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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Berliner Brief.

Die Thronrede begann mit einer Erinnerung an den Ernst der Zeit.
Die Mitglieder des Landtags erkannten dies an. indem sie die Rede schwei¬
gend anhörten. Aber wo liegt der Ernst dieser Zeit? In den äußeren Ver¬
hältnissen offenbar nicht. Denn wenn es auch an mancherlei Verwicklungen
in Europa nicht fehlt, so wird doch aller menschlichen Voraussicht nach das
gegenwärtige Jahr ein Friedensjahr sein. Vielmehr entspringt der Ernst der
Lage aus der Spannung unserer inneren Verhältnisse. Die Regierung stellt
in Betreff der Armeeorganisation eine Forderung, welche das Land für über¬
trieb, n halt; die Regierung will aus der Bewilligung dieser Forderung eine
Cabinetsfrage machen; das Land will die Forderung nicht gern bewilligen,
wenigstens nicht vollständig, und will doch zugleich womöglich die gegen¬
wärtige Regierung behalten. Die Regierung ihrerseits erstrebt aufrichtig die
zum Ausbau unserer Verfassung erforderlichen geschlichen Reformen. Aber sie
rückt damit nicht von der Stelle. Denn der eine Factor der Gesetzgebung
stemmt sich mit der größten Hartnäckigkeit jeder wünschenswerthen Reform
entgegen. Die Folge ist. daß die Regierung gelähmt und die Gesetzgebung
vollständig gehemmt wird. . Alle liberalen Reformen scheitern om Herrenhaus;
und die Armeereform, auf welche das Land ungern eingeht, ist dem Herren¬
haus erwünscht. Dies ist ein neuer Grund, gerade diese Nesorni im Lande
noch unpopulärer zu machen.

Wenn also unsere Lage ernst und schwierig ist, so liegt die Ursache im
Herrenhaus. Das Abgeordnetenhaus wird der Regierung keine großen
Schwierigkeiten bereiten. Was man bis jetzt von den in Aussicht stehenden
Vorlagen des Ministeriums vernimmt -- Kreisvrdnnng, Aufhebung der guts¬
herrlichen Polizei, Gesetz über die Ministervrrantwonlichkcit, Reform der
Oberrechnungskammer -- das Alles darf im Abgeordnetenhaus auf ein will¬
fähriges Entgegenkommen rechnen. Von einzelnen Seiten werden wohl
Wünsche laut werden, die etwas weiter gehen, als die Regierung folgen
möchte. Aber es wird nie schwer werden, sich über ein billiges Maaß zu
verständigen. Selbst die Militärvvrlage ist nicht eine so gefährliche Klippe,
daß das EinVerständniß zwischen Negierung und Abgeordnetenhaus unbedingt
daran scheitern müßte. Wenn ein Mann, der so weit rechts gebt wie Kühne,
zugesteht, daß die Forderung der Negierung als dauerndes Friedensbudget
das Land zu stark belasten würde, und wenn andererseits ein Mann, der so
weit links geht wie Tochter, die Armeereform im Princip als nothwendig


Berliner Brief.

Die Thronrede begann mit einer Erinnerung an den Ernst der Zeit.
Die Mitglieder des Landtags erkannten dies an. indem sie die Rede schwei¬
gend anhörten. Aber wo liegt der Ernst dieser Zeit? In den äußeren Ver¬
hältnissen offenbar nicht. Denn wenn es auch an mancherlei Verwicklungen
in Europa nicht fehlt, so wird doch aller menschlichen Voraussicht nach das
gegenwärtige Jahr ein Friedensjahr sein. Vielmehr entspringt der Ernst der
Lage aus der Spannung unserer inneren Verhältnisse. Die Regierung stellt
in Betreff der Armeeorganisation eine Forderung, welche das Land für über¬
trieb, n halt; die Regierung will aus der Bewilligung dieser Forderung eine
Cabinetsfrage machen; das Land will die Forderung nicht gern bewilligen,
wenigstens nicht vollständig, und will doch zugleich womöglich die gegen¬
wärtige Regierung behalten. Die Regierung ihrerseits erstrebt aufrichtig die
zum Ausbau unserer Verfassung erforderlichen geschlichen Reformen. Aber sie
rückt damit nicht von der Stelle. Denn der eine Factor der Gesetzgebung
stemmt sich mit der größten Hartnäckigkeit jeder wünschenswerthen Reform
entgegen. Die Folge ist. daß die Regierung gelähmt und die Gesetzgebung
vollständig gehemmt wird. . Alle liberalen Reformen scheitern om Herrenhaus;
und die Armeereform, auf welche das Land ungern eingeht, ist dem Herren¬
haus erwünscht. Dies ist ein neuer Grund, gerade diese Nesorni im Lande
noch unpopulärer zu machen.

