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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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das Bild des Wolfes mit einem Schaf im Rachen als Helmschmuck. Als dem
alten Wolf das Gebiß ausgebrochen war, und er gegen Handgelöbniß auf
seiner Beste saß. im engen Gewahrsam. da begann er selbst um seine Rinder
und Schafe zu sorgen, er war thatsächlich bereits ein moderner Gutsbesitzer
geworden, der den Ertrag seiner Aecker steigerte und die Gesellschaft kluger und
unterrichteter Leute suchte. Aber auf den Abenteuern seiner Reiterzeit lag ihm
noch ein verklärender Schein, und wir dürfen annehmen, daß er einem jungem
Geschlecht, das unter ganz veränderten Culturverhältnissen heranwuchs, gern
von seinen nächtlichen Ritten erzählte, und wie wacker und unbändig er sich
mit aller Welt gerauft hatte.

Und wie er selbst, so sahen seine Standesgenossen bis in das nächste
Jahrhundert herein ihr ganzes Leben in zweifachen Lichte. Sie waren in
Wirklichkeit sämmtlich auf dem Wege Gutsbesitzer zu werden. Was' sie
durch Beute und Reiterzüge etwa noch einmal erwerben konnten, war we¬
niger, als was sie dabei auf das Spiel setzten. Sie standen bereits als Grund¬
eigenthümer in sehr modernen Fehden, in Processen um Mein und Dein beim
Kammergericht oder vor den Gerichten ihres Landesherrn, sie fanden in ihren
Gemeinden bereits eine Autorität, welche sie in ganz anderer Weise zu berück¬
sichtigen hatten, als im Anfange des Jahrhunderts. Denn an die Stelle der ar¬
men und rohen Dorfpfaffen waren bei jeder Partei der Kirche Geistliche ge¬
treten, welche höhere Bildung besaßen und größere Ansprüche machten. Auch
die Junker hatten zu besorgen, daß der Geistliche ihnen in das Gewissen sprach und
auffallende Verstöße ihres Lebens an heiliger Stätte vor den Ohren ihrer
Bauern verurtheilte. Ja unter ihren Bauern waren solche nicht mehr selten,
welche lasen und schrieben, einen kleinen geistlichen Tractat studirten und
über den Glauben ihres Herrn ernsthafte Betrachtungen anstellten. Die Edel¬
leute selbst waren durch die große Aufregung der Reformationszeit gezwungen
worden, weit andere Nachrichten mit Interesse zu hören, als die, daß ein
Sammtballen von Nürnberg oder Pfeffersäcke von Augsburg unterwegs seien,
sie selbst hatten leidenschaftlich Partei genommen für und gegen Luther, für
und gegen die Nonnen, für und gegen den Kaiser, sie hatten sich um die Lehre
vom Abendmahle gekümmert, und waren ernstlich bemüht, jüngere Söhne am
Hofe eines Landesherrn in etwas Latein oder Französisch unterrichten, vielleicht
sogar studiren zu lassen. So wenig ausführlich Götz von Berlichingen den letz¬
ten Theil seines Lebens beschreibt, so ist doch sehr deutlich zu erkennen, wie
vollständig er diese Wandelungen durchgemacht hat.

Nicht der jugendliche Reiter Götz ist es. der uns den größten menschlichen
Antheil einflößt, sondern der alte bedächtige Mann, der sich noch im Winter
des Jahres 15K2 über die Handschrift beugt, in welcher er seinem lieben
Freunde Feyerabend, dem Bürger von Heilbronn, einem Sippen des großen
Buchhändlergeschlechts, von seiner ungevändigten Jugend berichtet.




Berliner Brief.

Der Lärm, der durch den groszdcutschen Notenangriff veranlaßt war, klingt
noch nach. Der Angriff ist sogar noch verstärkt worden, da neuerdings auch Mei-


das Bild des Wolfes mit einem Schaf im Rachen als Helmschmuck. Als dem
alten Wolf das Gebiß ausgebrochen war, und er gegen Handgelöbniß auf
seiner Beste saß. im engen Gewahrsam. da begann er selbst um seine Rinder
und Schafe zu sorgen, er war thatsächlich bereits ein moderner Gutsbesitzer
geworden, der den Ertrag seiner Aecker steigerte und die Gesellschaft kluger und
unterrichteter Leute suchte. Aber auf den Abenteuern seiner Reiterzeit lag ihm
noch ein verklärender Schein, und wir dürfen annehmen, daß er einem jungem
Geschlecht, das unter ganz veränderten Culturverhältnissen heranwuchs, gern
von seinen nächtlichen Ritten erzählte, und wie wacker und unbändig er sich
mit aller Welt gerauft hatte.

