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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Die Schützenfeste in Südtirol.

Unsere tiroler Liberalen sind Heißsporne, daran ist kein Zweifel. Statt
ruhig der Zeit zuwarten, wo unsre Glaubensapostel zur Vernunft kommen
oder sich abgenützt haben, das tiroler Volk sich selbst emancipirt von ihrer
Zuchtruthe, und das Vergißmeinnicht der Glaubenseinheit nicht mehr bei die-
sem sentimentalen, sondern bei seinem botanischen Namen nennt, statt zu be¬
greifen, daß die Regierung dem Jesuitismus und allen seinen Werken abgeschwo¬
ren, von Herzensgrund liberal, aber klug ist wie ein Philosoph, der in den Ster¬
nen der Zukunft liest, kurz statt auf der Höhe der Zeit und der kalten Politik
zu stehen, will man im Sturmschritt vorwärts. Die Negierung aber muß
Allen gerecht sein, über den Parteien schweben, das ist der oberste constitutionelle
Grundsatz. Das treu bewahrte Geheimniß ihres Liberalismus verstattet ihr
nicht, dem ungezogenen Treiben der Propheten der Finsterniß Halt zu gebieten,
ihr Unwille trifft nur jene, die jenes Geheimniß unbescheiden und vorlaut
brechen; der Schwachen und Wartenden ist nicht zu achten, eine Umkehr
ohnedies unmöglich. Wir halten fest aus Ritterwort, und schreiben das:
limmi soll <M mal pens", auf unsere Fahne, selbst wenn die That hin¬
ter unseren Hoffnungen bliebe.

Was zu diesen Bemerkungen veranlaßt, ist die kaum zu verkennende
Scheu, womit man sich beim ersten offenen Worte, das sich für die Gewissens¬
freiheit in Tirol erhob, auf neutralen Boden zurückzog. Der Staatsminister
hatte in seinem Erlasse vom Is. Juni 1861 das Protestantengesetz als die
Erfüllung eines völkerrechtlichen Vertrags, der deutschen Bundesacte, hinge¬
stellt, er hatte sich in der darauf folgenden Sitzung vom 19. Juni vor dem
Reichsrathe für dessen Aufrechterhaltung in so lange erklärt, bis im verfassungs¬
mäßigen Wege eine Abänderung eintrete, es steht also bei uns in voller
Wirkung, und !hat die Sanction des kaiserlichen Wortes. Wir vertrauen
demselben unbedingt, denn unsre Constitution ist das Endergebniß einer zwölf¬
jährigen Erfahrung, und constitutionelle Freiheit nicht denkbar ohne Freiheit
des Gewissens. Warum die Minister des Kaisers dessenungeachtet noch
freundlich thun mit der rebellischen alten Garde der Finsterlinge, warum sie
noch immer anstehen der gleißenden Schlange den Kopf zu zertreten, warum
sie namentlich in Tirol, wo ihr Same am üppigsten aufschoß, noch zärtliche
BliÄe mit ihr wechseln, ist nicht zu begreifen. Die Weisen des ^ufte milisu
antworten uns, die himmlische Geduld, die man der polternden Pfaffengesell¬
schaft gegenüber an den Tag legt, sei nur die Gestattung gleicher Freiheit,


Grenzboten I. 1362, 18
Die Schützenfeste in Südtirol.

Unsere tiroler Liberalen sind Heißsporne, daran ist kein Zweifel. Statt
ruhig der Zeit zuwarten, wo unsre Glaubensapostel zur Vernunft kommen
oder sich abgenützt haben, das tiroler Volk sich selbst emancipirt von ihrer
Zuchtruthe, und das Vergißmeinnicht der Glaubenseinheit nicht mehr bei die-
sem sentimentalen, sondern bei seinem botanischen Namen nennt, statt zu be¬
greifen, daß die Regierung dem Jesuitismus und allen seinen Werken abgeschwo¬
ren, von Herzensgrund liberal, aber klug ist wie ein Philosoph, der in den Ster¬
nen der Zukunft liest, kurz statt auf der Höhe der Zeit und der kalten Politik
zu stehen, will man im Sturmschritt vorwärts. Die Negierung aber muß
Allen gerecht sein, über den Parteien schweben, das ist der oberste constitutionelle
Grundsatz. Das treu bewahrte Geheimniß ihres Liberalismus verstattet ihr
nicht, dem ungezogenen Treiben der Propheten der Finsterniß Halt zu gebieten,
ihr Unwille trifft nur jene, die jenes Geheimniß unbescheiden und vorlaut
brechen; der Schwachen und Wartenden ist nicht zu achten, eine Umkehr
ohnedies unmöglich. Wir halten fest aus Ritterwort, und schreiben das:
limmi soll <M mal pens«, auf unsere Fahne, selbst wenn die That hin¬
ter unseren Hoffnungen bliebe.

