen. Darum hütete man sich voll zarten Sinnes, auch nur in Worten gegen die von Gottes Hand so schwer Getroffenen hart zu scheinen. Man nannte sie die armen Aussätzigen, die Sondersiechen oder die „Malzigen." Man sah damals Für¬ sten und Edle, man sah ganze Ritterorden, Verbindungen von barmherzigen Brüdern, und Schwestern, Unzählige aus dem Ordensstande wie aus allen Abstufungen des Bürgerthums wetteifern in Liebe und Hingebung, wozu man an einem Franz von Assisi, einem König Ludwig von Frankreich, an der edlen Landgräfin Elisabeth von Thüringen leuchtende Vorbilder hatte. Letz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/159>, abgerufen am 24.05.2024.