Wenn also unsere Lage ernst und schwierig ist, so liegt die Ursache im
Herrenhaus. Das Abgeordnetenhaus wird der Regierung keine großen
Schwierigkeiten bereiten. Was man bis jetzt von den in Aussicht stehenden
Vorlagen des Ministeriums vernimmt — Kreisvrdnnng, Aufhebung der guts¬
herrlichen Polizei, Gesetz über die Ministervrrantwonlichkcit, Reform der
Oberrechnungskammer — das Alles darf im Abgeordnetenhaus auf ein will¬
fähriges Entgegenkommen rechnen. Von einzelnen Seiten werden wohl
Wünsche laut werden, die etwas weiter gehen, als die Regierung folgen
möchte. Aber es wird nie schwer werden, sich über ein billiges Maaß zu
verständigen. Selbst die Militärvvrlage ist nicht eine so gefährliche Klippe,
daß das EinVerständniß zwischen Negierung und Abgeordnetenhaus unbedingt
daran scheitern müßte. Wenn ein Mann, der so weit rechts gebt wie Kühne,
zugesteht, daß die Forderung der Negierung als dauerndes Friedensbudget
das Land zu stark belasten würde, und wenn andererseits ein Mann, der so
weit links geht wie Tochter, die Armeereform im Princip als nothwendig


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[0197] Berliner Brief. Die Thronrede begann mit einer Erinnerung an den Ernst der Zeit. Die Mitglieder des Landtags erkannten dies an. indem sie die Rede schwei¬ gend anhörten. Aber wo liegt der Ernst dieser Zeit? In den äußeren Ver¬ hältnissen offenbar nicht. Denn wenn es auch an mancherlei Verwicklungen in Europa nicht fehlt, so wird doch aller menschlichen Voraussicht nach das gegenwärtige Jahr ein Friedensjahr sein. Vielmehr entspringt der Ernst der Lage aus der Spannung unserer inneren Verhältnisse. Die Regierung stellt in Betreff der Armeeorganisation eine Forderung, welche das Land für über¬ trieb, n halt; die Regierung will aus der Bewilligung dieser Forderung eine Cabinetsfrage machen; das Land will die Forderung nicht gern bewilligen, wenigstens nicht vollständig, und will doch zugleich womöglich die gegen¬ wärtige Regierung behalten. Die Regierung ihrerseits erstrebt aufrichtig die zum Ausbau unserer Verfassung erforderlichen geschlichen Reformen. Aber sie rückt damit nicht von der Stelle. Denn der eine Factor der Gesetzgebung stemmt sich mit der größten Hartnäckigkeit jeder wünschenswerthen Reform entgegen. Die Folge ist. daß die Regierung gelähmt und die Gesetzgebung vollständig gehemmt wird. . Alle liberalen Reformen scheitern om Herrenhaus; und die Armeereform, auf welche das Land ungern eingeht, ist dem Herren¬ haus erwünscht. Dies ist ein neuer Grund, gerade diese Nesorni im Lande noch unpopulärer zu machen. Wenn also unsere Lage ernst und schwierig ist, so liegt die Ursache im Herrenhaus. Das Abgeordnetenhaus wird der Regierung keine großen Schwierigkeiten bereiten. Was man bis jetzt von den in Aussicht stehenden Vorlagen des Ministeriums vernimmt — Kreisvrdnnng, Aufhebung der guts¬ herrlichen Polizei, Gesetz über die Ministervrrantwonlichkcit, Reform der Oberrechnungskammer — das Alles darf im Abgeordnetenhaus auf ein will¬ fähriges Entgegenkommen rechnen. Von einzelnen Seiten werden wohl Wünsche laut werden, die etwas weiter gehen, als die Regierung folgen möchte. Aber es wird nie schwer werden, sich über ein billiges Maaß zu verständigen. Selbst die Militärvvrlage ist nicht eine so gefährliche Klippe, daß das EinVerständniß zwischen Negierung und Abgeordnetenhaus unbedingt daran scheitern müßte. Wenn ein Mann, der so weit rechts gebt wie Kühne, zugesteht, daß die Forderung der Negierung als dauerndes Friedensbudget das Land zu stark belasten würde, und wenn andererseits ein Mann, der so weit links geht wie Tochter, die Armeereform im Princip als nothwendig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/197>, abgerufen am 28.04.2024.