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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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anerkennt, so muß bei einigem guten Willen sich eine Linie finden lassen,
auf der die entgegengesetzten Ansichten sich vereinigen können.

Aber, so ist der stete Refrain, den man aus allen Kreisen hcraustönen
l?ort, wir können es nicht verantworten, dem Lande eine so schwere Last auf¬
zubürden, wenn nicht zu gleicher Zeit wenigstens die Reformen der Gesetz¬
gebung in liberaler Richtung durchgeführt werden. Dafür aber ist keine Aus¬
sicht vorhanden, so lange das gegenwärtige Herrenhaus besteht. Was nützt
es uns. daß die Regierung "den Ausbau unserer Verfassung vor Augen hat,"
daß sie die nothwendigen Reformen "nicht zurückhält?" Mit diesem contem-
plativen und passiven Verhalten ist es nicht genug. Wenn die Regierung
es fortwährend ruhig ansieht, wie Jahr für Jahr alle Gesetzentwürfe im
Herrenhaus abgeschlachtet werden, so muß sie auch im Abgeordnetenhaus den
festen Boden verlieren. Man will wenigstens erst sehen, daß die Regierung
entschlossen ist, zur Durchführung der beabsichtigten Reformen Hand anzu¬
legen. Aber davon ist nichts zu erkennen. Die Thronrede schweigt gänzlich
über diesen Punkt. Die Aeußerungen, die sonst von ministerieller Seite fal¬
len, stellen es vollends außer Zweifel, daß für jetzt an.eine Reform des Her¬
renhauses gar nicht gedacht wird.

Also soll die gegenwärtige Session sich wieder resultatlos hinschleppen?
Eine andere Aussicht sehen wir nicht vor uns. Nun transpirirt freilich aus
ministeriellen Kreisen folgende Auffassung: Die Minister hätten die schwere
Verpflichtung, das Abgeordnetenhaus für das Militärbudget zu gewinnen,
nicht auf sich nehmen können, ohne sich von dem König die Zusicherung ge¬
ben zu lassen, daß dann die dein Lande verheißenen Reformen an keinem
Widerstände des Herrenhauses scheitern dürften. Es wird daher versichert,
daß für den Fall der Annahme des Kriegsbudgets das Herrenhaus nicht
wagen werde, den Reformen, die das Land sür die übernommene Last ent¬
schädigen sollen. Widerstand zu leisten, und daß. wenn es dies doch thun
sollte, der König sich keinen Augenblick weiter besinnen werde, von der Prä-
rogative Gebrauch zu machen, welche ihn in den Stand setzt, den Wider¬
stand des Hauses in jedem Augenblick zu brechen. Das ließe sich schon hö¬
ren, wenn es' möglich wäre, eine solche Versicherung in einer irgendwie bin¬
denden Form zu geben. Da dies nickt möglich ist, so wird das Abgeord¬
netenhaus es nicht verantworten können, ein solches herumgeflüstertcs on an
zur Grundlage seiner Bewilligungen zu machen. Lieber wird es abwarten
wollen, wie nach dem ersten ablehnenden Votum des Herrenhauses die Sache
weiter verläuft. Das ist um so leichter, weil die Abstimmung über das Bud¬
get ohnehin immer gegen das Ende der Session sällt. Freilich wird die Militär¬
frage noch in einer anderen Gestalt, als in dem Budget, vor dasAbgcordnetenhaus
kommen. Die Durchführung der Armeereform macht eine Abänderung des Ge-


anerkennt, so muß bei einigem guten Willen sich eine Linie finden lassen,
auf der die entgegengesetzten Ansichten sich vereinigen können.

Aber, so ist der stete Refrain, den man aus allen Kreisen hcraustönen
l?ort, wir können es nicht verantworten, dem Lande eine so schwere Last auf¬
zubürden, wenn nicht zu gleicher Zeit wenigstens die Reformen der Gesetz¬
gebung in liberaler Richtung durchgeführt werden. Dafür aber ist keine Aus¬
sicht vorhanden, so lange das gegenwärtige Herrenhaus besteht. Was nützt
es uns. daß die Regierung „den Ausbau unserer Verfassung vor Augen hat,"
daß sie die nothwendigen Reformen „nicht zurückhält?" Mit diesem contem-
plativen und passiven Verhalten ist es nicht genug. Wenn die Regierung
es fortwährend ruhig ansieht, wie Jahr für Jahr alle Gesetzentwürfe im
Herrenhaus abgeschlachtet werden, so muß sie auch im Abgeordnetenhaus den
festen Boden verlieren. Man will wenigstens erst sehen, daß die Regierung
entschlossen ist, zur Durchführung der beabsichtigten Reformen Hand anzu¬
legen. Aber davon ist nichts zu erkennen. Die Thronrede schweigt gänzlich
über diesen Punkt. Die Aeußerungen, die sonst von ministerieller Seite fal¬
len, stellen es vollends außer Zweifel, daß für jetzt an.eine Reform des Her¬
renhauses gar nicht gedacht wird.

Also soll die gegenwärtige Session sich wieder resultatlos hinschleppen?
Eine andere Aussicht sehen wir nicht vor uns. Nun transpirirt freilich aus
ministeriellen Kreisen folgende Auffassung: Die Minister hätten die schwere
Verpflichtung, das Abgeordnetenhaus für das Militärbudget zu gewinnen,
nicht auf sich nehmen können, ohne sich von dem König die Zusicherung ge¬
ben zu lassen, daß dann die dein Lande verheißenen Reformen an keinem
Widerstände des Herrenhauses scheitern dürften. Es wird daher versichert,
daß für den Fall der Annahme des Kriegsbudgets das Herrenhaus nicht
wagen werde, den Reformen, die das Land sür die übernommene Last ent¬
schädigen sollen. Widerstand zu leisten, und daß. wenn es dies doch thun
sollte, der König sich keinen Augenblick weiter besinnen werde, von der Prä-
rogative Gebrauch zu machen, welche ihn in den Stand setzt, den Wider¬
stand des Hauses in jedem Augenblick zu brechen. Das ließe sich schon hö¬
ren, wenn es' möglich wäre, eine solche Versicherung in einer irgendwie bin¬
denden Form zu geben. Da dies nickt möglich ist, so wird das Abgeord¬
netenhaus es nicht verantworten können, ein solches herumgeflüstertcs on an
zur Grundlage seiner Bewilligungen zu machen. Lieber wird es abwarten
wollen, wie nach dem ersten ablehnenden Votum des Herrenhauses die Sache
weiter verläuft. Das ist um so leichter, weil die Abstimmung über das Bud¬
get ohnehin immer gegen das Ende der Session sällt. Freilich wird die Militär¬
frage noch in einer anderen Gestalt, als in dem Budget, vor dasAbgcordnetenhaus
kommen. Die Durchführung der Armeereform macht eine Abänderung des Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/198>, abgerufen am 12.05.2024.