Und wie er selbst, so sahen seine Standesgenossen bis in das nächste
Jahrhundert herein ihr ganzes Leben in zweifachen Lichte. Sie waren in
Wirklichkeit sämmtlich auf dem Wege Gutsbesitzer zu werden. Was' sie
durch Beute und Reiterzüge etwa noch einmal erwerben konnten, war we¬
niger, als was sie dabei auf das Spiel setzten. Sie standen bereits als Grund¬
eigenthümer in sehr modernen Fehden, in Processen um Mein und Dein beim
Kammergericht oder vor den Gerichten ihres Landesherrn, sie fanden in ihren
Gemeinden bereits eine Autorität, welche sie in ganz anderer Weise zu berück¬
sichtigen hatten, als im Anfange des Jahrhunderts. Denn an die Stelle der ar¬
men und rohen Dorfpfaffen waren bei jeder Partei der Kirche Geistliche ge¬
treten, welche höhere Bildung besaßen und größere Ansprüche machten. Auch
die Junker hatten zu besorgen, daß der Geistliche ihnen in das Gewissen sprach und
auffallende Verstöße ihres Lebens an heiliger Stätte vor den Ohren ihrer
Bauern verurtheilte. Ja unter ihren Bauern waren solche nicht mehr selten,
welche lasen und schrieben, einen kleinen geistlichen Tractat studirten und
über den Glauben ihres Herrn ernsthafte Betrachtungen anstellten. Die Edel¬
leute selbst waren durch die große Aufregung der Reformationszeit gezwungen
worden, weit andere Nachrichten mit Interesse zu hören, als die, daß ein
Sammtballen von Nürnberg oder Pfeffersäcke von Augsburg unterwegs seien,
sie selbst hatten leidenschaftlich Partei genommen für und gegen Luther, für
und gegen die Nonnen, für und gegen den Kaiser, sie hatten sich um die Lehre
vom Abendmahle gekümmert, und waren ernstlich bemüht, jüngere Söhne am
Hofe eines Landesherrn in etwas Latein oder Französisch unterrichten, vielleicht
sogar studiren zu lassen. So wenig ausführlich Götz von Berlichingen den letz¬
ten Theil seines Lebens beschreibt, so ist doch sehr deutlich zu erkennen, wie
vollständig er diese Wandelungen durchgemacht hat.

Nicht der jugendliche Reiter Götz ist es. der uns den größten menschlichen
Antheil einflößt, sondern der alte bedächtige Mann, der sich noch im Winter
des Jahres 15K2 über die Handschrift beugt, in welcher er seinem lieben
Freunde Feyerabend, dem Bürger von Heilbronn, einem Sippen des großen
Buchhändlergeschlechts, von seiner ungevändigten Jugend berichtet.




Berliner Brief.

Der Lärm, der durch den groszdcutschen Notenangriff veranlaßt war, klingt
noch nach. Der Angriff ist sogar noch verstärkt worden, da neuerdings auch Mei-


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[0404] das Bild des Wolfes mit einem Schaf im Rachen als Helmschmuck. Als dem alten Wolf das Gebiß ausgebrochen war, und er gegen Handgelöbniß auf seiner Beste saß. im engen Gewahrsam. da begann er selbst um seine Rinder und Schafe zu sorgen, er war thatsächlich bereits ein moderner Gutsbesitzer geworden, der den Ertrag seiner Aecker steigerte und die Gesellschaft kluger und unterrichteter Leute suchte. Aber auf den Abenteuern seiner Reiterzeit lag ihm noch ein verklärender Schein, und wir dürfen annehmen, daß er einem jungem Geschlecht, das unter ganz veränderten Culturverhältnissen heranwuchs, gern von seinen nächtlichen Ritten erzählte, und wie wacker und unbändig er sich mit aller Welt gerauft hatte. Und wie er selbst, so sahen seine Standesgenossen bis in das nächste Jahrhundert herein ihr ganzes Leben in zweifachen Lichte. Sie waren in Wirklichkeit sämmtlich auf dem Wege Gutsbesitzer zu werden. Was' sie durch Beute und Reiterzüge etwa noch einmal erwerben konnten, war we¬ niger, als was sie dabei auf das Spiel setzten. Sie standen bereits als Grund¬ eigenthümer in sehr modernen Fehden, in Processen um Mein und Dein beim Kammergericht oder vor den Gerichten ihres Landesherrn, sie fanden in ihren Gemeinden bereits eine Autorität, welche sie in ganz anderer Weise zu berück¬ sichtigen hatten, als im Anfange des Jahrhunderts. Denn an die Stelle der ar¬ men und rohen Dorfpfaffen waren bei jeder Partei der Kirche Geistliche ge¬ treten, welche höhere Bildung besaßen und größere Ansprüche machten. Auch die Junker hatten zu besorgen, daß der Geistliche ihnen in das Gewissen sprach und auffallende Verstöße ihres Lebens an heiliger Stätte vor den Ohren ihrer Bauern verurtheilte. Ja unter ihren Bauern waren solche nicht mehr selten, welche lasen und schrieben, einen kleinen geistlichen Tractat studirten und über den Glauben ihres Herrn ernsthafte Betrachtungen anstellten. Die Edel¬ leute selbst waren durch die große Aufregung der Reformationszeit gezwungen worden, weit andere Nachrichten mit Interesse zu hören, als die, daß ein Sammtballen von Nürnberg oder Pfeffersäcke von Augsburg unterwegs seien, sie selbst hatten leidenschaftlich Partei genommen für und gegen Luther, für und gegen die Nonnen, für und gegen den Kaiser, sie hatten sich um die Lehre vom Abendmahle gekümmert, und waren ernstlich bemüht, jüngere Söhne am Hofe eines Landesherrn in etwas Latein oder Französisch unterrichten, vielleicht sogar studiren zu lassen. So wenig ausführlich Götz von Berlichingen den letz¬ ten Theil seines Lebens beschreibt, so ist doch sehr deutlich zu erkennen, wie vollständig er diese Wandelungen durchgemacht hat. Nicht der jugendliche Reiter Götz ist es. der uns den größten menschlichen Antheil einflößt, sondern der alte bedächtige Mann, der sich noch im Winter des Jahres 15K2 über die Handschrift beugt, in welcher er seinem lieben Freunde Feyerabend, dem Bürger von Heilbronn, einem Sippen des großen Buchhändlergeschlechts, von seiner ungevändigten Jugend berichtet. Berliner Brief. Der Lärm, der durch den groszdcutschen Notenangriff veranlaßt war, klingt noch nach. Der Angriff ist sogar noch verstärkt worden, da neuerdings auch Mei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/404>, abgerufen am 28.04.2024.