Was zu diesen Bemerkungen veranlaßt, ist die kaum zu verkennende
Scheu, womit man sich beim ersten offenen Worte, das sich für die Gewissens¬
freiheit in Tirol erhob, auf neutralen Boden zurückzog. Der Staatsminister
hatte in seinem Erlasse vom Is. Juni 1861 das Protestantengesetz als die
Erfüllung eines völkerrechtlichen Vertrags, der deutschen Bundesacte, hinge¬
stellt, er hatte sich in der darauf folgenden Sitzung vom 19. Juni vor dem
Reichsrathe für dessen Aufrechterhaltung in so lange erklärt, bis im verfassungs¬
mäßigen Wege eine Abänderung eintrete, es steht also bei uns in voller
Wirkung, und !hat die Sanction des kaiserlichen Wortes. Wir vertrauen
demselben unbedingt, denn unsre Constitution ist das Endergebniß einer zwölf¬
jährigen Erfahrung, und constitutionelle Freiheit nicht denkbar ohne Freiheit
des Gewissens. Warum die Minister des Kaisers dessenungeachtet noch
freundlich thun mit der rebellischen alten Garde der Finsterlinge, warum sie
noch immer anstehen der gleißenden Schlange den Kopf zu zertreten, warum
sie namentlich in Tirol, wo ihr Same am üppigsten aufschoß, noch zärtliche
BliÄe mit ihr wechseln, ist nicht zu begreifen. Die Weisen des ^ufte milisu
antworten uns, die himmlische Geduld, die man der polternden Pfaffengesell¬
schaft gegenüber an den Tag legt, sei nur die Gestattung gleicher Freiheit,


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[0145] Die Schützenfeste in Südtirol. Unsere tiroler Liberalen sind Heißsporne, daran ist kein Zweifel. Statt ruhig der Zeit zuwarten, wo unsre Glaubensapostel zur Vernunft kommen oder sich abgenützt haben, das tiroler Volk sich selbst emancipirt von ihrer Zuchtruthe, und das Vergißmeinnicht der Glaubenseinheit nicht mehr bei die- sem sentimentalen, sondern bei seinem botanischen Namen nennt, statt zu be¬ greifen, daß die Regierung dem Jesuitismus und allen seinen Werken abgeschwo¬ ren, von Herzensgrund liberal, aber klug ist wie ein Philosoph, der in den Ster¬ nen der Zukunft liest, kurz statt auf der Höhe der Zeit und der kalten Politik zu stehen, will man im Sturmschritt vorwärts. Die Negierung aber muß Allen gerecht sein, über den Parteien schweben, das ist der oberste constitutionelle Grundsatz. Das treu bewahrte Geheimniß ihres Liberalismus verstattet ihr nicht, dem ungezogenen Treiben der Propheten der Finsterniß Halt zu gebieten, ihr Unwille trifft nur jene, die jenes Geheimniß unbescheiden und vorlaut brechen; der Schwachen und Wartenden ist nicht zu achten, eine Umkehr ohnedies unmöglich. Wir halten fest aus Ritterwort, und schreiben das: limmi soll <M mal pens«, auf unsere Fahne, selbst wenn die That hin¬ ter unseren Hoffnungen bliebe. Was zu diesen Bemerkungen veranlaßt, ist die kaum zu verkennende Scheu, womit man sich beim ersten offenen Worte, das sich für die Gewissens¬ freiheit in Tirol erhob, auf neutralen Boden zurückzog. Der Staatsminister hatte in seinem Erlasse vom Is. Juni 1861 das Protestantengesetz als die Erfüllung eines völkerrechtlichen Vertrags, der deutschen Bundesacte, hinge¬ stellt, er hatte sich in der darauf folgenden Sitzung vom 19. Juni vor dem Reichsrathe für dessen Aufrechterhaltung in so lange erklärt, bis im verfassungs¬ mäßigen Wege eine Abänderung eintrete, es steht also bei uns in voller Wirkung, und !hat die Sanction des kaiserlichen Wortes. Wir vertrauen demselben unbedingt, denn unsre Constitution ist das Endergebniß einer zwölf¬ jährigen Erfahrung, und constitutionelle Freiheit nicht denkbar ohne Freiheit des Gewissens. Warum die Minister des Kaisers dessenungeachtet noch freundlich thun mit der rebellischen alten Garde der Finsterlinge, warum sie noch immer anstehen der gleißenden Schlange den Kopf zu zertreten, warum sie namentlich in Tirol, wo ihr Same am üppigsten aufschoß, noch zärtliche BliÄe mit ihr wechseln, ist nicht zu begreifen. Die Weisen des ^ufte milisu antworten uns, die himmlische Geduld, die man der polternden Pfaffengesell¬ schaft gegenüber an den Tag legt, sei nur die Gestattung gleicher Freiheit, Grenzboten I. 1362, 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/145>, abgerufen am 28.04.2024.